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Portrait


JUNE PAPINEAU



Foto (C) June Papineau


Marsyas & Co.

Etournel: Ein Ausflug mit der Installationskünstlerin und Malerin June Papineau in ihr Moor


Feste Schuhe, lange Hose, langärmelige Bluse, Kopfbedeckung und Mückenspray mitbringen - war die Antwort von June Papineau auf unseren telefonisch geäußerten Wunsch, mit ihr in den Etournel zu fahren. Ein Moor-Biotop im französischen Jura, nur ca. 30 Kilometer und 35 Autominuten von Genf entfernt. Wir müssen früh weg, sagte sie, machen uns dann aber doch zu spät auf den Weg und erreichen bei größter Hitze den Parkplatz. Die ersten 10 Minuten spazieren wir ohne Hindernisse und gemütlich über Monet-Wiesen, an einem See mit Schwan vorbei; überall heile Welt und Leberblümchen, Erika, Disteln, Blumen und Pflanzen, die man nicht mehr jeden Tag sieht. Leicht übertrieben, ihre Panikmache, denke ich mir, und prompt verlassen wir zur Strafe den Weg und schlagen uns buchstäblich ins Gebüsch und somit aus der Zivilisation. Das Buschmesser hat sie vergessen zu erwähnen, war mein nächster Gedanke! Wir überqueren den schlammigen „Styx“, der Dank der großen Hitze nur wenig Wasser führt und wir daher fast nicht nass werden. Weiter geht es durchs abenteuerliche Dickicht à la Indiana Jones, kein Ende abzusehen, wir schwitzen, eingepackt wie wir sind, vor uns nur höllischer Tann und Dornen - bis wir ihn dann unerwartet und wie aus heiterem Himmel vor uns sehen den great goyesco. Fast weiß, wie ein großes vielarmiges Monster, schlängelt es sich uns entgegen: das hier ist nicht nur ein Stamm; dieser Baum ist filigran, verästelt, vernobbt und verzweigt, und wir fragen uns im Stillen, wie sie dem hier wohl die Haut abziehen will, die sie ihm in wochenlanger Arbeit angezogen hat und vor allem, wie er heil aus diesem Dschungel kommen soll.




Foto (C) Christa Blenk



Auf dem Rückweg begegnen wir überall alten Bekannten von ihr: Bäumen, deren Haut, Haar und Seele sie schon abtransportiert hat. Man sieht ihnen diese Bearbeitung aber nicht mehr an, June erkennt sie trotzdem. Den großen Hexenbaum mantic skin hat sie im Frühjahr d.J. in Frankreich ausgestellt; er sieht nach der Umwandlung aus wie ein Bürger von Rodin. Nach weiteren fünf Minuten Kampf mit den Lianen, Mücken und dornigem Gestrüpp treffen wir auf Dr. Vengos' tree, dann auf Alderskinn etc. Ich denke an William Blakes Ölgemälde von Vergil und Dante im Wald, und ein wenig fühlen wir uns auch so, nur dass diese Bekanntschaften auf dem Pfad ins Paradies keine ehemaligen Florenzbewohner sind, sondern Bäume, die von June Papineau verkleidet, entkleidet und nach Hause gebracht wurden.

Heiß ist es, normalerweise fährt sie im Morgengrauen dorthin, arbeitet bis zu 10 Stunden, bevor sie den 35-minütigen Fußweg und die Rückfahrt nach Genf antritt. Manchmal kommt sie auch erst in der Dämmerung an, zwischen „chien et loup“, wie die Franzosen sagen. Furcht kennt sie nicht, mittlerweile identifiziert sie die Geräusche und versteht die immer wechselnden Licht – und Schattenspiele bei jeder Witterung.


*


Das Moor von Etournel ist seit 2004 fast zu ihrem Atelier geworden. Great goyesco, als er noch ein stolzer Weidenbaum war und keinen Namen hatte, wurde vom Hurrican im Jahre 2000 entwurzelt. June Papineau hat dieses Biotop 2004 entdeckt und die gefallene Weide ein paar Jahre später gefunden. Auf dem Weg zu diesem Meisterstück hat sie diese anderen Gesellenstücke hervorgebracht. Die orakelhafte Mantic Skin ist der Abdruck einer Erle, und June zitiert den Erlkönig. Es spukt.




Foto (C) Christa Blenk



"Die Tragödie besteht darin, dass sich der Baum nicht biegt, sondern bricht", sagt Ludwig Wittgenstein. Great goyesco hing jahrelang schräg zwischen Himmel und Erde, bis er vor kurzem ganz gefallen ist und „reif“ war für sie. Seitdem arbeitet sie an ihm. Er ist – abgesehen von einem großen Sequoia-Baum in Genf – der erste nicht lebende Baum, dem sie eine Haut schneidert. Ihre angelsächsische Vergangenheit und der Einfluss der Elfen, Wichte und Laubfrauen in den Rocky Mountains, mit denen sie schon als Teenager Bekanntschaft geschlossen hatte, machen sie zu einer Mischung aus Dr. Faustus und Hekate; so versucht sie mit ihrer Zaubermischung aus Porzellan-Ton, Methylcellulose, weißem Kleber, Jurasalz, Mullbinden und Propylenglykol, die Baum-anima einzufangen. Mittlerweile hat sie diese Mischung so perfektioniert, dass ihre Baumhaut-Kunstwerke biegsam bleiben.

