Mittsommernachtstango ist ein musikalisches, skurriles Roadmovie über die Vielfalt des Tangos
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Es hat ein bisschen gedauert, bis ein Film einen Vergleich zwischen den Tangonationen Finnland und Argentinien zieht und versucht, einige Vertreter der jeweiligen musikalischen Spielarten zusammenzubringen, aber die deutsche Regisseurin Viviane Blumenschein hat es mit Mittsommernachtstango nun vollbracht – und einen musikalisch wie visuell unterhaltsamen, das Thema liebevoll ironisch behandelnden Essayfilm geschaffen.
Blumenschein erwähnte anlässlich des Kinostarts ihres Films coram publicum, dass sie das einführende Statement von Finnlands Kultregisseur Aki Kaurismäki vor Jahren schon im Internet gefunden habe: Es besagt, der Tango sei in Finnland erfunden worden und mit finnischen Seeleuten um 1900 nach Argentinien gereist. Kaurismäki behauptet im kurzen Interview, das den Film einleitet, aber auch, dass der Walzer finnischen Ursprungs sei und die Österreicher ihn danach geklaut hätten. Wie dem auch sei, die Regisseurin ist stolz darauf, den notorisch kamerascheuen Filmfinnen „nach Hollywoodmanier“ – mit einem Lunch und zwei Flaschen Wein – 2010 überzeugt zu haben, mit ihr den Prolog zu drehen.
Ähnlich absurd und skurril wie das Interview verläuft der ganze Film. Die Regisseurin findet nach mehreren Recherchereisen in Argentinien unter Tausenden Tangoensembles ihre Favoriten – die Protagonisten Walter „Chino“ Laborde, Pablo Greco und Diego „Dipi“ Kvitko – , die sie erst in ihrer Heimat in Buenos Aires porträtiert und dann auf eine Reise zu den jeweiligen finnischen Musikern, die sich ebenfalls dem Tango verschrieben bzw. sich in ihn verliebt haben, per Flug nach Finnland schickt. Dort karriolen die drei Vorzeige-Argentinier mit verschieden brüchigen Autos durch Wälder, Wälder, einsame Straßen und an den Seen vorbei und finden ihre Seelenverwandten jeweils mitten im Nichts.
In der immer gleichen, schönen Einsamkeit der Natur, in der die südamerikanischen Gäste oft die Orientierung verlieren, entstehen in den Begegnungen immer wieder stoische, ironische Dialoge, die sich um die Frage ranken, wo denn der Tango ursprünglich entstanden sei. Alle sind neugierig, Fakten gibt es nicht. Der Tango sei aufgeblüht als herzzerreißende Ausdrucksform in Buenos Aires, „einer dreckigen Stadt mit schöner Musik“, wie einer der Musiker im Film erläutert. Musik, die die mit 200 Jahren relativ junge Nation in ihren Sehnsüchten begleitet. Politische Unruhen, Schmerz. Die Finnen legen ihrer Liebe zum Tango etwas ganz Anderes zugrunde: Wegen ihrer schweigsamen, zurückhaltenden Mentalität sei es ihnen durch die Sänger der Tangolieder gelungen, auf indirekte Weise den angehimmelten Frauen eine Liebeserklärung zu machen und sie während des Tanzes im Arm halten zu können. Mit Melancholie hat die nordeuropäische wie südamerikanische Variante zu tun. Die drei Argentinier – mal in der Sauna, mal einsam am See, erstaunt über das leere Land – provozieren auf sympathische Weise einen cultural clash, in dem die musikalischen Sessions mit ihren finnischen Musikkollegen jenseits der kommerziellen Tangoverwertung oder irgendwelcher Gassenhauer einen selten genussvollen Einblick in die Vielfalt des Tangos schenken.
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Mittsommernachtstango - Foto (C) Neue Visionen
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Bewertung:
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Gabriele Leidloff - 19. März 2014 ID 7688
Weitere Infos siehe auch: http://www.mittsommernachtstango.de
Post an Gabriele Leidloff
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