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Rezension

Aktrice Asia Argento bietet mit dem Kindheitsdrama Missverstanden die ultimative Coming-of-Age-Story



Bewertung:    



Ein weiterer Coming-of-Age-Film über die Schrecken des Erwachsenenwerdens? Ja, aber was für einer! Missverstanden ist nicht nur ein Kindheitsdrama, sondern auch ein Horrorfilm, denn wer solche Eltern hat wie die kindliche Heldin in Asia Argentos Film, braucht keine Feinde wie Lehrer oder Mitschüler, um das Böse im Menschen kennenzulernen. Diese Eltern beachten ihre jüngste Tochter entweder gar nicht oder behandeln sie derart herablassend, verletzend und schlichtweg durchgehend inadäquat, dass man laut aufschreien möchte. Dass die im Kern so gallenbittere Geschichte von Argento so überzeugend mit schwarzen Humor und satirischen Spitzen versehen wurde, macht das Drama nicht nur erträglich, sondern unterhaltsam und heiter. Mit feinem Gespür balanciert Argento auf dem schmalen Grad von freudiger Erregung und schierer Verzweiflung, von der eine vorpubertäre Existenz überreich gesegnet ist, wenn die Eltern unreifer sind als die eigenen Kinder. Mehr noch als andere Beispiele aus jüngster Zeit - wie etwa der ironisch inszenierte Thumbsucker (2005) oder der surreal angehauchte Submarine (2010) -setzt Missverstanden in dramaturgischer, aber auch stilistischer Hinsicht Maßstäbe, an der sich künftig alle Coming-of-Age-Filme messen lassen müssen.

Missverstanden wurde die Schauspielerin Asia Argento
selbst angeblich oft. In unserem Interview [Link anklicken!] jedenfalls besteht die Schauspielerin nachdrücklich darauf, dass sie keineswegs die laszive, hocherotische, schamlose Person war, die wir in zahllosen Fotosessions und schrägen Independent- und B-Movie-Rollen gesehen haben. Das sei nur ein konstruiertes Image, um von der eigenen Unsicherheit und Verletzlichkeit abzulenken, sagt die inzwischen streng auf intellektuell gestylte Asia, die gleichwohl noch immer ihrem Hang zu extravaganten Tattoos frönt, von denen das neueste vom Hals bis zur Brust das gesamte Dekolleté bedeckt. Ob ihre ungewöhnlich quietschend-raue Stimme das Ergebnis exzessiver Partynächte ist, habe ich im Gespräch nicht zu fragen gewagt.

Geschildert wird das familiäre Horrorszenario konsequent aus der Sicht der neunjährigen Aria (sic!, phänomenal gespielt von Giulia Salerno, die selbst aus einem Schauspielerhause stammt). Zusammen mit ihren verhätschelten Halbschwestern muss die junge Aria die Identitätskrisen der überkandidelten Eltern ertragen: Die Mutter (eine selten fiese Charlotte Gainsbourg) befindet sich in einer Identitätskrise und will nicht mehr als Pianistin auftreten, sondern sucht ihr Heil in esoterischen Gefilden, was ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Kindern noch verstärkt. Der Vater (überdreht: Gabriel Garko) hat nur seine Filmkarriere im Blick und versucht, von den Billigproduktionen ins Charakterfach zu wechseln, was schon wegen seiner penetranten Höhensonnenbräune und Exaltiertheit ein schwieriges Unterfangen ist. Die Launenhaftigkeit der Eltern – die nicht nur einmal an schaurig-neurotische Künstlereltern à la Joan Crawford und Klaus Kinski erinnert – sind die Kinder zwar schon gewohnt, aber als die Scheidung der Eltern unausweichlich wird und die Mutter in zahlreiche Affären und Drogeneskapaden flüchtet, ist vor allem die zerbrechliche Aria überfordert.

Symbolisches Bild für die achtlos begangenen Grausamkeiten der Eltern an ihrer jüngsten Tochter ist der einsame Gang, den Aria über eine große römische Brücke mit ihren in einem Köfferchen gestopften Habseligkeiten absolvieren muss. Dann wurde sie entweder vom überkandidelten Vater wieder einmal aus dessen Wohnung geworfen, oder die depressive, abgebrannte Mutter verweigert ihr den Einlass. Hin und her gerissen zwischen den nun getrennt lebenden Eltern und ihrer Enttäuschung und Zuneigung, muss die ignorierte Aria eigene Überlebensstrategien entwickeln, um nicht verrückt zu werden (wobei: die Gefahr bleibt bis zum Schluss sehr real). Dabei findet Asia Argento zusammen mit ihrem Kameramann Nicola Pecorini teil farbgesättigte, ins märchenhaft-surreale kippende, aber auch buchstäblich schräge Bilder, die grotesk verzerrte Perspektiven aufweisen. Selten wurden filmische Mittel – vor allem die Montage – in einem Kindheitsdrama so bewusst und originell eingesetzt wie von Asia Argento.

Die betont zwar, dass ihr Film kein reinrassig autobiografisches Werk ist, aber ganz sicher finden sich in ihm große Anteile ihrer eigenen Erfahrungen mit einer Mutter, die Opernsängerin war und einem Vater, der zu den Vertretern des blutgetränkten Horror-Slaher-Genres zählt. Sollte der Film eine Reflexion oder gar Abrechnung mit ihrer eigenen Herkunft sein, wäre dies ein ausgesprochen bitteres Fazit, denn bei allem grotesken Humor ist dies letztlich eine sehr bedrückende Geschichte. Jedenfalls hat auch die schöne, schräge Asia so manche Schramme aus ihrer Kindheit mitgenommen. Jetzt will sie davon erzählen und nicht mehr Rollen spielen, die nichts mit ihrer Person zu tun haben. Wenn dabei so großartige Filme herauskommen wie Missverstanden, ist das ein wirksames Trostpflaster für ihre Schauspielabstinenz.



Missverstanden - Foto (C) Rapid Eye Movies

Max-Peter Heyne - 26. Januar 2015 (2)
ID 8390
Interview mit Asia Argento: http://www.kultura-extra.de/film/feuilleton/interview_asiaargento.php


Post an Max-Peter Heyne



 

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