Eine weitere, rundum gelungene deutsche Komödie zum Thema Älterwerden und Spaß dabei: Wir sind die Neuen
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Bewertung:
Wer sich als Jüngerer noch in die Nachbarschaftskinos oder Arthäuser dieser Republik verirrt, in denen gehaltvolle Filme gezeigt werden, kann sich davon überzeugen, dass deren Stammpublikum immer älter wird. Die friedhofsblonde, von der Medienforschung als „Best Ager“ bezeichnete Besuchergruppe der über 50jährigen hatte sich schon zwischen den Jahren 2000 bis 2005 von acht auf über fünfzehn Prozent verdoppelt, wie eine wegweisende Studie des Potsdamer Erich-Pommer-Instituts feststellte (Klaus Keil/Felicitas Milke: Demografie und Filmwirtschaft). Mittlerweile kann von einer Minderheit nicht mehr die Rede sein. Denn laut statistischen Angaben der Filmförderungsanstalt des Bundes FFA in Berlin waren die über 50jährigen im Jahre 2012 mit 20 Prozent Anteil an Besuchen bei internationalen Produktionen nur noch wenige Prozent von der Gruppe der 20 bis 29jährigen entfernt, die in den letzten 50 Jahren stets die größte Besuchergruppe stellte. Mit 35 Prozent in 2012 stellten die „Best Ager“ sogar den Löwenanteil beim Besuch deutscher Filme.
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Die jungen Alten: Wir sind die Neuen - Foto (C) X-Verleih
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Da ist es vielleicht kein Zufall, dass immer mehr Filme gerade deutscher Herkunft in die Kinos gelangen, die sich mit den Lebenswelten und –problemen der jung gebliebenen, aber unvermeidlich älter werdenden Angehörigen der Generation 60+ beschäftigen. Nach Sein letztes Rennen im vergangenen Jahr folgt nun mit Wir sind die Neuen eine weitere, ebenso amüsante wie melancholische Komödie, die insbesondere den antiautoritären Altachtundsechzigern hohen Wiedererkennungswert verspricht. Die Neuen im Haus, das sind die ökobewegte Anne (Gisela Schneeberger) und ihre ehemaligen Studienfreunde Eddi (Heiner Lauterbach) sowie Johannes (Michael Wittenborn), die allesamt zugunsten ihrer Ideale von einer gerechteren Gesellschaft auf eine Karriere gepfiffen haben, nun aber kurz vor der Rente feststellen müssen, dass angesichts ihrer knappen finanziellen Mittel ein wenig komfortabler Lebensabend droht. Anne schlägt deshalb vor, wie schon vor 35 Jahren, eine WG zu gründen, um im teuren München über die Runden zu kommen.
Die drei ungleichen Ex-WGler raufen sich trotz unterschiedlicher Temperamente und Lebensgewohnheiten ganz gut zusammen. Stattdessen ereilt das Trio von gänzlich unerwarteter Seite Ärger und Verdruss: von der studentischen Dreier-WG, die über ihnen wohnt. Katharina, Barbara und Thorsten sind zwar junge, aber bereits völlig verspießerte und biestige Nachbarn, die auf die lockere und bisweilen deutlich vernehmbar lebenslustige Art der Alt-68er allergisch bis aggressiv reagieren. Angesichts des Erfolgsdrucks, die ihnen Master- und Diplomabschlüsse à la Bologna auferlegen und der ungesunden Dauerarbeit an Schreibtischen und Laptops wirken die Jüngeren als wären sie eben jene fleischgewordene Folgen eines unhinterfragten Spätkapitalismus, vor denen sie ihre Eltern immer gewarnt haben – offenkundig vergeblich. Den Culture-Clash der Generationen hat der hochbegabte Drehbuchautor und Regisseur Ralf Westhoff (Shoppen, 2006) mit viel Verve und Dialogwitz versehen („Jemand, der das Wort Business-Plan verwendet und es auch noch ernst damit meint, hat in meiner WG nichts verloren.“)
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Die alten Jungen in Wir sind die Neuen - Foto (C) X-Verleih
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Während die jüngeren Schauspieler schon mangels Zeitvolumen kaum mehr als Prototypen darstellen dürfen, können die älteren Kollegen die Steilvorlage, die ihnen Westhoffs Drehbuchs bietet, nutzen. Sie tragen mit der nuancierten Ausgestaltung ihrer Parts viel zur überzeugenden Balance zwischen nachdenklichen und komischen Momenten der Story bei. Gisela Schneeberger, die der breiten Masse vor allem als Sketchpartnerin des bayerischen Kabarettisten Gerhard Polt bekannt ist, darf hier endlich wieder einmal zeigen, welche große Charakterschauspielerin sie ist. Ihr zur Seite glänzen Michael Wittenborn, der die naiven, liebenswert vertrottelten Seiten seiner Rolle mit sichtbarer Wonne ausspielt und Heiner Lauterbach als ein notorischer Besserwisser mit Schürzenjäger-Image, der ja seit 1984 und seinem großen Erfolg in Doris Dörries Komödie Männer über Erfahrung mit komplizierten Film-WGs verfügt. Nicht zuletzt punktet der Film auch damit, dass Westhoff sich mit oft kleinen Anspielungen begnügt anstatt alle Aspekte breit auszurollen. Dass die Jüngeren am Ende dann doch noch von den Erfahrungen und den anderen Einstellungen der Älteren profitieren können, mag ein komödiengerechtes Happy End sein, mindert aber die Glaubwürdigkeit der Geschichte nicht über Gebühr. Vor allem aber regt der Film dazu an, jenseits dessen, was die Mehrheit des eigenen Umfeldes oder der eigenen Generation vorlebt, über die Tragfähigkeit unterschiedlicher Konzepte von Lebenssinn und –qualität nachzudenken.
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Nochmal die jungen Alten: Wir sind die Neuen - Foto (C) X-Verleih
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Max-Peter Heyne - 18. Juli 2014 ID 7965
Post an Max-Peter Heyne
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