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Filmkritik

Eine lange Kette

hochgradiger

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Am 14. August 2017 feierten Indien und Pakistan den 70. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit von Großbritannien. Noch heute stehen sich die beiden Atommächte feindlich gegenüber und viele mögen sich fragen, wie es dazu kommen konnte, dass Unsummen in die Militärs investiert werden, während die Bevölkerungen arm bleiben.

Überraschenderweise geht ein knallbunter Ausstattungsfilm derzeit den Ursachen auf den Grund. In Der Stern von Indien hat die britisch-indische Regisseurin und Drehbuchautorin Gurinder Chadha die Geschichte jenseits der Jubelfeiern beleuchtet. Der Preis war hoch, denn die Unabhängigkeit 1947 hatte die Teilung der indischen Kronkolonie in das hinduistische Indien und das muslimische Pakistan zur Folge mit einem Bevölkerungsaustausch, der über 10 Millionen Menschen zu Flüchtlingen machte und eine Million Menschen das Leben kostete.

Der Film beginnt mit dem Einzug des neuen und letzten Vizekönigs Lord Mountbatten (Hugh Bonneville) in den bis heute noch größten Palast der Welt in Delhi. Begleitet wird er von seiner engagierten Ehefrau Edwina (Gillian Anderson) und Tochter Pamela (Lily Travers). Die königliche Familie kommt sehr gut weg in dem Film, denn die Regisseurin mutmaßt, dass im Hintergrund noch ganz andere Kräfte am Werke waren. So heißt es gleich zu Beginn auch ganz deutlich, dass die Geschichte immer von den Siegern geschrieben wird, und die Briten nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ ihre Untertanen bewusst gegeneinander aufgebracht haben, damit sie möglichst ungestört regieren konnten. Doch die Konflikte zwischen den Hindus, Sikhs und Muslimen erreichten schon vor der avisierten „Freiheit“ einen Siedepunkt, der sich in Gewaltausbrüchen Luft machte. Es klingt schon recht deutlich im Film an, dass sich die Briten zurückziehen wollten, bevor ihnen ihr Pulverfass um die Ohren fliegen würde.



Mahatma Gandhi (Neeraj Kabi) versucht alles, die Teilung zu verhindern | (C) Tobis Film


Deshalb ist der Vizekönig unter Zeitdruck und trifft sich mit maßgeblichen Führern, darunter Muhammad Ali Jinnah (Denzil Smith), der als Gründer des Staates Pakistan gilt, Jawaharlal „Pandit“ Nehru (Tanveer Ghani), der später der erste Ministerpräsident Indiens wurde, und Mahatma Gandhi (Neeraj Kabi), der alles in seiner Macht stehende versucht, eine Teilung zu verhindern. Doch Mountbatten wird eine schon ausgearbeitete, geheime Akte in die Hände gespielt, in der die Grenzziehung zwischen den beiden Staaten schon ausgearbeitet ist. Von dem menschlichen Ausmaß der dadurch ausgelösten Umsiedlung sind selbst die Mountbattens überrascht. Sie bleiben noch eine Weile im Land und versuchen zu helfen. Und so geschieht, was fast zeitgleich in Mitteleuropa geschah: eine Vertreibung von Millionen von Menschen aus ihren angestammten Gebieten, ein Heimatverlust, der bis heute noch nicht endgültig überwunden ist. So erging es auch den Menschen in Indien und Gurinder Chadha inszeniert hier auch einen Teil des Schicksals ihrer eigenen Familie.

Illustriert werden die Ereignisse anhand der fiktionalen Liebesgeschichte zwischen dem jungen Hindu Jeet Kumar (Manish Dayal) und der Muslima Aalia Noor (Huma Qureshi). Es ist ein extrem schlechter Zeitpunkt für eine interkulturelle Liaison und Aalias Vater (Om Puri) hat auch schon einen guten und zuverlässigen Mann für seine Tochter ausgesucht. Die beiden können ihre Liebe nicht lange geheim halten, aber bevor es zum Familieneklat kommt, kommt der Eklat der Unabhängigkeit. Aalia und ihr blinder Vater müssen schleunigst nach Pakistan, um vor hinduistischen Übergriffen sicher zu sein. Doch der Weg ist weit, die Züge überfüllt, die Straßen verstopft und der Zug, in dem Aalia und ihr Vater sitzen, brennt eines Tages lichterloh...

Chadha zeigt die Absurdität der Teilung bei der Auflösung des Haushalts des Palastes. Um es „gerecht“ zu machen, wird der Haushalt in der Mitte geteilt und auseinandergerissen. So bleibt kaum etwas vollständig und ist nur eingeschränkt funktionsfähig. Die Regisseurin sieht in Mountbatten nicht mehr den „machiavellistischen Architekten der indischen Teilung, sondern einen Mann, der unwissentlich zum Spielball versteckt agierender politischer Mächte wurde.“ Ob er tatsächlich unwissentlich da hineingeraten ist, sei dahin gestellt, aber Chadha setzt auf Ausgleich: „Mir war besonders wichtig, dass weder Hindus, Muslime noch Sikhs zum alleinigen Sündenbock für die gewaltsamen Zusammenstöße während der Teilung gemacht werden. Ursache dafür war vielmehr eine lange Kette hochgradiger Fehler aller Beteiligten.“

Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe sind derzeit weit über 65 Millionen auf der Flucht. Für Chadha hat ihr Film deshalb auch eine universelle Botschaft: „Ich möchte mit dem Film davor warnen, sich Politikern zu öffnen, die mit der Rhetorik des Hasses Antworten auf die drängenden Frage unserer Zeit geben.“ Chadha verzichtet auf die Darstellung von exzessiver Gewalt und Schrecken und konzentriert sich auf die Auswirkungen, die das auf die Menschen hat. Der von ihr geschilderte politische Hintergrund, vor allem die Sicht auf die königliche Familie, sind möglicherweise nicht immer akkurat, aber es geht ihr schließlich um einen umfassenden versöhnlichen Aspekt. Dabei ist ihr ein handwerklich und ästhetisch superber Film gelungen, der vor allem eins ist: Kino fürs Auge, fürs Herz und mit Anspruch.
Helga Fitzner - 16. August 2017
ID 10193
Weitere Infos siehe auch: https://tobis.de/film/der-stern-von-indien


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