Die Lady war
kein Tramp
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Bewertung:
Es hat sie wirklich gegeben, The Lady in the Van, die 15 Jahre lang in ihrem klapprigen Campingbus in der Einfahrt des englischen Dramatikers Alan Bennett hauste. Sie hatte schon länger ihr Gefährt in den Straßen des aufstrebenden Londoner Stadtteils Camden Town geparkt und war bekannt und berüchtigt. Als sie eines Tages von ihrem Parkplatz gegenüber des Hauses von Alan Bennett vertrieben werden sollte, gestattete er ihr – vorübergehend – in seiner Einfahrt zu parken. Das war von 1974 bis zu ihrem Tod 1989. Die Anwohner tolerierten sie irgendwie, machten ihr Geschenke und wollten ihr Gutes tun, die exzentrische Dame quittierte das aber nur mit Unmut und Undank. Der gutmütige schwule Autor Bennett wäre hoffnungslos damit überfordert gewesen, sie zum Verlassen seines Grundstücks aufzufordern. Doch in seiner Schriftstellerseele rumorte es schon, er speicherte Zitate und Erlebnisse mir ihr. Zu ihren Lebzeiten wäre nicht daran zu denken gewesen, etwas über sie zu veröffentlichen, da er sonst ständig Neugierige vor dem Haus gehabt hätte, so dauerte es 10 Jahre bis nach Miss Shepherds Tod, dass sein Bühnenstück The Lady in the Van im Londoner Queen's Theatre aufgeführt wurde, mit der einmaligen Maggie Smith als grantelnde Querulantin. Nochmals 15 Jahre später erscheint nun die überarbeitete Filmversion unter der Regie von Nicholas Hytner, wieder mit Maggie Smith in der Hauptrolle, die mit inzwischen 81 Jahren die Herausforderung annahm, mehrfach am Tag im Heck des Vans ein- und auszusteigen.
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Der Schein trügt. Mit Miss Shepherd (Maggie Smith) ist nicht gut Tee trinken | © Sony Pictures Releasing GmbH
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Die exzentrische alte Dame war natürlich ein dankbares Sujet, aber wie sollte er sich selbst darstellen? Alan Bennett kam auf die Idee, sich zwei zu teilen. Auf der Bühne ließ er sein jüngeres Ich (Nicholas Farrell) erscheinen, das mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt war und das mit seinem älteren Ich (Kevin McNally), dem Schriftsteller in ihm, ständig diskutierte. Im Film hat er nun die Möglichkeit, sich selbst mit einem einzigen Schauspieler zu besetzen, mit dem britischen Theaterstar Alex Jennings in der Doppelrolle. In der Realität hat Bennett erst nach der Veröffentlichung seiner Memoiren mehr über Miss Shepherd erfahren, deren wahrer Name Margaret Fairchild war. Dies erfuhr Bennett von ihrem Bruder, der sich bei ihm gemeldet hatte. Diese Informationen hat er in den Film eingebaut. So war Fairchild eine gute Pianistin und wollte Nonne werden, doch im Konvent erlaubte man ihr das Klavierspielen nicht, was sie tief erschütterte. Das ist nur eines der wenigen Puzzleteile über ihr Leben. Bewundernswert war ihr Streben nach Unabhängigkeit, denn sie weigerte sich standhaft, Hilfe anzunehmen und sich wegsperren zu lassen.
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Pfeift aufs Altenheim. Rollstuhlabfahrtsrennen mit Miss Shepherd (Maggie Smith) und Alan Bennett (Alex Jennings) | © Sony Pictures Releasing GmbH
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Neben der Kreativität der alten Dame, die ihren Van in knallgelber Farbe anstrich, war vor allem ihr Geruch auffällig. Sie bezog zwar Strom aus Bennetts Haus, hatte aber keinen Zugang zu einer sanitären Einrichtung. (Bennett hat das nur in seltenen Ausnahmefällen gewährt). Ihr schien das nichts auszumachen. Sie war umtriebig, verdiente sich ein paar Pennies auf der Straße und - sie wurde erpresst. Ein mysteriöser Mann (Jim Broadbent) taucht gelegentlich vor ihrem Van auf. Die vermeintliche Miss Shepherd glaubte, einen guten Grund zu haben, einen falschen Namen anzugeben, denn sie war auf der Flucht vor der Polizei...
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Vor Polizisten nimmt Miss Shepherd (Maggie Smith) sofort Reißaus | © Sony Pictures Releasing GmbH
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Die Bühnenfassung war ein Nervenkitzel für sich. Auf der Bühne standen zwei Autoren, die auch noch der Autor eines Stückes über sich selbst waren und sich gegenseitig bespöttelten. Maggie Smith war bärbeißig, asozial und so direkt und ehrlich, dass es brüllende Lacher gab. In der Filmfassung ist der Ton wesentlich milder und die nachdenklichen Momente häufiger. Wir erfahren etwas mehr vom Schicksal der einsamen alten Frau, die Jahrzehnte ihres Lebens in der Angst vor der Polizei verbrachte. Auch hier ist Maggie Smith wieder einmal grandios und einmalig. Sie kann mit einem einzigen Gesichtsausdruck die Tragödie, aber auch die Tapferkeit und Größe der alten Dame heraufbeschwören.
Wie das Bühnenstück ist auch die Filmversion ein Ereignis für sich. Der Film hat den Vorteil, am Originalschauplatz gedreht worden zu sein. So konnte das Flair von Camden Town und ein ganzes Universum von Nachbarn und Gutmenschen der 1970er und 1980er Jahre entworfen werden, darunter vorwurfsvolle Sozialarbeiterinnen, die den unschuldigen Alan Bennett heimsuchen. Irgendwie ist es tröstlich, dass Margaret Fairchild nun ausgerechnet in der Einfahrt eines Schriftstellers gelandet ist, so ist sie heute noch eine Berühmtheit, und ihre Plakette an Bennetts ehemaligem Wohnort zieht heute noch Besucher an.
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Helga Fitzner - 14. April 2016 ID 9253
Weitere Infos siehe auch: http://www.theladyinthevan.de/
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