Dead or
Alive
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Bewertung:
Dead or Alive, zu Deutsch tot oder lebendig, stand auf so gut wie jedem Steckbrief, der im Wilden Westen um 1870 ausgestellt wurde, dazu ausgemalt mit einer an ein schlechtes, heutiges Computerphantombild gemahnenden Visage eines mutmaßlich wüsten Gesetzesbrechers, was zusammen wiederum den gesamten Abschaum dies- und jenseits des Rio Grandes wie das Aas die Schmeißfliegen anzog. Tot oder lebendig ist auch das Credo des ersten Langspielfilms Slow West, den der schottische Regisseur und Ex-Musiker John Maclean mit seinem Lieblingsschauspieler und Koproduzenten Michael Fassbender in der Rolle des wortkargen Kopfgeldjägers Silas gedreht hat. Ein lakonischer Independent-Spätwestern, der thematisch und formell durchaus an die ironisch philosophierenden Filme des Independent-Regisseurs Jim Jarmusch (Dead Man) oder auch die haarsträubenden Storys der Coen-Brüder (No Country for Old Men und True Grit) erinnert.
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Der sechzehnjährige Schotte Jay Cavendish (Kodi Smit-McFee) hat sich mit einem rostigen Colt und jeder Menge anderem unnützem Ballast auf die Suche nach seiner großen Liebe Rose (Caren Pistorius) gemacht, die mit ihrem Vater (Rory McCann) fluchtartig die britische Insel verlassen musste und nun irgendwo im tiefen Westen Amerikas ein neues Leben beginnen will. Der junge gebildete Aristokratensohn („Ich bin Brite“) träumt seinen ganz eigenen Traum von jener ersten Liebe, die wir in kurzen Rückblenden kennenlernen, schaut immer wieder romantisch in den funkelnden Nachthimmel und scheint dabei selbst wie von einem anderen Stern. Als unschuldiger Idealist ausgerüstet mit Kompass und literarischem Reisehandbuch tappt er durch die fremde Wildnis, in der ihm alles irgendwie passiert, als hätte er einen persönlichen Schutzengel.
Dieser begegnet ihm dann irgendwann auch tatsächlich, wie aus heiterem Himmel gesandt, in der Gestalt von Silas, der Jay Schutz gegen Geld anbietet und dazu außerdem immer wieder ein paar zynische Weisheiten für den Jungen parat hält. Er ist dabei allerdings zunächst nur auf Eigennutz bedacht, denn auf Jays Angebetete und ihren Vater ist ein sattes Lösegeld von 2.000 Dollar ausgesetzt. Das weiß der jugendliche Träumer natürlich nicht und begibt sich treuglaubend in die Hände des Kopfgeldjägers. Das hat durchaus seinen Witz, verfolgt aber auch noch ein ganz anderes Ziel. Auf dem weiten Ritt durch das noch weitere Colorado (als Landschafts-Set diente hier allerdings Neuseeland) gehen dem einen seine Illusionen immer mehr flöten, während der andere seine verschütteten Gefühle wiederentdeckt. Romantisches Greenhorn und abgezocktes Raubein kommen sich schließlich nach alptraumhafter, feuchter Absinth-Nacht näher.
Zuvor treffen sie aber noch auf etliche skurrile Typen oder am harten Westen gescheiterte Existenzen. Und es pflastern natürlich jede Menge Leichen ihren Weg. Selbst Jay verliert hier auf höchst dramatische Weise seine Unschuld in einem Handelsposten fern der Zivilisation, wo man Geld ausgeben aber auch mit vorgehaltenem Colt mitnehmen kann. Das treibt ihn, bevor noch die Tränen getrocknet sind, kurzzeitig vom Grobian Silas weg in die Arme des deutschen Anthropologen Werner (Andrew Robertt), der die Auslöschung der indianischen Rasse dokumentiert, und in dem der ahnungslose Jay einen intellektuellen Freund im Geiste sieht. Eine Nacht später, nackt mit Decke und Frühstücksei, macht sich der Belehrte wieder allein auf in Richtung Westen.
Macleans Western erzählt dabei ganz nebenbei auch die Geschichte der zahllosen Einwanderer aus dem alten Europa. Iren, Schotten, Schweden oder Deutsche, wie sie auch schon (allerdings wesentlich langatmiger) in Thomas Arslan Glücksucher-Western Gold durch Amerika und Kanada ritten, kämpfen hier ums nackte Überleben, auch gegeneinander, was sie letztendlich aber vor allem zum tödlichen Übel für die Ureinwohner und verschleppten Sklaven werden lässt. Am Wegesrand spielen ein paar Kreolen aus dem Süden den Sound auf dem Banjo dazu. Um den glorreichen Westen ist es also in Slow West wirklich übel bestellt, und dem philosophierenden Jay, der meint, dass Leben doch mehr als Überleben ist, hält Silas ein zynisches „Ja, das Sterben gehört dazu“ entgegen.
Da helfen dann auch keine tröstenden Bibelsprüche mehr. Und so treibt das Geschehen zielsicher auf den unvermeidlichen Showdown im goldgelben Kornfeld zu, bei dem eine ganze Horde von finsteren Gestalten und ein verkleideter Priester mit Präzisionsgewehr im Koffer für ein paar Dollar mehr die Hütte der gesuchten Geliebten belagern. „Zu jung um zu sterben. Zu alt, um für die Liebe zu sterben.“ Wie sich das letztendlich auflöst, ist ganz nach den Gesetzen eines Film Noir gestrickt, aber auch nach dem Geschmack manch berühmter Spagetti-Western. Am Ende wirft der Film zwar kurz einen Blick in die Zukunft, bewegt sich aber auch wie im Zeitraffer über seine Toten wieder zurück auf Anfang.
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Slow West | (C) Prokino Filmnverleih
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Stefan Bock - 5. August 2015 (2) ID 8788
Weitere Infos siehe auch: http://slowwestmovie.com
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