Am Beispiel von Ich fühl mich Disco kann die russische Regierung sehen, auf was für Spaß sie verzichtet, falls sie junges schwules Leben aus Filmen verbannt.
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Das Leben ist für einen übergewichtigen, in seiner sexuellen Orientierung unsicheren Pubertierenden schon kompliziert genug – vor allem, wenn der Papa ein bulliges Mannsbild von Schwimmtrainer ist. Wenn dann auch noch die verständnis- und rücksichtsvollere Mama schwer erkrankt und sich im Koma liegend aus dem Leben der Familie verabschiedet, heißt das für den moppeligen Floian (Frithjof Gawenda), dass er sich erstens seiner Natur stellen und zweitens mit seinem Vater (wieder genial: Heiko Pinkowski) Frieden schließen muss. Beim Erreichen des Zieles, von sich selbst und vom Papa akzeptiert zu werden, hilft die Erinnerung an das liebenswerte Wesen der Mutter – was für herrlich surreale Einsprengsel sorgt – nur bedingt.
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Heiko Pinkowski (re.) in Ich fühl mich Disco - Foto © Salzgeber & Company Mediend
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Aber gottlob gibt es ja den Osnabrücker Schlager-Parodisten Christian Steiffen, der hier bei einem Gastauftritt buchstäblich den Kopf hinhalten muss. Steiffens schnulzenartig komponierte, aber textlich eher den frechen Couplés der 1930er Jahre verpflichteten Lieder über Narzissmus und die Sehnsucht nach Geschlechtsverkehr sind die passende Untermalung für die Gefühlsnöte Florians, der unschwer als Alter Ego des korpulenten Regisseurs zu erkennen ist. (Steiffen durfte ich vor Jahren schon einmal live erleben – herrlich schräg. Aufgemerkt: Er ist gerade wieder auf Tournee!)
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Christian Steiffen, wie er leibt und lebt - Foto © Salzgeber & Company Mediend
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Wie schon in seinem genialen No-Budget-Debüt Dicke Mädchen erzählt Regisseur Axel Ranisch in seinem zweiten Langspielfilm mit viel Humor und Sympathie für alle seine Figuren eine simple Geschichte voller unverhoffter Schicksalsschläge und Glücksmomente, die unser aller Leben prägen. Und wer hat nicht in besonders hellen oder dunklen Momenten schon einmal gedacht, dass es so wirkt, als wären sie für einen Film so kombiniert? Ranisch greift solche Momente auf und nutzt sie quasi als Rohstoff, statt sie angestrengt herbei zu schreiben und zu inszenieren. Das verleiht seinen Filmen eine Authentizität und Leichtigkeit, die in der von den Til Schweighöfers dominierten deutschen Komödienwelt selten anzutreffen ist und eher an Altmeister Loriot erinnert, dessen spießige und ungelenke Typen ebenfalls direkt aus der Alltagswelt entnommen schienen.
Auch Ranisch hat die Gabe, das Absurde im alltäglichen Einerlei zu erkennen und schwere Themen ins grotesk Komische zu drehen, ohne sich dabei beim Publikum anzubiedern und seine Eigenwilligkeit preiszugeben. Dieses Talent hat Ranisch schon mit seinen Kurzfilmen, die während des Regiestudiums an der Potsdamer Filmhochschule entstanden sind, demonstriert. Im Unterschied zu Können oder Handwerk meint Talent hier eine Eigenschaft, die man nicht erlernen kann, sondern mitbringt. Das gibt Anlass zu großen Hoffnungen, denen Ranisch hoffentlich gelassen entgegensehen kann, statt sich wegen Erfolgsdrucks an eingängige Erzählstandards anzupassen.
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Ich fühl mich Disco - Foto © Salzgeber & Company Mediend
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Bewertung:
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Max-Peter Heyne - 10. November 2013 ID 7354
Weitere Infos siehe auch: http://www.ichfuehlmichdisco.de/
Post an Max-Peter Heyne
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