Ich gewinn, weil ich ein Mädchen bin
Und auch Redakteure können nette, selbstlose Menschen sein – jedenfalls im Coming-of-Age-Drama "Scherbenpark"
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So trotzig und auf Krawall gebürstet wie die 17jährige Sascha in der Verfilmung des Romans Scherbenpark war keine deutsche Leinwandheldin mehr seit dem Drama um eine junge Rechtsradikale, Die Kriegerin (2009). Unter anderem diesen Vergleich muss Regisseurin Bettina Blümner aushalten, und ihr Spielfilmdebüt schneidet dabei gar nicht einmal so schlecht ab. Doch der Reihe nach: Besagte Sascha lebt mit ihren beiden jüngeren Geschwistern bei einer Pflegemutter in einer Hochhaussiedlung am Stadtrand einer deutschen Großstadt. Die Gemeinschaft der russlanddeutschen Aussiedler lebt dort zusammen mit anderen sozial benachteiligten, meist ausländischen Gruppen auf engem Raum ohne große Perspektiven wie in einem Sozialghetto. Saschas Problem ist aber ein sehr spezielles, denn seit ihre Mutter vor einigen Jahren in Saschas Beisein von ihrem ebenfalls russischen Stiefvater erschossen wurde, brodelt es in ihr. Jeden Tag träumt sie davon, den Mörder ihrer Mutter umzubringen. Die Vergiftung ihrer Seele äußert sich in trotzig-aggressiven Reaktionen gegen beinahe alles und jeden und stigmatisiert Sascha innerhalb der Community zusätzlich.
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Ulrich Noethen (re.) als Redakteur in Scherbenpark - Foto (C) Neue Visionen Filmverleih
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Eines Tages beschwert sich Sascha bei einem Zeitungsredakteur (Ulrich Noethen, übrigens der Ehemann der Romanautorin) über einen zu harmlosen Artikel über ihren im Knast sitzenden Stiefvater, woraufhin der verantwortungsbewusste Mitfünfziger unkonkrete Unterstützung zusagt. Noch am selben Tag bittet die Ausreißerin den Meinungsmacher, sie vorübergehend bei sich aufzunehmen. An dieser Stelle gewinnt der Film an Witz und Ironie, daher auch an Tiefe und Spannung. Denn der Ortswechsel des Mädchens in ein anderes, großbürgerliches Milieu lässt das Mädchen zur Abwechslung an etwas anderes denken als an ihre Dauermisere und geht einher mit der Bekanntschaft mit dem netten Sohn (Max Hegewald) des netten Redakteurs, der bei ersten sexuellen Erfahrungen gerne behilflich ist. Sascha erlebt eine neue, halbe Pflegefamilie (der Redakteur ist geschieden), mit der sie bald schon genauso hadert wie mit ihrer vorigen. Merke: Wichtiger als die äußere Veränderung ist die innere Läuterung.
Der Film lebt wie der Roman von der Fokussierung auf seine ungestüme, vielschichtige Hauptfigur, die an einem ganz bestimmten Schauplatz und in relativ kurzer Zeit eine bedeutsame Episode erlebt, die sie zunächst nur unmerklich, aber dann umso nachhaltiger verändern wird. Vor allem deswegen, weil Sascha außerhalb ihres Umfeldes erlebt, dass sie auch in der Lage ist, Anderen etwas zu geben und konstruktiv zu agieren. Das klingt jetzt pädagogischer als es umgesetzt ist, denn gottlob nutzt die Regisseurin einige Gelegenheiten für Situationskomik, die sich z.B. aus den Annäherungsversuchen der Teenies ergeben. Die junge Jasna Fritzi Bauer bewältigt die anspruchsvolle Aufgabe, den Film schauspielerisch zu tragen, und auch die Gesamtdramaturgie erscheint rund und stimmig.
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Jasna Fritzi Bauer als Sascha in Scherbenpark - Foto (C) Neue Visionen Filmverleih
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Leider hat sich die bisherige Dokumentarfilmerin Bettina Blümner (Prinzessinenbad, 2007) aber nicht getraut, den bisweilen aufdringlichen Naturalismus zu durchbrechen und mit Kameramann Mathias Schöningh nicht nur für die Gegensätze zwischen Hochhaussiedlung und Vorstadtvilla, sondern auch für den aufgewühlten inneren Zustand ihrer Protagonistin visuelle Entsprechungen zu finden. Die Übereindeutigkeit vieler Dialoge und Äußerlichkeiten (Prollisprüche, schicke Büros, abgeratzte Sozialwohnungen etc.) fällt umso mehr auf, da es im Mittelteil des Films angenehm ambivalente, flirrend-subtile Szenen gibt, in denen nicht unmittelbar klar wird, wie und wohin die Protagonistin auf ihrer Entdeckungsreise in eine andere, nahe und doch so ferne Welt gelangen wird.
Bewertung:
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Max-Peter Heyne - 22. November 2013 (2) ID 7390
Weitere Infos siehe auch: http://www.scherbenpark-film.de/
Post an Max-Peter Heyne
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