11. Mai bis 23. Juni 2011 - Grand Palais, Paris
MONUMENTA 2011 - Leviathan
Skulptur von Anish Kapoor
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Leviathan ist der Name eines biblischen Seeungeheuers, das in der christlichen Mythologie mit dem Teufel assoziiert wird. Es steht für außerordentliche Zerstörungskraft, die erst am Tag des Jüngsten Gerichts überwunden werden soll. Heute verbindet man den Begriff eher mit der tierischen Natur des Menschen, seiner unkontrollierten, dunklen Seite. In dem Buch Leviathan von Thomas Hobbes aus dem Jahr 1651 wird die Unvermeidlichkeit dieses menschliches Aspekts auf den Staat übertragen, die Gesellschaft sei geprägt durch den „Krieg von jedem gegen jeden“.
Inwieweit sich der Besucher des Grand Palais’ mit seiner dunklen Seite konfrontiert sieht, hängt ganz von seiner Persönlichkeit und seinen Lebenserfahrungen ab. Das Grand Palais ist mit 5000 qm, 240 Metern Länge und einer Höhe von bis zu 44 Metern ein gewaltiger Bau aus Glas und Stahl aus der Belle Époque. Hinter dem Eingang befindet sich eine winzige Drehtür, durch die sich der Besucherstrom durchkämpfen muss. Direkt dahinter ist es ein wenig abschüssig, so dass man buchstäblich in die Installation hineinstolpert. Man befindet sich in einer riesigen, in sich geschlossenen Räumlichkeit, die keine reinen geometrischen Formen hat, sondern eher organisch wirkt. Der zu Fuß betretbare Raum macht etwa 20 % der Gesamtfläche aus, die sich nach vorne, nach rechts und links ausdehnt. Diese Ausbuchtungen sind mit 37 Höhe und 100 Metern Länge so hoch und weit, dass die Menschen sich darin verschwindend klein ausmachen. Die rötliche Farbe und Helligkeit wechselt mit der Bewölkung und dem Licht, das durchscheint. Bei starker Sonneneinstrahlung sind die Schatten der Stahlstreben gut zu erkennen, bei Dunkelheit könnte es sehr bedrohlich wirken.
Diese Installation ist auf jeden Fall eine physische Erfahrung, weil die Besucher sich direkt in ihr befinden. Sie hat aber auch eine seelische Komponente, weil man angesichts der Dimension dieses Kunstwerks ein Stück weit auf sich selbst zurückgeworfen wird. Die Wirkung kann Angst oder Beklemmung hervorrufen oder aber ein Aufgehobensein wie im Mutterleib. Auf jeden Fall muss der Besucher sein eigenes Ich in Relation zu der schieren Wucht des ihn umgebenden Raumes setzen.
Anish Kapoor erklärt dazu: „Ich glaube, dass es keinen wirklich unschuldigen Betrachter gibt. Alles Gesehene und alles Schauen geschieht mit Komplikationen, kommt mit einer Vorgeschichte einher, einer mehr oder weniger realen Vergangenheit. Abstrakte Kunst und Bildende Kunst im Besonderen, muss dem Umstand Rechnung tragen, dass der Betrachter mit seinem Körper kommt und natürlich auch mit seiner Erinnerung. Erinnerung und der Körper werden beim Betrachten zusammengeführt.“
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Anish Kapoor im Grand Palais vor seiner Skultur Leviathan - Foto (C) Heymann/Renoult
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Der Mensch im Inneren von Leviathan - Foto (C) Heymann/Renoult
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Nachdem man die Installation durch die enge Drehtür wieder verlassen hat, kann man das Grand Palais betreten oder besser gesagt, was davon noch übrig ist. Die Skulptur nimmt einen großen Teil des Gebäudes ein. Nun kann man sie in Beziehung zum sie umgebenden Bauwerk und zur Außenwelt betrachten, was sich völlig anders anfühlt, als wenn man von ihr „verschluckt“ worden ist.
Anish Kapoor wurde 1954 in Indien geboren, lebt seit 1972 in London und ist der vierte zeitgenössische Künstler nach Anselm Kiefer, Richard Serra und Christian Boltanski, der eine Ausstellung für die Monumenta konzipiert hat. Kapoors langjähriger Kurator Jean de Loisy erklärt: „Wie auch die anderen Skulpturen des Künstlers lädt uns diese Arbeit dazu ein, ein völlige physische und geistige Erfahrung zu machen, eine sinnliche Vereinnahmung, die durch die dreigeteilte Gestaltung entsteht und uns die drei wesentlichen Themen des Künstlers vor Augen führt: eine Reflexion über Raum aus philosophischer Sicht, ein Kommentar über die Vorstellungskraft und eine gewisse Unwirklichkeit.“
Während ein an der Wand hängendes Gemälde in einem Museum ein distanziertes Betrachten möglich macht, kann man sich dieser Art der Bildenden Kunst nicht entziehen. Man kann nicht ob eines genialen Pinselstrichs oder der Farbwahl eines Bildes in Verzückung geraten. Bei Leviathan gibt es nur eine Farbe und die wechselt mit der Lichteinstrahlung durch das Glasgebäude. Es ist auch nicht nötig, etwas über den Künstler, sein Schaffen und seine Absicht zu lernen. Kapoor steht bewusst hinter seinen Skulpturen zurück. Damit erlaubt er den Betrachter, eine Erfahrung über sich selbst zu machen.
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Helga Fitzner - red. 14. Mai 2011 ID 00000005202
Weitere Infos siehe auch: http://www.monumenta.com
E-Mail an Helga Fitzner
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