Schwarzhumoriger Horror im Doppelpack
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Es gehört zu den Denkwürdigkeiten des Horrorfilms, dass die Parodien und Persiflagen auf dieses Genre oft unterhaltsamer und vielschichtiger geraten als die Originale selbst. Die Horrorfilmserien des Hollywoodstudios Universal (verantwortlich unter anderem für die Frankenstein-Filme mit Boris Karloff, die Dracula-Filme mit Bela Lugosi und die Werwolf-Filme mit Lon Chaney jr.) und die des englischen Hammer-Studios (mit Stars wie Christopher Lee, Peter Cushing oder Ingrid Pitt) etablierten einen Kanon an mythologischen Figuren, Schauplätzen und Szenarien, die seither teils auf komische, teils avantgardistische Weise zitiert und variiert werden. Sicherlich hat dies mit den relativ unflexiblen dramaturgischen Regeln als auch den starren Verhaltensweisen von den Monstern und Mördern zu tun (gerade dann, wenn das Böse vor dem endgültigen Abgang noch einmal aufsteht), die solche Filme bevölkern. Aber auch die Serienkiller und Psychopathen, die seit den späten sechziger Jahren die Monster weitgehend abgelöst haben (siehe dazu die Untersuchung Monsters and Mad Scientists des Kulturtheoretikers Andrew Tudor, Oxford 1989) wurden bereits mehrfach dem Spott preisgegeben. Denn auch deren scheinbar irrationale Handlungen sind in klare dramaturgische Korsetts eingebettet, die z.B. in der Scream-Kinofilmserie verbraten wurden.
Da die Vampire (und Zombies) von allen Halbwesen den normalen, sterblichen Menschen noch am ähnlichsten sehen, sind diese Untoten in den Bildmedien heute die lebendigsten Monster. Derzeit tobt wieder eine wahre Welle von Langzähnen über unsere Leinwände – mal in klassischer Gestalt (Dracula Untold) mit historischen Bezügen, mal im weichgespülten Gewande für ein Teeniepublikum (Die Vampirschwestern 2)...
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5 Zimmer, Küche, Sarg - Foto (C) Weltkino
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Das dritte aktuelle Filmbeispiel bietet Vampire, die eine Kreuzung von klassisch-grimmig und drollig-verspielt sind: 5 Zimmer, Küche, Sarg zeigt die Erlebnisse einer leicht verlotterten WG von vier männlichen Blutsaugern, die es auf Umwegen von Europa in eine heruntergekommene Villa am Rande der neuseeländischen Stadt Wellington verschlagen hat.
Der über 8.000 Jahre alte, unkommunikative Petyr, der mit seinem grauen Teint, dem spitzen Glatzkopf und seinen endlosen Fingernägeln noch am ehesten dem Bild eines Ungeheuers entspricht, ist in seinem Sarg im Kellergeschoss definitiv am besten aufgehoben. Aber der aus dem mittelalterlichen Osteuropa stammende, kraftmeierische Vladislav (Jemaine Clement), der aus frühneuzeitlicher Ära entsprungene, schleimige Dandy Viago (Taika Watiti) und der "nur" 183 Jahre alte, aufmüpfige Deacon (Jonathan Brugh) leben eher ungewollt in Abgeschieden- und Dunkelheit, während draußen das 21. Jahrhundert tobt. Und doch hat das ungleiche Trio einen ungewöhnlichen, durchaus mutigen Schritt getan, um sich mehr in ihre Gastgesellschaft zu integrieren: Ein Filmteam darf den Lebensalltag der Vampir-WG dokumentieren, um zu zeigen, wie es sich denn so lebt, wenn man nur nachts und vom Blut anderer Leute lebt.
Eine vermeintliche, investigative TV-Dokumentation als dramaturgisches Vehikel ist ein genialer Kunstgriff des neuseeländischen Autoren- und Komikerduos Jemaine Clement und Taika Watiti, die hier auch schauspielerisch eine Paradenummer bieten. Denn die ungewöhnliche Mischform von Reality-TV und Sitcom erlaubt es Clement und Watiti, statt einer konventionellen Parodie mit schwerfälliger Dramaturgie eine wilde, ungezügelte Reihe von absurden Gags und surrealen Situationen aneinander zu reihen, die auch ohne große Story auskommt.
