Gefahr aus
der Zukunft
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Bewertung:
Das Kino lebt doch noch, und Tenet trifft mit monumentaler Wucht auf ein seit Monaten ausgehungertes Publikum, denn der Drehbuchautor und Regisseur Christopher Nolan (Dunkirk, 2017) zieht mal wieder die Register seines Könnens in einem Action-Thriller mit allen Attributen, die einen Film zum Leinwandspektakel machen. Zu Beginn gibt es einen Anschlag auf die Oper von Kiew in der Ukraine, und der namenlose Protagonist (John David Washington; BlacKkKlansman, 2018), so eine Art Geheimagent, versucht, so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Er wird gefangen genommen und gefoltert, verrät seine Kollegen aber nicht und schluckt die Todeskapsel. Als er erwacht, erfährt er, dass das alles nur ein Test war und er sich für eine Spionagetätigkeit qualifiziert hat, um eine Technologie aus der Zukunft außer Kraft zu setzen: Diese kann die Zeit zurückdrehen, also invertieren. Bei einem Test schießt er mit leerer Handfeuerwaffe auf eine Wand mit Kugellöchern, und eine Kugel fliegt zurück ins Magazin. Das ist „Tenet“, zu deutsch der Grundsatz des SciFi-Phänomens, wobei die Zusammenhänge und Möglichkeiten sich erst im Laufe der Handlung erschließen. Das englische Wort Tenet ist ein Palindrom, das vorwärts und rückwärts gleich buchstabiert wird.
Nolan erweitert in seinen Filmen das Konzept von Zeit, indem er verschiedene Zeitebenen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ineinanderfließen und einander bedingen lässt. Denn die beschriebene Inversionstechnologie wird erst in der Zukunft erfunden, aber in der Gegenwart wurden schon invertierte Teile entdeckt. Wie Inception von 2010, in dem Träume infiltriert und manipuliert werden, erschließt sich Tenet in seiner ganzen Vielfalt und Tiefe wohl erst bei mehrmaligem Betrachten. Beim ersten Mal ist man aber schon so überwältigt, dass man beglückt genug den Kinosaal verlassen kann, ohne die durchaus philosophische Komplexität verstanden zu haben. Auch hier wirkt der Film auf mindestens zwei Ebenen.
Erst später bildet der Protagonist ein Team mit Neil (Robert Pattinson; Der Leuchtturm, 2019), der zwar einen Vornamen hat, aber sonst auch anonym bleibt. Beide sind bereit, ihr Leben zu opfern, um die Menschheit vor dem Schurken Sator (Kenneth Branagh; Mord im Orientexpress, 2017) zu retten. Denn der will die ganze Welt zerstören, so dass nichts und niemand mehr übrig bleibt. Er ist ein russischer Oligarch, dessen Ehefrau Kat (Elizabeth Debicki) ihn hasst und an die der Protagonist sich wendet, um an Sator heranzukommen und ihn von seinen Absichten abzuhalten. Das klappt natürlich nicht, und so kommt es nach vielen Action-Szenen rund um die Welt zu einem riesigen Showdown, in dem Bilder vorwärts, invertiert und dann wieder vorwärts laufen. Das ist eine ungewohnte Sehweise, die fast schwindelig macht und vom niederländischen Kameramann Hoyte van Hoytema innovativ umgesetzt und auf 70-mm-Film sowie im IMAX-Format gedreht wurde. Nolan und van Hoytema lösen die Aufgaben lieber mit der Kamera als auf dem Computer.
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Nolan ist bekannt dafür, dass er die Themen und die filmischen Möglichkeiten immer neu auslotet, wobei ihm mit Tenet ein Meisterwerk gelungen ist. Dabei übt er Kritik an der Umweltzerstörung, vor allem aber an der menschlichen Hybris, wenn wir glauben, dass wir Technologien erfinden und sie hinterher beherrschen können. Der Schurke Sator ist mit Kenneth Branagh eher atypisch besetzt, der ist zwar größenwahnsinnig, aber dennoch gefühlvoll wie ein kleiner Junge, wenn er fast heult, als er seine Frau nicht massakrieren darf, denn er will, dass der Protagonist ihm bei der Beschaffung eines fehlenden Teils hilft. Die Banalität des Bösen ist da wunderbar umgesetzt.
Es gibt Parallelen zu den Bond-Filmen, nur dass Nolan jetzt einfach gemacht hat, was in Sachen Bond schon länger diskutiert wird. Der Protagonist ist ein Schwarzer. Nolan hatte John David Washington in BlacKkKlansman gesehen und war damals genauso geflasht wie die Kritik und das Publikum. Washington ist einfach so überragend und begabt, dass man aus dem Staunen nicht heraus kommt. Er hat Persönlichkeit und es scheint keine schauspielerische Herausforderung zu geben, der er nicht gewachsen wäre. John David ist der Sohn von Denzel Washington, aber wenn der so weiter macht, rangiert Denzel bald als der Vater von John David Washington.
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Neil (Robert Pattinson) und der Protagonist (John David Washington) planen die nächsten Schritte | © Warner Bros. Pictures
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Helga Fitzner - 27. August 2020 ID 12415
Weitere Infos siehe auch: https://www.tenetfilm.com
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