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Ausstellung

24. 10. 2013 - 27. 1. 2014 | Berlinische Galerie

WIEN BERLIN

Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz


Gustav Klimt, Johanna Staude (unvollendet), 1917/18 - Belvedere, Wien, © erloschen



Die Berlinische Galerie zeigt in einer großen Schau bildende Künstler aus beiden, geschwisterlich miteinander verbundenen Städten

„Was Berlin von Wien auf den ersten Blick unterscheidet, ist die Beobachtung, daß man dort eine täuschende Wirkung mit dem wertlosesten Material erzielt, während hier zum Kitsch nur echtes verwendet wird.“
Karl Kraus, Von zwei Städten (aus Pro Domo et Mundo, Aphorismen V., 1912)



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Was der Wiener Karl Kraus vom Moloch Berlin hielt, hat er in mehreren gallig scharfen Aphorismen verdeutlicht. Aber auch Wien kommt bei ihm bekanntlich nicht viel besser weg. Kraus muss es wissen, er hat in beiden Metropolen eine nicht unerhebliche Zeit zugebracht. Und so war er auch dem heute in beiden Städten gleichermaßen als Malerfürsten anerkannten Gustav Klimt nicht sonderlich gewogen und übte scharfe Kritik an dessen überbordender Ornamentik. Um Klimts umstrittene Fakultätsbilder für die Wiener Universität entbrannte sogar ein regelrechter Kritikerkrieg mit dem Klimt-Verteidiger Hermann Bahr.

Die Beziehungen Wien-Berlin sind in Sachen Theater, Literatur, Musik bereits hinreichend geklärt. Dramatiker, Theaterregisseure, Schriftsteller und Komponisten wie Gerhart Hauptmann, Max Reinhardt, Joseph Roth und Hanns Eisler stehen dafür mit ihren Werken. Die in beiden Metropolen beginnende Durchsetzung der Psychoanalyse von Sigmund Freud tat ihr Übriges zur engeren Verbandelung von Wien und Berlin. Wie es dabei um die Beziehungen der bildenden Künstler an Donau und Spree stand, zeigt nun eine große Ausstellung, die am 23. Oktober feierlich in der Berlinischen Galerie eröffnet wurde.

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Unter den Wiener Malern sind Gustav Klimt und sein legitimer Nachfolger Egon Schiele über die Grenzen beider Metropolen hinaus stadtbekannt. Ihre gezeigten Werke sind in den Museen Wiens ein steter Publikumsmagnet. Hier endet aber auch zumeist die Kennerschaft des deutschen Wienbesuchers - ähnlich dürfte es wohl auch dem Wiener Gast hinsichtlich vieler der Berliner Künstler gehen. Dass nun ausgerechnet die im Großschatten des Jüdischen Museums gelegene Berlinische Galerie mit jenem Halbwissen aufräumt, ist löblich und ein guter Grund, sich ein paar Schritte weiter in die Alte Jakobstraße zu begeben.

Einen ziemlich ähnlichen Kampf gegen die vorherrschende akademische Kunstauffassung sowie antisemitische Ressentiments in Deutschland hatte bereits etliche Jahre vor Gustav Klimt der Berliner Maler Max Liebermann bezüglich seines Gemäldes Der zwölfjährige Jesus im Tempel auszufechten. Eine erste echte Gemeinsamkeit also zwischen den um die Jahrhundertwende mit ihren Werken in die Moderne aufbrechenden Künstlern aus Wien und Berlin. Die nun in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Galerie Belvedere organisierte Schau Wien Berlin. Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz beginnt dann auch mit den Malern der Wiener und Berliner Secessionen. Wie selbstverständlich hängen da ein Selbstbildnis Max Liebermanns, des führenden Malers der Berliner Secession, und ein Portrait des besagten Kunstkritikers Hermann Bahr von Emil Orlik einträchtig nebeneinander.

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Aus Sicht des Kurators Dr. Ralf Burmeister sind Wien und Berlin zwei Metropolen, die sich zwar geschwisterlich ähneln, wie Geschwister aber auch ein sehr unterschiedliches Temperament haben. Wobei Berlin dabei der Part des Stürmischeren, Direkteren zukäme, Wien dagegen zurückgenommener und feiner im Stil sei. Und so lassen sich in den hier ausgestellten Werken bei ähnlicher Motivwahl doch immer auch Unterschiede in der Grundstimmung der Sujets oder Mentalität der Portraitierten feststellen.




