Im MUDAM
Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean, Luxemburg
2 Ausstellungen als Schnittstellen zwischen Kultur, Natur und Wissenschaft, die sich der Schutzbedürftigkeit unseres Planeten widmen
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Foto (C) Helga Fitzner
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In Europa ging und geht man noch oft von einem Gegensatz zwischen Kultur und Natur aus, doch in Japan wird die Kultur schon traditionell als ein Mittel verstanden, das sich auf die Natur bezieht, sie weiterführt, verfeinert und zu ihrer höchsten Vollendung bringt. Darauf beziehen sich die Installationen des Japaners Susumu Shingu (*1937 in Osaka), der sich mit der Ausstellung Spaceship auf die Wirkung von Wind sowie die Wechselwirkung von Wind und Wasser konzentriert.
So erwartet die Besucher schon draußen im Park vor dem MUDAM die Arbeit Wind Caravan, wo Kultur und Natur in Harmonie miteinander existieren und Kunst keine abgehobene museale Angelegenheit ist, sondern mitten ins Leben gehört. Für die spektakuläre Grand Hall des MUDAM hat Shingu seinen Water Tree angepasst, der als Water Tree II bewegliche Wasserfontänen ausspeit. Die Bewegungen der großen röhrenförmigen Arme und das Plätschern von Wasser verleihen dem ganzen Museum eine einzigartige Atmosphäre.
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In der Grand Hall des MUDAM befindet sich das zentrale Stück der Ausstellung der Water Tree II | Foto: Helga Fitzner
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Shingu will mit seinen Skulpturen die unsichtbaren Kräfte der Natur sichtbar und hörbar machen. Die Installationen sind technisch sehr anspruchsvoll, und wegen ihrer Größe und Komplexität erfordert deren Bau technisches Knowhow und größte Sorgfalt. Das ist auch an den kleineren, sich wie im Wind bewegenden Skulpturen im abgedunkelten Teil der Ausstellung zu erkennen. Mit Little Flower, Little Cosmos und einigen anderen bezieht Shingu sich auf das, was in der Natur und im All zu sehen ist. Gedacht sind sie als Spiegel, denn bei Shingus dem Zen-Buddhismus ähnlichen Ideen geht es für den Menschen eigentlich darum, die eigene Natur zu schauen. Das erreicht Shingu mit Leichtigkeit, denn seine Installationen laden zum Schauen und zum Innehalten ein.
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Im abgedunkelten Ausstellungsraum befinden sich links Little Flower (2013) und rechts Little Cosmos (2014) | Foto: Helga Fitzner
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Der intellektuelle Zugang ist daher eher nebensächlich. Wer genug Zeit mitbringt, könnte sich stundenlang an den beweglichen Skulpturen erfreuen. Man kann in der Ausstellung fast genau so schön verweilen wie auf einer Waldlichtung, am besten die Zeit vergessen und sich der Meditation oder seinen Kontemplationen hingeben. Dabei vermag man die Little Flower (2013) bei ihren Bewegungen bewundern, sich im Rhythmus und den Schwingungen von Little Cosmos (2014), Diary of Clouds oder Ocean of Stars (beide von 2016) und etlichen anderen verlieren. Viele Kunstliebhaber stehen auf dem Standpunkt, dass Kunst nicht erklärt werden muss und sollte, und bei Shingu würde es vermutlich die Rezeption beeinträchtigen, wenn man seine Ausstellung zu rationalisieren versuchte. Shingu versteht sich als eine Art Kapitän, weswegen er die Ausstellung Spaceship genannt, das uns einen erweiterten Blickwinkel ermöglicht.
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Shingu will Orte der Begegnung schaffen, den Menschen die Schönheit der Natur vermitteln und sie zum Schutz des Planeten Erde anregen. Das hat der deutsche Regisseur Thomas Riedelsheimer im Jahr 2012 in der grandiosen Dokumentation Breathing Earth gezeigt und Shingu zu Hause und auf seinen Reisen mit der Kamera begleitet.
