Unsere Neue Geschichte (Teil 15)
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Eine undenkbare
Wahrheit
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Bewertung:
Die Hände meiner Mutter ist der abschließende Teil einer filmischen Trilogie über Gewalt in der Familie. Der Regisseur und Autor Florian Eichinger behandelte im ersten Teil Bergfest (2008) seelische Verletzungen durch einen Vater und in Nordstrand (2013) körperliche Gewalt eines Vaters gegen sein Kind und eine untätige Mutter. In Die Hände meiner Mutter geht es um die verheerenden Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs einer Mutter an ihrem Sohn.
Dreißig Jahre lang hat Marcus (Andreas Döhler) die Ereignisse in seiner Kindheit völlig verdrängt. Er führt eine gute Ehe mit seiner Frau Monica (Jessica Schwarz) und ist glücklich mit seinem kleinen Sohn Adam. Es ist ein gutes harmonisches Leben eines zufriedenen Ehepaares, das einander liebt und zueinander steht und Söhnchen Adam mit Fürsorge und Liebe groß zieht.
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Marcus (Andreas Döhler) und Monica (Jessica Schwarz) führen eine glückliche Ehe | © Kinescope Film
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Auf einer Familienfeier übernimmt Marcus' Mutter Renate (Karin Pollit) einen Toilettengang mit dem kleinen Adam, der mit einer kleinen Schramme an der Stirn zurückkehrt. Er hat sich nur gestoßen. Es ist äußerlich gar nichts Nennenswertes passiert. Doch urplötzlich erinnert sich Marcus daran, dass er als kleiner Junge von seiner Mutter zu sexuellen Berührungen an ihr genötigt worden ist. In der Folge zersetzen diese Ereignisse Marcus' ganzes Leben und auch das seiner Familie.
Andreas Döhler ist vorwiegend als Theaterschauspieler auf renommierten Bühnen bekannt und ein verhältnismäßig unbekanntes Gesicht auf der Kinoleinwand. Die jetzige Kinorolle ist sehr anspruchsvoll, weil er auch den Part des Kindes Marcus beim Missbrauch verkörpert. Das spielt er so überzeugend, dass man sehr mit ihm mitfühlen kann und noch besser versteht, dass auch ein Erwachsener das nicht so einfach abschütteln kann. Das ist eine hervorragende Regielösung. Ein Kind konnte man zu dem Zweck selbstverständlich nicht casten, und die zentralen Szenen einfach weglassen, wäre auch nicht ideal gewesen, auch wenn sie sehr dezent gedreht sind.
Döhler hat sich natürlich viele Gedanken über seine Rolle gemacht: „Man merkt aber schnell, dass die Folgen von Gewalt und in unserem speziellen Fall von sexueller Gewalt so komplex und tiefgreifend sind, dass man dem gar nicht gerecht werden kann.... Wie wird man so einem kleinen Menschen, der vieles noch nicht weiß, vieles nicht versteht und einordnen kann und dem so Schreckliches widerfährt, mit seinem Spiel gerecht.“ Marcus erinnert sich jetzt auch daran, dass sein Vater (Heiko Pinkowski) schon damals vom Missbrauch erfuhr und nichts anderes wusste als sein Revier zu verteidigen, indem er dem Kleinen sagte, dass er seine Mutter auf diese Weise nicht zu berühren hat.
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Vater Gerhard (Heiko Pinkowski) verbietet dem kleinen Marcus (auch Andreas Döhler), seine Mutter unsittlich zu berühren | © Kinescope Film
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Die Reaktionen vieler Personen in der Familie und im sozialen Umfeld sind sehr gemischt. Einige fragen sich, ob man nach 30 Jahren die Sache nicht auf sich beruhen lassen könnte. Übrigens ist sexueller Missbrauch nach 20 Jahren rechtlich verjährt, obwohl viele Betroffene viel länger brauchen, bis sich die Starre bei ihnen löst. Marcus arbeitet nicht mehr und ist ausgezogen in dem verzweifelten Versuch, damit zurecht zu kommen. Von Psychologen erfährt er wenig Hilfe. Die sind entweder ausgebucht oder mit dem Thema nicht vertraut. Auch Freunde sind überfordert. Marcus redet schließlich mit seiner Mutter, die alles zugibt und der alles furchtbar leid tut. „Renate in der Gegenwart ist wie versteinert. Die Ereignisse der Vergangenheit haben dazu geführt, dass sie sich in sich selbst zurückgezogen hat und Nähe nicht mehr zulässt. Früher war Renate anders. Die verkrüppelte Sehnsucht nach Nähe und Körperlichkeit fanden bei ihr ein unsägliches, schreckliches Ventil“, erklärt Karin Pollit, die die schwere Rolle gekonnt meistert. Doch beide sind wie gelähmt und es kommt zu keiner wirklichen Lösung des Problems.
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Mutter Renate (Katrin Pollit) bestreitet die Vorwürfe von Marcus (Andreas Döhler) nicht | © Kinescope Film
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Ehefrau Monica ist entschlossen, um Marcus und um ihre Ehe zu kämpfen. Sie macht weiter Druck, stellt der Mutter ein Ultimatum und besteht darauf, dass der Angelegenheit nachgegangen wird, damit Marcus wieder so viel Boden unter den Füssen gewinnt, dass er damit leben kann. Die Büchse der Pandora ist geöffnet, denn nun enthüllt sich eine Geschichte von sexuellem Missbrauch auch in den früheren Generationen der Familie und selbst...
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Hier haben wir wieder einen Film, der in die Rubrik Unsere Neue Geschichte aufgenommen wurde, obwohl das Thema eigentlich uralt ist. Eichinger zeigt die Mechanismen, die zu generationsübergreifenden Fällen von Gewalt führen. Ganz leise und unspektakulär zersetzt die Gewalt, so „sanft“ sie auch ausgeübt wurde, das Leben der Betroffenen und ihres Umfelds. Mutter Renate ist kein Monster, und Karin Pollit spielt sie so glaubwürdig, dass man ihr abnimmt, dass sie ihre Kinder trotz allem liebt. Missbrauchende Mütter machen statistisch gesehen nur einen kleinen Teil der Sexualdelikte aus, aber das Thema ist sehr stark tabuisiert. Um so mutiger ist das Drehbuch und die sensible Regie von Eichinger. Im Film selber wird die Aufklärung der Taten vor der versammelten größeren Familie angestrebt, und mit seiner Trilogie rückt Eichinger die fatalen Folgen von jeglicher Gewaltausübung, sei sie seelischer und/oder körperlicher Natur in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Denn nur so können die Kreisläufe, die dazu führen, durchbrochen und die Voraussetzung geschaffen werden, dass eine „Neue Geschichte“ mit einem entsprechenden Bewusstsein geschaffen werden kann.
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Helga Fitzner - 1. Dezember 2016 ID 9718
Weitere Infos siehe auch: http://www.farbfilm-verleih.de/filme/diehaendemeinermutter/
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