Ernst Ludwig Kirchner, Frauen auf der Straße, 1915 - Von der Heydt-Museum, Wuppertal © erloschen

Otto Dix, Der Dichter Iwar von Lücken, 1926 - Berlinische Galerie © VG Bild-Kunst, Bonn 2013, Reproduktion: Kai-Annett Becker

Jeanne Mammen, Revuegirls, 1928/29 - Berlinische Galerie © VG Bild-Kunst, Bonn, 2013, Reproduktion: Kai-Annett Becker



Neben dem dunkel leuchtenden Waldsee-Gemälde Aus der Mark von Walter Leistikow hängt ein helles Birkenwäldchen im Abendlicht von Carl Moll. Neben der nächtlichen Berliner Straßenszene von Lesser Ury sieht man eine Donaulände im Sommer von Franz Jaschke. Einerseits harter Realismus der Wärmehalle in Berlin von Jens Birkholm, andererseits ein eher pfiffig wirkender Wiener Pülcher von Josef Engelhart. Der Berliner Hans Baluschek und der Wiener Ferdinand Andri zeigten dagegen beide die ländliche und städtische Bevölkerung in stimmungsgeladenen Alltagsszenen.

Die Unterschiede erschöpfen sich dann auch nicht allein in hell oder dunkel, gefühlvoll oder rau. Wie in Strudel und Pfannkuchen mancherlei stecken kann, so ist die Beziehung beider Städte auch entsprechend vielgestaltig, beeinflussten sich die Kunst-Stile und befruchteten sich unterschiedliche Strömungen an Donau und Spree wechselseitig. Von einem ersten Austausch zeugt hier ein Plakat von Julius Klinger zur Wiener Kunstschau von 1916 in der Berliner Secession. Während die Berlinerin Käthe Kollwitz mit ihren Grafiken auch in Wien gegen den Hunger anmahnte, ging der Wiener Emil Orlik 1905 nach Berlin, wurde dort Mitglied der Secession und Professor an der Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums. Zu seinen Schülern gehörten so bekannte Künstler wie Georg Grosz und Hanna Höch. Für ein Gastspiel des Deutschen Theaters mit Hauptmanns Webern in Prag und Hamburg gestaltete Orlik das Plakat.

Der in Wien vorherrschende Jugendstil wird vom Berliner Maler Fidus aufgenommen. Architektur und Design der Wiener Werkstätten drängen nach Berlin. Mit Kolomann Moser ist ihr wohl wichtigster Vertreter mit einigen Werken zu sehen. Und eine kleine verspätete Reminiszenz zum in Berlin so gut wie unbeachteten Klimt-Jahr 2012 wird hier zum Ereignis. Die groß gemusterte Bluse der Johanna Staude ist im Original sowie im gleichnamigen Ölbild von Gustav Klimt zu bewundern. Ihr zur Seite gestellt ist die schwungvolle Tänzerin Baladine Klossowska, Schwester des in Paris und Berlin arbeitenden Malers Eugen Spiro.

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Der Expressionismus hält 1910 in Wien mit dem Maler Oskar Kokoschka Einzug und drängt via Herwarth Waldens Wochenschrift Der Sturm ins avantgardistische Berlin. Eine große Vitrine zeigt Ausgaben jener Jahre. In der boomenden Metropole sind bereits die Maler der Künstlervereinigung Die Brücke am Werk. Ernst Ludwigs Kirchners Frauen auf der Straße hängen in der Ausstellung neben weiteren ausdrucksstarken Bildern der Brücke-Künstler Max Pechstein und Erich Heckel. Ihnen gegenübergestellt sind die nicht minder farbgewaltigen Wiener Expressionisten wie Herbert Boeckl, Anton Kolig oder Oskar Kokoschka mit seinem Bildnis der Nell Walden. Da darf natürlich auch William Wauers kubistische Bronzebüste Bildnis des Herwarth Walden aus der Berlinischen Galerie nicht fehlen.

Wie ein Solitär zwischen all dieser expressiven Farbigkeit wirkt da das sparsame und dennoch ausdrucksstarke Bildnis des Verlegers Eduard Kosmack von Egon Schiele. Daneben ein Schiele-Portrait von Max Oppenheimer. Schiele hatte seinen Wiener Malerkollegen im gleichen Jahr ebenfalls porträtiert. Eine Entdeckung auch die von 1913 bis zu ihrem Tod in Wien lebende deutsche Malerin Helene Funke mit ihrem sinnlichen an den Pariser Fauves geschultem Frauengruppenbildnis Träume.

