Mit Jung und schön und Hemel kommen gleich zwei Dramen in deutsche Kinos, in denen junge Frauen sich in ihren erotischen Irrwegen verstricken (lechz)
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Das ist kein Zufall mehr, wenn sich in diesem Herbst mehrere, ernst zu nehmende Filme in unsere Kinos drängeln, in denen die sexuelle Lust von Frauen Dreh- und Angelpunkt der Handlungen ist. Das Thema liegt also irgendwie in der Luft, zumal sich männliche wie weibliche Regisseure der Sache widmen. Kurz bevor der diesjährige Gewinnerfilm der Filmfestspiele in Cannes, Blau ist eine warme Farbe, über eine lesbische Beziehung unter jungen Frauen in den deutschen Kinos anläuft, geht’s vorher noch zweimal um junge Frauen, die viel mit Männern rummachen – genauer gesagt: sehr junge Frauen mit ziemlich vielen und ziemlich reifen Männern! Die Storys des neuen Films des französischen Regiestars François Ozon (In ihrem Haus) und des Debütfilms der Holländerin Sacha Polak weisen erstaunliche Parallelen auf:
Die erst 17-jährige Isabelle in Jung und schön (gespielt vom wirklich sehr hübschen Model Marine Vacth) als auch die etwas ältere Titelfigur in Hemel (zu Deutsch: Himmel; und gespielt von der nicht minder liebreizenden Hannah Hoekstra) stammen aus gehobenen, bürgerlichen Verhältnissen, wirken im Auftreten bisweilen distanziert bis gleichgültig, sind sich ihrer Attraktivität, nicht aber ihren dunklen Triebe bewusst und nutzen Sexualität eher zweckdienlich als das sie sie genießen. Das Verführen und Sich-Ausliefern an immer neue, deutlich ältere Männer dient bei Hemel offenkundig zur Ablenkung und als Ventil, bei Isabelle gar zum Erwerb schnellen Geldes durch Prostitution. Aber warum und wozu die Mädchen das alles treiben, was sie so treiben, wollen weder Ozon noch Polak genauer beantworten. Wohl um eindeutige Antworten zu vermeiden, verzichten beide Filmemacher auf Psychologisierung.
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Jung und schön - Foto (C) Weltkinoverleih
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Immerhin gibt es Hinweise: Bei Hemel scheint sicher, dass ihre inzestuös angehauchte Beziehung zu ihrem schürzenjagenden Vater Grund für die eigene Promiskuität ist. Sie konkurriert mit ihrem Vormund, der sich partnerschaftlich wohl zugunsten der eigenen Tochter nicht festlegen will, und schürt gleichzeitig dessen Eifersucht. Dass die junge, schöne Isabelle zur eigenen Sexualität ein gebrochenes Verhältnis hat, deutet François Ozon durch die Szene zu Beginn des Films an, in der sich Isabelle während ihres ersten Geschlechtsverkehrs aus dem eigenen Körper hinausimaginiert (übrigens die einzig wirklich originelle und aus der Perspektive Isabelles gedrehte Szene des gesamten Films). Dass Isabelle pflichtschuldig einige Sitzungen beim Therapeuten absitzt, nachdem ihre Eltern die schockierende Wahrheit über das Doppelleben ihrer Tochter erfahren haben, wirkt wie eine Parodie auf eine Psychoanalyse.
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Hemel - Foto (C) W-Film
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Ozon und Polak suggerieren, dass die Frauen schon wegen ihrer Jugendlichkeit nicht genau wissen (können), was sie zu ihrer Hemmungslosigkeit treibt, die sie auch gefährlichen und demütigenden Situationen aussetzt. Das ist nicht unbedingt ein Mangel in der Figurenzeichnung, die in beiden Fällen durchaus glaubwürdig erscheint. Doch den Figuren ihr Geheimnis zu belassen, schränkt die Identifikationsmöglichkeiten für die Zuschauer ein. Unwillkürlich fragt man(n) - und vielleicht auch frau - sich, welche Fantasien in den Köpfen der Frauen denn tatsächlich umherwirbeln, und was der dauererotischen Reigen dort anrichtet. Prostitution als stimulierende Phantasie oder Grenzerfahrung? Das wollüstige Austesten der eigenen Manipulationsbereitschaft? Steigern Eroberungen immer das Selbstbewusstsein? Wird die eigene Attraktivität als geldwerte Eigenschaft noch wertvoller? All dies sind Fragen, die man zumindest ansatzweise thematisieren könnte, die aber beide Drehbücher und Inszenierungen allenfalls vage abhandeln. Auch die Erotik ist eher konventionell bebildert. Apropos: Hier wäre die feministische Film- und Rezeptionsanalyse gefragt, anhand der dramaturgischen und gestalterischen Mittel aufzudröseln, ob die jungen Frauen überwiegend als begehrenswert Objekte oder doch mehr als aktive Verführerinnen im Bild präsentiert und interpretiert werden (dem ersten Eindruck nach vermutlich in beiden Filmen ein Mix, aber dieses Changieren ohne feste Perspektiven ist vielleicht auch die Ursache für ein gewisses Unbehagen).
Dass Hemel und Isabelle zwar freiwillig, selbstbewusst und bisweilen vergnügt ihrer Triebhaftigkeit bzw. Sexarbeit nachgehen, mag die- oder derjenige für einen Skandal halten, der sich diese "Tätigkeiten" nur als Rituale von Opfern vorstellen kann. Der eigentliche Zwiespalt besteht jedoch darin, dass dieses körperliche Ausagieren nur oberflächlich lustvoll wirkt und oft genug eine frustrierende Komponente hat, weil die Heldinnen eben nicht vollständig emanzipiert, sondern sich selbst weitgehend fremd sind. Wo Jung und schön zu vage in der Stoßrichtung bleibt, wirkt Hemel kühl und kalkulierend konstruiert. So macht ausgerechnet der Slicky-Faktor, dass junge Frauen geile reife Männer bedienen, den eigentlichen Mehrwert der Filme aus.
Bewertung beider Filme:
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Max-Peter Heyne - 14. November 2013 ID 7367
JUNG UND SCHÖN (F 2013)
Drehbuch und Regie: François Ozon
Mit: Marine Vacth, Géraldine Pailhas, Frédéric Pierrot, Fantin Ravat, Johan Leysen (Georges), Charlotte Rampling u.v.a.
http://www.jungundschoen-derfilm.de/#home
HEMEL (NL/E 2011)
Regie: Sacha Polak
Drehbuch: Helena van der Meulen
Musik: Rutger Reinders.
Mit: Hannah Hoekstra, Hans Dagelet, Rifka Lodeizen, Eva Duijvestein, Barbara Sarafian u.v.a.
http://www.sachapolak.com/hemel.html
Post an Max-Peter Heyne
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