Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Spanisches Kino

Mutterliebe

und Verlust



Bewertung:    



„Sagen das die Leute nicht immer? Zu jemanden, der jünger ist? Sie sagen, ach, später wirst du ganz anders denken. Wart’s mal ab. Als hätte man nicht das Recht auf ernst zu nehmende Gefühle. Als wäre man dazu nicht fähig.“ (Alice Munro, Entscheidung)

*

Alice Munro entwickelt in ihrem Erzählband Runaway (2004) die Figur der Juliet und betrachtet sie in verschiedenen Phasen ihres Lebens. Bereits in seinem Film Die Haut, in der ich wohne (2011) lässt Pedro Almodóvar diesen Erzählband der kanadischen Schriftstellerin auftauchen – hier wird das Buch auf einem Tablett mit dem Frühstück zusammen einer Gefangenen gebracht. Mit starken, farbenfrohen und sinnlichen Bildern verfilmte Almodóvar in Julieta nun jene drei Erzählungen des Bandes, die sich dem Schicksal Juliets widmen. Während die Erzählungen Munros chronologisch aufeinander aufbauen, verschachtelt Almodóvar die Geschichte durch Rückblenden und erweitert auch sonst die Buchvorlage durch eigene Ideen. Nach der seichten und bemüht-verspielten Komödie Fliegende Liebende (2013) nähert sich Almodóvar seinem Sujet wieder gewohnt behutsam an und schafft mit viel Liebe zum Detail einen stimmungsvollen und anmutigen Film über Frauen und getroffene Entscheidungen.



Adriana Ugarte als die junge Julieta | (C) El Deseo – Manolo Pavón


Julieta (Adriana Ugarte), eine junge Witwe, lebt mit ihrer Tochter Antía in Madrid. Beide leiden unter dem Verlust von Julietas Mann und Antías Vater Xoan (Daniel Crao), sprechen jedoch miteinander kaum über ihre Trauer. Julieta merkt nicht, dass ihre Tochter ihr mehr und mehr fremd wird. Kurz nach ihrem 18. Geburtstag verlässt Antía sie, ohne ein Wort der Erklärung zu geben. Für Julieta bricht eine Welt zusammen. Die verzweifelte Mutter versucht erfolglos Antía über verschiedenste Wege ausfindig zu machen. Dabei findet sie vor allem heraus, wie wenig sie über ihre Tochter weiß. Viele Jahre später trifft Julieta (Emma Suárez) auf der Straße eine Jugendfreundin ihrer Tochter, die Antía vor kurzem getroffen hat. Julieta schöpft neue Zuversicht. Sie beginnt ihre Erinnerungen aufzuschreiben, die schönen wie die schmerzhaften Momente.

Almodóvar eröffnet seinen zwanzigsten Langfilm mit einer raffinierten Einstellung. Eine Großaufnahme zeigt einen schillernden roten Stoff, unter dem sich langsam ein schlagendes Herz abzeichnet, Julietas Herz. Später gibt es weitere künstlerisch und visuell opulente Kameraeinstellungen. So tut sich etwa von Xoans Wohnzimmerfenster aus ein traumhafter Blick auf das tosende Meer auf. Es gibt auch Almodóvar typische Bilder mit surrealem Touch, wenn ein Hirsch als Ankündigung des Todes nah neben einem fahrenden Zug herläuft.



Emma Suárez als die alte Julieta | (C) El Deseo – Manolo Pavón


Die Schicksalsfügungen in Julieta erscheinen manchmal arg konstruiert und vorhersehbar: So taucht Julieta zufällig am Tag nach der Beerdigung von Xoans Frau Ana in dessen Haus als seine neue Liebschaft auf und erfährt erst vor Ort, dass Ana verstarb. Von der abtretenden Haushälterin zuvor prophezeit, gleicht die neu eingestellte Haushälterin einer Modelschönheit, die den untreuen Xoan erneut in Versuchung führen dürfte. Antías Freundin Bea liest bereits als Kind begeistert die Vogue und arbeitet später als Redakteurin bei der Frauenzeitschrift. Solcherart konstruierte Fügungen schaffen im Film eine künstliche Atmosphäre von ganz eigenem Charme. Denn das gefühlvolle Spiel der Julieta-Darstellerinnen, die ungläubig mit dem eigenen Schicksal hadern, erscheint wie ein Gegengewicht zu den dramatisch sich scheinbar ohne ihr Zutun entwickelnden Ereignissen.

Almodóvar schafft erneut eine atemberaubende und komplexe Geschichte über uneingestandene Schuld, familiäre Geheimnisse und das Schweigen über Vergangenes. Er vermag mit Julieta an seine preisgekrönten Frauendramen Alles über meine Mutter (1999) und Volver - Zurückkehren (2006) anzuknüpfen. Insbesondere erfrischt, dass er bis auf wenige Ausnahmen (u. a. Rossy de Palma als Xoans Haushälterin Marian) die Rollen mit aufregenden neuen Gesichtern besetzt und die Hauptfiguren leise entwickelt. Komponist Alberto Iglesias steuert einen unaufdringlich fließenden Soundtrack bei, der die langsamen Einstellungen effektvoll unterstützt und beim Endabspann mit Chavela Vargas „Si non te vas (Wenn du nicht gehst)“ überrascht.



Julieta von Pedro Almodóvar | (C) El Deseo – Manolo Pavón

Ansgar Skoda - 4. August 2016
ID 9462
Weitere Infos siehe auch: http://www.tobis.de/film/julieta


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)