Geduldig und bedächtig trägt sie nach anthroposophischer Manier die Zauber-Tinktur auf; und Wochen später - wie eine Anakonda sich häutet – streift sie ihrem Baum das maßgeschneiderte Kostüm wieder ab und wendet es. Was wir letztendlich zu sehen bekommen, ist das Negativ eines Positivs, das ursprünglich als Negativ auf dem Baum lag. Ab und zu bleibt ein wenig vom Bart der Baumrinde hängen.

Beeindruckend der Prozess, wie June Papineau auf diese Weise einen konkreten Lebens- oder Wachstumsmoment des Baumes für immer festhält - und genauso beeindruckend die Künstlerin: „Wir sind sehr verletzbar!“ sagt sie. Vielleicht sucht sie selber so etwas wie eine Schutzhaut. Ein Narr sähe nicht denselben Baum, den ein Weiser sieht, hat William Blake gesagt. Was June antreibt und ihr die Kraft gibt, in dieser Fast-Hölle wochenlang diese Baumkleider zu nähen und zu warten, bis der Trockenprozess abgeschlossen ist, können wir nur verstehen, wenn wir dann das Endprodukt sehen. Ihre „tree skins“ sind wirklich betörend, magisch und herrlich, eben weil die Häute oder Felle manchmal an Ungeheuer und seltsame Fabelwesen erinnern, die dann z.B. Marsyas heißen.


* *


Menschen kommen dort keine mehr vorbei. Dass wir aber nah an der Grenze zu ihnen sind, merken wir, wenn ab und zu, je nachdem wie der Wind geht, der TGV von Genf nach Lyon vorbei saust. Ansonsten ist da höchstens das Rascheln des Windes und das Surren und Schwirren der Moskitos. Die Plastikhandschuhe nimmt sie nur ab, um Fotos zu machen und dann ist sie auch gleich Opfer dieser kleinen Dinosaurier.




Foto (C) Christa Blenk



"Glück und Unglück sind Namen für Dinge, deren äußerste Grenzen wir nicht kennen", sagt John Locke. June Papineau sucht sie, diese äußeren Grenzen. Sie will sie auskundschaften und verhindern, dass sie überschritten werden. Sie ist eine Gratwandlerin, besessen und fasziniert davon und bezeichnet sich selber als „limitroph“. Ihre Antennen sind sensibler als unsere, und sie steckt voller mystisch-primordialer Poesie.


* * *


Wenn sie in ihrem mit getrockneten Mistelzweigen, Wurzeln, zukünftigen Mini goyescos und Steinen überfülltem Atelier in Genf arbeitet, sperrt sie optische Fasern auf Wachs in Reagenzgläser (sie nennt sie ihre "Blutegel"). Downstream, Poem Pieces und Limitrophisme heißen ihre Installationen. 2002 hat sie Geneva Petri Dishes geschaffen - diese Installation besteht aus 88 Petrischalen, jede davon hat 12 cm Durchmesser, in die sie verschiedene kartografische Fragmente der Stadt Genf der letzten 150 Jahre eingeschlossen hat. Passatges, eine Installation von 1996: Hier hat sie u.a. Gips-Tintenfässer nach Längen- und Breitengrad angeordnet, konform der Position der Leuchttürme (faros) auf den Balearen. Und dann natürlich ihre Skorpion-Bilder, bei denen die Bestien am liebsten das Bild verlassen würden, so nah lauern sie am Rande herum. Gerahmt sind diese Bilder nicht. Früher hat sie die Bäume nur fotografiert und die bearbeiteten Papyri in längliche Reagenzgläser einsperrt, diese mit Wachs luftdicht verschlossen und einen Federkiel drauf gesetzt.

Tief beeindruckt und fest entschlossen, bei der Vernissage im März 2014 in Lausanne mit dabei zu sein, kehren wir zurück: dann soll great goyesco dem Publikum vorgestellt werden. Vielleicht müssen aber auch alle Besucher mit Mückenschutz und Buschmesser in den Etournel fahren...



Christa Blenk - 7. August 2013
ID 7031
Die US-Schweizerin June Papineau ist in Manchester/Connecticut geboren, in den 70er Jahren hat sie im Gebirgsstaat Colorado gelebt, bevor sie am Bennington College in Vermont studierte. Über Paris kam sie 1986 nach Madrid, wo sie bis 1993 wohnte und arbeitete. Seit 1994 lebt sie mit ihrem Mann in Genf und hat sich dort gleich in den Jura verliebt. In Colorado hat sie in den Bergen gewohnt und Blumen verkauft. Vielleicht kommt die tiefe Verbundenheit zur Natur aus dieser Zeit.

Wenn die Dryaden und Elfen sie mal nicht in den Wald locken, arbeitet sie gelegentlich auch als Bühnenbildnerin für die Genfer Theaterszene.


Weitere Infos siehe auch: http://artmorphos.net/


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