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Hollywood

Nochmal

mit Gefühl



Bewertung:    



Die Befürchtungen, dass der neue Bond-Film, der aufgrund der weltweiten Cornona-Pandemie 16 Monate später in die Kinos kommt als ursprünglich geplant, zu albern, zu hart oder zu sentimental sein könnte, bestätigen sich nicht. Im Gegenteil gelingt es dem vierköpfigen Autorengespann – und den Cuttern – eine gute Balance zwischen den ruhigen, melancholisch-emotionalen, den selbstironischen und den rasanten Actionszenen auszuloten und auch die fünf Bond-Abenteuer mit Daniel Craig seit 2006 insgesamt dramaturgisch abzurunden. Die Action ist diesmal weniger originell als in den anderen Craig-Bonds und wirkt insbesondere am Schluss des Films, als James Bond in einem Dauergefecht auf sich allein gestellt ist, sogar etwas stupide. Aber zuvor bekommen die Fans das, was sie erwarten: Verfolgungsjagden, Faustkämpfe, Schießereien und Explosionen an unterschiedlichsten exotischen Schauplätzen. Vor allem ist Craigs James Bond diesmal noch emotionaler, verletzlicher und unvollkommener als in seinen vorigen vier Filmen.

Die Story von Keine Zeit zu sterben greift die beruflichen und familiären Verwicklungen sowie Liebesverstrickungen, die der von Craig gespielte Bond seit Casino Royale durchleben musste, auf und führt sie zu einem bittersüßen Ende, nimmt aber auch deutliche Anleihen bei Bondfilmen der frühen Phase, insbesondere bei Im Geheimdienst ihrer Majestät, in dem der Nachfolger von Sean Connery, George Lazenby, seinen einzigen Einsatz absolvieren durfte. Es war der einzige Film der erstaunlich langlebigen Reihe, in dem – in Übereinstimmung mit der Romanvorlage von Ian Flemming – der britische Geheimagent eine tiefergehende Liebesgeschichte erlebt und heiratet, aber unmittelbar nach der Hochzeit bereits zum Witwer wird. Erst mit dem Auftauchen Daniel Craigs im neuen Jahrtausend wurde die Figur James Bond wieder auf ähnliche Weise geerdet und zumindest emotional verwundbar. Obgleich auch Craigs Bond beim Anbaggern keine Nachhilfe nötig hatte, verliebte er sich in Casino Royale sehr ernsthaft in eine geheimnisvolle Schönheit namens Vesper Lynd, verliert auch diese an Gevatter Tod und trug fortan schwer daran.

Wie schwer der Bond der #metoo-Ära vom Verlust getroffen ist, stellt die Eröffnungssequenz in Keine Zeit zu sterben klar: Mit Vespers Grab fliegt beinahe auch Bond in Fetzen. Dabei ist Bond mit seiner neuen großen Liebe, der Ärztin Madeleine Swann (Léa Seydoux) aus dem Vorgängerfilm Spectre quasi in Flitterwochen. Nach einer überstandenen Hetzjagd durch die malerischen Gassen einer norditalienischen Küstenstadt holen Bond die traumatischen Erlebnisse der Vergangenheit ein: sein Misstrauen und seine Bindungsunfähigkeit bringen ihn dazu, die gerettete Madeleine zu verstoßen und wieder ein Leben als einsamer Wolf zu führen. 007 wird inzwischen eine toughe Farbige, eine schöne Idee, die Lashana Lynch zu hundert Prozent ausfüllt, aber letztlich doch nur als Übergangsfigur verkörpern darf.

Reminiszenz an den Zeitgeist: Der hartschalige Held mag alle Kampfkünste und Waffen der Welt beherrschen, aber wenn es darum geht, die Lebensgefährtin zu verstehen bzw. zu durchschauen, ist er partiell genauso blind und borniert wie die restliche Männerwelt. Dass Bonds Mangel an Intuition zum großen Teil eine "déformation professionelle" ist, gibt den Drehbuchautoren (und -Autorin!) die Chance, die Figur noch weiter zu vermenschlichen und an den Rand eines traumatisierten Antihelden zu schieben. Doch ganz so psycho und traumatisiert wie sein neuer Gegenspieler, der durch eine Giftattacke pockennarbig entstellte Lyutsifer (sic!) (Remi Malek) ist Bond dann auch wieder nicht, und der Gegensatz zwischen Neurose und Persönlichkeitsstörung bei Held und Bösewicht gibt ihrer letzten verbalen Auseinandersetzung zwar einen gewissen Reiz. So richtig überzeugen kann aber leider weder das Eine noch das Andere. So muss denn noch das genreübliche Geballer in die Länge gezogen werden, das schon bei den vier vorigen Craig-Bonds nicht von Vorteil war.

Auch über den sehr sentimentalen Schluss kann man streiten, aber dass die Produzenten und Autoren nach einer dramaturgisch und finanziell sehr erfolgreichen Reaktivierung einer Ikone, die ihren Zenit schon lange hinter sich zu haben schien, einen besonders denkwürdigen Schlusspunkt setzen wollten, ist verständlich. Dennoch können einige Story-Elemente aus Keine Zeit zu sterben in die nächste Ära hinübergerettet werden, wie es schon im Wechsel von Pierce Brosnan zu Daniel Craig war. An der Mischung liegt es nicht, dass dieser letzte Craig-Bondfilm nicht ganz so begeistert wie vor allem Skyfall und Casino Royale. Und ein so machohafter, ungebrochener und emotional roboterhafter Bond wie ihn Pierce Brosnan in den neunziger Jahren noch abgeliefert hat, ist heutzutage schlicht nicht mehr vorstellbar. Eher schon stört das Vergnügen, dass die Schere zwischen der Vermenschlichung der Figur und der noch immer vorhandenen Superheldenhaftigkeit immer größer geworden ist. Der Lucifer dieses Films ist leider blasser und unorigineller als die meisten Bond-Widergänger zuvor. Dass tatsächlich eine ebenfalls traumatisierte und rachsüchtige Frau Bonds Untergang verschuldet, haben sich die Verantwortlichen auch diesmal nicht getraut zu zeigen.

Auf diesen Bondfilm musste lange gewartet werden, was kein Schaden ist, zumal er den Kinos weltweit aus der Post-Pandemie-Krise helfen wird. Die Idee des Oberschurken, die Menschheit mit künstlichen DNA-Viren und Pflanzengiften den Garaus zu machen, verweist auf die früheren Bondfilme Im Geheimdienst ihrer Majestät und Moonraker, hat nun aber ironischerweise mit der realen, weltweiten Pandemie mehr zu tun, als zu ahnen war. Nicht nur James Bond, uns allen hat ein Virus unsere Sterblichkeit schmerzlich in Erinnerung gerufen. Aber Bond ist wie alle Ikonen unsterblich und wird vermutlich – vielleicht sogar als Farbiger, als Frau oder als letzter der feurigen Liebhaber – noch die Welt retten, wenn sie real längst dem Tode geweiht ist.



Daniel Craig als James Bond 007 in Keine Zeit zu sterben | (C) Universal Pictures International France

Max-Peter Heyne - 1. Oktober 2021
ID 13180
Weitere Infos siehe auch: https://www.007.com/keinezeitzusterben/


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