Synonym für
staatliche Willkür
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Bewertung:
Wackersdorf - Wehrt Euch, leistet Widerstand! unter der Regie von Oliver Haffner ist ein Spielfilm mit dokumentarischen Elementen, der sich bestmöglich an die historischen Fakten hält und die Geschichte um den Widerstand gegen den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in der Oberpfalz erzählt. Anfang der 1980er Jahre sollen dort abgebrannte Brennstäbe aus deutschen Kernreaktoren wiederaufbereitet werden. Die Region steht nach dem Niedergang des Bergbaus vor dem Aus, und nun werden 3.000 Arbeitsplätze und andere Vorteile versprochen. Hans Schuierer (Johannes Zeiler) ist zu der Zeit Landrat im zuständigen Kreis Schwandorf und begeistert von der Möglichkeit eines wirtschaftlichen Aufschwungs für seinen Wahlkreis. Schuierer lässt sich zunächst von Abgesandten der Betreiber und der Landesregierung von der Ungefährlichkeit des Unterfangens überzeugen und unterstützt das Projekt. Doch allmählich kommen Zweifel in ihm auf, je mehr er sich über die Gefahren von Atomkraft informiert. Als dann ein Holzturm gebaut wird, an dem Protestbanner gegen die WAA hängen, will er ihn aber trotzdem abreißen lassen und wartet auf den entsprechenden Gerichtsbeschluss. Als ein Räumkommando den Turm ohne rechtliche Grundlage einfach zerstört, beginnt Schuierers Kehrtwende vom Befürworter zum Gegner, und Wackersdorf wird zunehmend zum Synonym für staatliche Willkür.
Der Film beginnt beschaulich mit viel Zeit- und Heimatkolorit und illustriert die Beziehungen und Verflechtungen der agierenden Personen, besonders das patriarchalisch geprägte Gesellschaftssystem wird gut herausgearbeitet. Da ist Schuierers bester Freund Bürgermeister Josef Pirner (Johannes Herrschmann), sein Büroleiter Vollmann (Florian Brückner) und der ihm zugewiesene Beamte Claus Bössenecker (Peter Jordan), den alle für einen Spitzel von der Landesregierung halten. Dazu gesellt sich der geschickte Verhandlungsführer der DWK (Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen) Karlheinz Billinger (Fabian Hinrichs), der sich sehr sicher ist, die Hinterwäldler übertölpeln zu können. Aber es formiert sich Widerstand in Form der „Bürgerinitiative Schwandorf“, zu der die links-alternative Familie Monika und Karl Gegenfurtner (Anna Maria Sturm / Andreas Bitt), Pfarrer Seybold (Harry Täschner) und immer mehr andere gehören. Je rabiater die Betreiber auftreten und je mehr unverhältnismäßige Aktionen durch die staatlichen Organe begangen werden, desto aktiver schließt sich Schuierer dem Widerstand an. Zugleich spaltet sich Schwandorf in Befürworter und Gegner, so dass über Jahrzehnte währende Freundschaften enden.
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Landrat Schuierer (Johannes Zeiler) diskutiert die Lage mit den betroffenen Anwohnern | © Alamode Filmemacher
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Als die Rodungen beginnen, tritt die Polizei härter auf als notwendig. Die überwiegend gewaltfreien Demonstranten werden drangsaliert. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, bis Zehntausende von Menschen sich den Protesten anschließen. Die Ordnungskräfte reagieren mit Wasserwerfern und erstmalig in der BRD mit CS-Gas. Die Bürgerbewegung wird diffamiert und kriminalisiert, das Wort „Chaoten“ fällt. Es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände mit polizeilichen Großeinsätzen und sogar Hubschraubern. „Hier entscheidet sich die Zukunft eines demokratischen Bayerns“, sagt Schuierer. Natur und Lebensgrundlagen künftiger Generationen würden gefährdet. Die Entschlossenheit Schuierers, sich gegen die diktatorische Gewalt des Freistaats Bayern zu wehren, mag daran liegen, dass sein Vater während der NS-Zeit aus politischen Gründen im Konzentrationslager Flossenbürg inhaftiert war. Also legt er sich als überzeugter Demokrat mit dem damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß an. Die WAA würde nur mit Schuierers Unterschrift als Landrat gebaut werden können. Genau diese verweigert er beharrlich. Strauß fackelt nicht lange und setzt geltendes Recht außer Kraft, indem er per Gesetzentwurf das Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörde einführt, das ohne die Unterschrift des Landrats auskommt, und diese Entmachtung der Landräte geht als „Lex Schuierer“ in die Justizgeschichte ein. An Willkür ist es kaum zu übertreffen, ist aber bislang wohl nur dieses einzige Mal angewendet worden. Der Film endet mit der Atomkatastrophe von Tschernobyl. Danach zogen sich die Betreiber der WAA zurück. Es ist nicht auszumalen, was geschehen wäre, wenn das weitergegangen wäre. Wackersdorf wird heute noch als die „Geburtsstunde der zivilen Widerstandsbewegung“ gefeiert. Der aufrechte Landrat Schuierer, der trotz immensen Drucks seinen Überzeugungen treu geblieben ist und nach seinem Wissen und Gewissen gehandelt hat, lebt jetzt in Schwandorf im Ruhestand.
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Helga Fitzner - 19. September 2018 ID 10925
Das Thema Wackersdorf ist in Bezug auf die atomare Gefährdung heute noch genau so aktuell wie damals. Nach dem Reaktor-Unglück in Fukushima im Jahr 2011 wollte man schnell den Atomausstieg, der jetzt aber wieder verschleppt wird. Die große Energiewende lässt weiterhin auf sich warten. - Auch hinsichtlich der Macht der Konzerne und deren Einfluss auf die Politik hat sich nichts geändert, wie sich derzeit im Hambacher Forst zeigt. BürgerInnen setzen sich dort dem übermächtigen Energiekonzern RWE gegenüber zur Wehr, der mit unverhältnismäßigem Polizeiaufgebot die Abholzung erzwingen lässt, obwohl RWE auch ohne das betroffene Waldstück noch Jahre lang den Tagebau fortführen könnte. Das Ganze geschieht dann auch noch kurz, bevor politische Beschlüsse zum Kohleausstieg anstehen. Es wird ohne Notwendigkeit die Beseitigung eines für die Artenvielfalt bedeutsamen Waldes erzwungen, was nicht mehr nur mit Profitgier zu erklären ist. Es ist eine absichtliche Schädigung der Natur und allen, die von ihr abhängig sind. Wieder werden Ordnungskräfte gegen die kriminalisierten und als Chaoten bezeichneten Beschützer eingesetzt und die Umweltzerstörer in ihrem Vernichtungsstreben und Machtmissbrauch von der Politik her unterstützt. Wieder sind es die Konzerne, die sich zur Durchsetzung ihrer fragwürdigen Interessen jener Staatsorgane bedienen, die eigentlich für den Schutz der Menschen und der Umwelt zuständig sein müssten. Es bleibt nur zu wünschen, dass sich an den entscheidenden Stellen in der Politik und an den Konzernspitzen ein Bewusstsein für Angemessenheit, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Demokratie einstellt, wie Hans Schuierer es uns vorgelebt hat. Der Film Wackersdorf zeigt noch einmal sehr deutlich, wie notwendig das auch jetzt noch ist, auch wenn der Film selbst thematisch im 1986 endet. | H.F.
Weitere Infos siehe auch: http://www.wackersdorf-film.de/
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