1914 zog ein Großteil der Wiener und Berliner Künstler zunächst begeistert in den Ersten Weltkrieg. Ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiteten sie dabei ganz unterschiedlich. Sehr direkt zeigen die grafischen Mappenwerke des Berliners Georg Grosz die Kriegsgreuel. Ludwig Meidner malte düstere Untergangsszenarien wie Apokalyptische Landschaft und Jüngster Tag. Noch mehr mit Symbolik aufgeladen sind die Werke der Wiener Maler wie Ludwig Heinrich Jungnickel mit seinem Gemälde Die Sintflut und Fritz Schwartz-Waldegg als Vertreter der Verlorenen Generation der Zwischenkriegszeit mit seinem aufwühlenden Selbstbild Bekenntnis.

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Gestreift wird auch die in den 1920er Jahren in Berlin entstandene Avantgardekunstbewegung des Dada. Mit ihren reichen Beständen an Grafiken, Collagen, Ölbildern und Objekten von Georg Grosz, Hanna Höch und Raoul Hausmann kann die Berlinische Galerie hier aus dem Vollen schöpfen. Dada blieb allerdings in Wien ebenso unbeachtet wie der in Wien aufkommende futuristische Kinetismus kaum Nachahmer in Berlin fand. Die Wiener Avantgarde erreichte immerhin noch mit der Malerin und angewandten Künstlerin Friedl Dicker sowie dem Schweizer Maler und Kunsttheoretiker Johannes Itten das Weimarer Bauhaus. Bemerkenswert ist hier in der Berliner Schau aber vor allem die in Deutschland relativ unbekannte Wiener Künstlerin Erika Giovanna Klien mit ihren futuristischen Großstadtbildern von Menschen und Maschinen sowie der comicartigen Bildergeschichte Klessheimer Sendbote.

Einen besonders großen Raum nimmt in der Berlinischen Galerie natürlich die Zeit der Neuen Sachlichkeit ein. Eine klar vermutete Domäne der Berliner Künstler der 1920er und 30er Jahre wie Otto Dix, Rudolf Schlichter, Christian Schad und Jeanne Mammen. Ihren bekannten Portraits werden Wiener Realisten wie Herbert Ploberger, Rudolf Wacker und Albert Paris Gütersloh, Lehrer und Vater der nach dem Zweiten Weltkrieg aufstrebenden Wiener Phantasten um Ernst Fuchs, und Wolfgang Hutter gegenübergestellt. Franz Lerchs Schlafendes Mädchen korrespondiert hier wunderbar mit Karl Hofers Ruhendem Mädchen. Die Wiener Straßenszenen des Grafikers Wilhelm Traeger stehen Max Beckmanns Berliner Reise in nichts nach, und der Pressezeichner B. F. Dolbin karikierte Wiener und Berliner Theatergrößen wie Max Reinhardt, Bertolt Brecht, Lotte Lenya, Fritz Kortner und Alfred Kerr.

Die Ausstellung schließt mit den bedrückenden Bildern der unter den Nazis im KZ ermordeten Felix Nussbaum und Friedel Dicker-Brandeis und kann dann noch einmal mit dem vor einem Jahr im Kunsthandel wieder aufgetauchten Bildnis Im Gasthaus von Lotte Laserstein punkten, das sich nun im Besitz einer Privatsammlung befindet. Laserstein konnte 1937 noch rechtzeitig nach Schweden emigrieren. Schon 1930 wehte eine Art melancholische Vorahnung durch ihre Tischgesellschaft Abend über Potsdam. Hier ist man aber noch längst nicht am Endpunkt der Wien-Berlin-Connection. Die Ausstellung verlangt förmlich nach einer Fortsetzung. Auch in der Nachkriegsmoderne ließen sich noch so manche Gemeinsamkeiten und Gegensätze finden. Die Berlinische Galerie muss sich hierfür nur nach weiteren Partnern in Wien umsehen. Ein erster Schritt ist mit dieser großartigen Schau getan.


Bewertung:    



Stefan Bock - 1. November 2013
ID 7306
Berlinische Galerie
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin


Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinischegalerie.de/de/ausstellungen-berlin/aktuell/wien-berlin/


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