Die Dokumentation hat zwar keinen unmittelbaren Bezug zur Ausstellung im MUDAM, aber die Person und das Werk des japanischen Altmeisters Susumu Shingu werden erhellt. Mit Breathing Earth hat Riedelsheimer einen unvergleichlichen Film über den zurückhaltenden Künstler erschaffen, der die fernöstliche Botschaft seiner Kunst auch für westliche Zuschauer verständlich macht. Shingu sagt darin, dass seine Werke im „Dialog mit der Natur“ entstünden und er „die Botschaften der Natur in Bewegung“ übersetze. „Der Rhythmus der Natur, der Wind, das Wasser, die Schwerkraft, diesen natürlichen Energien will ich durch meine Werke Ausdruck verleihen“, erklärt Shingu. Der Wind ist für ihn das Absolute und er fasziniert ihn, weil er frei ist. Wenn die Erde ein Lebewesen sei, dann wäre der Wind der Atem der Erde, sinniert er und „das Wasser ist ein Spiegel, der die verschiedenen Dinge reflektiert“. Wir sind von der Natur abhängig, ignorieren das aber immer wieder, doch zwischen Mensch und Natur könne es nicht der Mensch sein, der die Regel vorgäbe, meint Shingu.
Riedelsheimer (Regie, Kamera und Schnitt) ist ein atmosphärisch dichter, künstlerisch anspruchsvoller und dabei auch noch unterhaltsamer Film gelungen, der nicht nur von wunderbaren Bildern lebt, sondern auch von der bewegenden Musik von Stephan Micus getragen wird.
Bewertung:
Das Niemandsland No Man's Land hat manchmal sogar einen Vorteil: Zwar entsteht es oft aufgrund von Katastrophen oder zwischen feindlichen Ländern, aber es ist von Menschenhand weitgehend unberührt. Dort kann sich die Natur mitunter ungehindert entfalten. So „begrüßt“ am Eingang der Ausstellung ein Karren mit einem Minigewächshaus. Mobile Bio – Type Jungle hat Mark Dions sein Werk genannt, mit dem er die Schutzbedürftigkeit unserer Umwelt thematisiert. Er ist einer von insgesamt 15 KünstlerInnen, die sich dem Thema „Naturräume, Versuchsfelder“ gewidmet haben, und gleich daneben demonstriert Mel Chin mit Revival Field auf die Selbstheilungskräfte der Natur. Chin hatte einmal in St. Paul, Minnesota, USA, in einer kontaminierten Gegend ein Versuchsfeld mit hyperakkumulierenden Pflanzen angelegt, die die Fähigkeit besitzen, Schwermetalle aus dem verseuchten Boden auszuleiten. Im MUDAM erinnert ein rundes Metallgestell an diesen Erfolg, das in der klassischen Form eines Klostergartens gebaut ist.
Die Arbeiten sind zwischen Wissenschaft und Kunst angesiedelt. Die Installation Prelude to the Collapse of the North Atlantic von Brandon Ballengée wirkt wie ein Labor, in dem in Gläsern eine Sammlung von Meeresbewohnern zusammengestellt ist. Das bezieht sich auf die Überfischung und zeigt auf der einen Seite die Artenvielfalt, wobei hier nur fünf Prozent vertreten sind. Die Pyramidenform jedoch wählte er als Anspielung auf den Tod, da Pyramiden als Grabstätten dienen und viele Spezies im Nordost-Atlantik vom Aussterben bedroht sind.
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Brandon Ballangée, Nordost-Atlantik, Collapse, 2013, in Zusammenarbeit mit Todd Gardner, Jack Rudloe, Brian Schiering und Peter Warny | © Foto : Laurence Godart, mit freundlicher Genehmigung der Nowhere Gallery Mailand
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Die radioaktiv verstrahlten Gegenden in Tschernobly und Fukushima hatten dagegen derzeit noch keine Chance, sich zu regenerieren. Hélène Lucien und Marc Pallain legten in Fukushima unbelichteten Röntgenfilm aus. Diese Chronoradiogramme machen die Radioaktivität auf eigentümliche Art sichtbar. Weniger spektakulär, aber genau so schockierend sind die Bilder von Käfern und Blättern aus Tschernobyl, die Cornelia Hesse-Honegger über Jahre gesammelt hat. Bei den kleinen Objekten sind die Mutationen und Deformationen nur erkennbar, wenn man genauer hinschaut. Das schult auf jeden Fall den Blick für die entsetzlichen Details.
Diese und andere Exponate und Installationen sollen laut Katalog „zum Nachdenken über die enge Verquickung von individueller und kollektiver Verantwortlichkeit“ anregen, die noch von Werken anderer KünstlerInnen ergänzt werden.
Bewertung:
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Helga Fitzner - 7. Juni 2018 ID 10739
Spaceship von Susumu Shingu
17. Mai 2018 bis 6. Januar 2019
SPACESHIP
No Man's Land. Naturräume, Versuchsfelder
27. April bis 9. September 2018
NO MAN’S LAND
http://www.mudam.lu
Post an Helga Fitzner
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