Parodiert werden dabei nicht nur andere Vampirfilme, sondern auch die Vulgaritäten bestimmter TV-Formate sowie die Asyl- bzw. Integrationsprobleme einer westlichen Gesellschaft. Schließlich sind die vier Blutsauger trotz aller Anpassungsbereitschaft extreme Außenseiter, deren ganz besondere Talente öffentlich nicht ausgelebt werden dürfen. Wir sehen Vampire, die nach Sonnenuntergang gerne etwas erleben möchten, aber modisch um Jahrhunderte zurückliegen, wobei ein fehlendes Spiegelbild die Sache nicht einfacher macht. Auch die Bemühungen, nette Touristen oder Zufallsbekanntschaften in ein leckeres Mahl zu verwandeln, ohne allzu viel Turbulenzen oder Blutströme zu verursachen, scheitern oft. Immerhin kann dank Hypnoseblick der eine oder andere Sklave gehalten werden, und die drei Migranten haben erstaunlich leichtes Spiel mit der stupiden neuseeländischen Polizei. Als der prollige Nick nach einer Beißattacke nicht stirbt, sondern neues Mitglied im Kreis der Untoten wird, erhalten die Altvorderen zwar Unterricht in Sachen Computernutzung und Email-Chatten, aber ihr Nicht-Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft lässt sich immer schwerer durchhalten.
Was alles passieren würde, wenn jahrhunderte alte und entsprechend abgeklärte, nur schwer anpassungsfähige Vampire mitten unter uns weilten, zeigt 5 Zimmer, Küche, Sarg (Originaltitel: What We Do in the Shadows) mit buchstäblich beißendem Witz. Seit Tanz der Vampire (1967), Die Herren Dracula (1976) und Liebe auf den ersten Biss (1979) hat es keine Vampirfilmparodie mehr geschafft, das Genre und seine mythologischen Grundlagen so innovativ durch den Kakao zu ziehen.
[Zu den Avantgarde-Varianten des Vampirfilms siehe den vorzüglichen Aufsatzband Fürsten der Finsternis – Vampirkult im Film, herausgegeben von Bernd Desinger und Matthias Knop anlässlich einer Ausstellung im Filmmuseum Düsseldorf, 2013.)
Bewertung:
* *
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Der Samurai - Foto (C) Edition Salzgeber
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Auch das mysteriöse Schattenwesen im originell erdachten und sorgfältig inszenierten deutschen Horrorthriller Der Samurai verfügt über ein zu mörderisches Naturell, als das die Anpassung an die biedere ländliche Bevölkerung gelingen könnte. Schon die äußere Erscheinung des Bösen macht deutlich, dass der Regieabsolvent der Filmhochschule Berlin, Till Kleinert, der auch für Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnet, sich nicht mit den Klischees des Genres begnügen wollte: Der Samurai (Pit Bukowski) trägt lange blonde Haare und ein helles Frauenkleid und wirkt damit ebenso feminin wie deplatziert. Denn als Schauplatz wählt der Schwertkämpfer ein Dörfchen inmitten der Wälder Ostbrandenburgs. Hier taucht die tödliche Transe eines Nachts unvermittelt vor einem jungen Polizisten (Michel Diercks) auf und kündigt ihm seine/ihre Untaten an.
Was auf die erste unheimliche Begegnung folgt, ist eine nächtliche Verfolgungsjagd, die so wirkt, als wandele Rotkäppchen auf Akira Kurosawas und Alfred Hitchcocks Spuren – was als großes Kompliment gemeint ist. Zunächst müssen Wachhunde dran glauben, dann Gartenzwerge. Selbst als die liebe Großmutter in ihrem Häuschen von Wolfsgeheuel (!) und Samuraischwert bedroht wird, hält sich der wackere Dorfpolizist noch an seine Vorschriften und seine Vernunft. Doch er muss erkennen, dass er damit dem moralfreien und animalischen Treiben der ins tierische transformierbaren Un-Tunte nicht beikommen kann. Blut muss fließen und das Tier im Manne freigesetzt werden. Oder ist all das etwa nur die blutrünstige Fantasie eines gelangweilten Beamten, der gerne ein Wolf wäre, aber ein Hasenfuss ist?
Schon mit ihren früheren Filmen, dem Kurzfilm The Boy Who Wouldn’t Kill – eine Endzeit-Dystopie – und dem gesellschaftspolitischen Zukunftsdrama Dr. Ketel hat das Arbeits- und Liebespaar Anna und Linus de Paoli beweisen, dass sie Genres sehr stilbewusst und mit dramaturgischem Pfiff bedienen wollen – und können! Auch Der Samurai lebt von einer gelungenen Mischung aus unverbrauchten Einfällen und ungewöhnlichen Figuren und Schauplätzen. Gedreht hat ihn einer der engsten Mitstreiter der de Paolis, die sich als Kollektiv “Schattenkante” nennen und allesamt die Deutsche Film- und Fernsehhochschule Berlin (DFFB) besucht hatten. Es ist ermuntigend, dass der Berliner Verleih Salzgeber das künstlerische, aber auch kommerzielle Potential des Films erkannt hat und nun in die Kinos bringt. Wenn dem Samurai sogar ein Nischenerfolg (vor allem wegen der Konkurrenz mit dem o.g. Film) versagt bliebe, sollte dies keiner der Beteiligten zum Anlass nehmen, den Kopf hängen zu lassen. Man(n und Frau) ist auf einem guten Weg!
Bewertung:
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Max-Peter Heyne - 1. November 2014 ID 00000008215
Post an Max-Peter Heyne
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