Noch bis zum 2. Juni 2014 - Berlinische Galerie
DOROTHY IANNONE
This Sweetness Outside of Time
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Dorothy Iannone, 2002 | Foto: © Rolf Walter
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Für fleißige Berliner GaleriegängerInnen ist die 1933 in Boston, Massachusetts geborene Malerin, Grafikerin, Objekt- und Videokünstlerin Dorothy Iannone sicher keine Unbekannte mehr. Bedenkt man aber, dass sie bereits seit 1976 in Berlin lebt, lässt die Präsenz dieser außergewöhnlichen Künstlerin bei größeren Ausstellungen in der Stadt (die letzte war die Berlin Biennale 2006) doch noch zu wünschen übrig. Mit dieser ersten großen Retrospektive in der Berlinischen Galerie - ein Jahr nach ihrem 80. Geburtstag - dürfte sich das nun sicher ändern.
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Dorothy Iannone, The Next Great Moment In History Is Ours, 1970 Courtesy die Künstlerin, Air de Paris, Paris, und Peres Projects, Berlin, Foto: Joachim Littkemann
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Dorothy Iannone studierte von 1953 bis 1958 amerikanische und englische Literatur in Boston und Waltham, Massachusetts. Bereits in diese Zeit fallen ihre ersten noch informell wirkenden Collagearbeiten, Zeichnungen und Gemälde, die im ersten Raum der Ausstellung zu sehen sind. In den stark farbig-ornamentalen Werken zu Anfang der 1960er Jahre tauchen dann erste Figuren auf. In ihren erotischen Bildergeschichten thematisiert Dorothy Iannone nun konkret sexuelle Beziehungen zwischen Mann und Frau. Dabei erregten vor allem die prall zur Schau gestellten weiblichen Sexualorgane großes Aufsehen. In der 1969 in Bern gezeigten Skandalausstellung Dialogues wurden sie vom Kurator sogar überklebt. Dorothy Iannones, auf den ersten Blick an die weitaus bekanntere Künstlerin Niki de Saint Phalle erinnernden, farbenfrohen Figuren, entwickeln beim genaueren Hinsehen aber einen viel intensiveren Sog als die gemütlich gerundeten Nana-Figuren der französischen Bildhauerin. Sehr offen erzählen sie von alltäglichen Geschichten, die sich nicht nur über den Text vermitteln, sondern auch bildlich eindrucksvoll von Liebe, Lust und Glück oder auch Macht, Schmerz und Abhängigkeit berichten.
Eine ihrer wohl innigsten Liebesbeziehungen verband Dorothy Iannone mit dem Fluxus-Künstler Dieter Roth (seit kurzem wieder durch die Inszenierung seines aus einem Wort bestehenden Stücks Murmel Murmel von Herbert Fritsch an der Berliner Volksbühne bekannt geworden). Roth wurde für sie eine Quelle der Inspiration und männliche Muse zugleich. In der Ausstellung wird der Beginn dieser Lovestory in Form eines meterlangen, reich bebilderten und mit Texten versehenen Leporellos vor dem Betrachter ausgebreitet. Retrospektiv angelegt, reflektierte Dorothy Iannone hier wie in einem Bild-Tagebuch ihre Eindrücke und Gefühle vom schweren Ende und dem Neubeginn einer Liebe. Und so sollte sie es auch weiterhin tun. Als Iannone sich 1974 wieder von Roth trennte, verarbeitete sie auch diesen Einschnitt in ihr Leben künstlerisch. Aua, Aua heißt eine ihrer zahlreichen Installationen aus bemalten Sperrholzboxen, mit Videoscreen und Kassettenrekorder. Selbst noch im Jahr 2000 klagt Iannone in einem Bild: „Miss My Muse“.
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Dorothy Iannone, Love The Stranger, 1981; Privatsammlung Schweiz, © Dorothy Iannone, Foto: Friedrich Rosenstiel
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Die reich bemalten Speaking oder Singing Boxes nehmen einen nicht unbedeutenden Raum in der Ausstellung ein und vermitteln neben den Bildern eine weitere interessante Facette in Dorothy Iannones Schaffen. Warmherzig aber mit viel Ironie ist hier auch ihre Stimme zu vernehmen, beim Singen von Brechtsongs (z.B. dem "Surabaya Johnny"), dem Huldigen ihrer Hassliebe Berlin ("Du hast keine Ahnung wie schön Du bist Berlin") oder in der Videobox Follow Me bei einer Ansprache an die Männer. Iannone beschwört hier eine mythische, in die Zukunft weisende matriarchalische Ära. Eine Art Goldenes Zeitalter, in dem die Frauen zentrale gesellschaftliche Rollen einnehmen werden. The Next Great Moment in History is Our heißt eines ihrer Bilder von 1970. Eine Ikone der "Women‘s Liberation" ist Dorothy Iannone dennoch nicht geworden. Wenn sie mit ihrer expliziten Kunst auch immer wieder auf Ablehnung stieß, bleibt die Künstlerin doch auch weiterhin um Ausgleich bemüht. Die Zeiten von Zensur, überklebten Genitalien oder zerstörten Kunstwerken sind allerdings noch immer nicht vorbei, und die von Iannone, in ihren Kunstwerken angestrebte Human Liberation noch bei weitem nicht überall erreicht.
Neben den vielen psychedelisch-ornamentalen Bildern, Schrift- und Klang-Objekten sind auch viele der Künstlerbücher von Dorothy Iannone zu sehen. Auffallend hier vor allem The Berlin Beautys aus den Jahren 1977/78. In einem comicartigen Langgedicht preist sie hier die Sehnsucht nach Liebe anhand des fiktiven Liebhabers Danton. Hatte sich Dorethy Iannone bereits seit den 1970er Jahren mit mythischen Motiven (Kleopatra, Venus, Penthesilea und Achilles) beschäftigt, wendet sie sich in den 1980er Jahren dem tibetischen Buddhismus zu. Ihre nun an indische Vorbilder gemahnende Malerei bekommt dabei eine stark Mantra-artige Bildsprache. Hier heißt es u.a. Om Ah, Hum (Ein Mantra zur Reinigung), Let The Light From My/Your Lighthouse Shine On You/Me, Love The Stranger oder einfach nur Yes. Eine fröhliche, lebensbejahende Kunst. Die Ausstellung schließt mit mehreren flachen, farbig bemalten Sperrholzskulpturen, die Stills aus Lieblingsfilmen der Künstlerin wie The Piano oder Brokeback Mountain darstellen. Mit den Movie-People aus den Jahren 2009/10 greift Dorothy Iannone ihre Cutout-Werkserie People aus den 1960er Jahren wieder auf. Der Katalog zur Ausstellung ist eine wunderbare Ergänzung zur Vertiefung in diese zeitlos schönen Bilderwelten.
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Dorothy Iannone, Brokeback Mountain, aus der Serie Movie People, 2010; Courtesy die Künstlerin, Air de Paris, Paris, und Peres Projects, Berlin, Foto: Hans-Georg Gaul
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Bewertung:
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Stefan Bock - 25. Februar 2014 ID 7634
Berlinischen Galerie
Landesmuseum für Moderne
Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124–128
10969 Berlin
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinischegalerie.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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