TONI
SCHNEIDERS
"Schaut her!"
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Toni Schneiders, Kreta 1958 | (C) Stiftung F.C. Gundlach; Bildquelle: Wikipedia
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Die Faszination der Schwarz-Weiß-Fotografie: Drei Scheiben Graubrot auf einem Holzteller. Ein einfaches Motiv, scheinbar anspruchslos. Doch welch feine Strukturen, welch markante Schatten, was für eine spannende Raumaufteilung im Hell-Dunkel-Kontrast! Oder das winzige, doch leuchtend weiße Segelschiff mitten in der Tiefe einer riesigen anthrazitfarbenen Wasserfläche. Von weit oben wurde es damals fotografiert, so wie man das noch nicht gesehen hatte – als Chiffre für die Einsamkeit, aber auch den Augenblicksglanz menschlicher Existenz. Nun ist es groß aufgezogen auf einen Torbogen beim Kunstfoyer, nahe der Isar in der vornehmen Maximilianstraße, und es sagt: „Schaut her!“ Gezeigt werden noch bis Juni 2020 Aufnahmen von Toni Schneiders (1920-2006), einem der stilprägenden Fotografen der Nachkriegszeit. Einem, der sich als Handwerker verstand und doch ein Künstler war.
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Ausstellungskatalog zu Schaut her! Toni Schneiders Bildquelle: Steidl Verlag
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Zunächst jedoch wohl ein „zorniger junger“ Mann, dessen Entdeckung der eigenen Wirklichkeit einschlug wie eine „Atombombe im Komposthaufen der zeitgenössischen Fotographie“, so ein damaliger Kritiker. Mit Lungensteckschuss heimgekehrt aus dem Krieg, zu dem er mit 19 Jahren als Frontberichterstatter eingezogen worden war, wurde Schneiders Gründungsmitglied von fotoform. Damit gehörte er zur fotografischen Avantgarde seiner Zeit. Mit ihren grafisch gestalteten Aufnahmen nahmen die fotoform-Fotografen die Tendenzen der 1920er und frühen 1930er Jahre wieder auf, würdigten das Bauhaus. Noch war die Welt der Fotografie schwarz-weiß. Die avantgardistische fotoform machte aus dieser Reduktion eine besondere Qualität: Bilder aus Licht und Schatten, Kontrasten, Abstraktionen. Makroaufnahmen von magischen Wassertropfen, geheimnisvollen Luftblasen im Eis, zart gezeichneten Spuren im Schnee.
Schneiders ging weiter, übers Formale hinaus. Er nahm anders als seine Kollegen den Menschen ins Visier, empathisch und einfühlsam, entwickelte seine „subjektive Fotografie“. Sie porträtiert den Menschen in seinem Umfeld. Etwa eine vergleichsweise kleine wartende Frau hinter der großen, verregneten Scheibe eines Zugfensters, eine berühmte Aufnahme von 1951: Die Tristesse einer nochmal Davongekommenen in wunderbar abgestuften Grautönen. Oder den jungen melancholischen Stahlarbeiter. Er hält die glühenden Stahlschlangen in ihren dampfenden Bahnen auf Kurs. Schwerarbeit. Doch hinter ihm auf einer Wand mit Kreide hingekritzelt ein Cowboy. Die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer? Oder die durchaus humorvolle Serie der Zeitungsleser, oft sogenannte einfache Menschen auf der Straße, im Café. Was denken sie sich bei der Lektüre? Gesichtsausdruck und Körperhaltung verraten es, so wie Schneiders sie einfängt. Erst auf den zweiten Blick zu sehen ist die eine oder andere Schlagzeile. Schneiders stellt sie bewusst scharf. Etwa: Plastikbusen: Kein Scheidungsgrund.
Diese Leser hat Schneiders auf seinen vielen Reisen gefunden. Sie führten ihn oft monatelang im VW durch den Mittelmeerraum, nach Asien oder Skandinavien. In der Zeitschrift Merian veröffentlichte er erste Reisefotografien. Dabei war er nicht als Fotoreporter im aktuellen Sinne unterwegs. Ihm ging es um Typisches, Charakteristisches, ganz Eigenes von Land und Leuten. Seine Aufnahmen erschienen im Lauf der Zeit in fast 200 Bildbänden.
Die so gefunden Bedeutungslandschaften hat Toni Schneiders im Sinne von fotoform häufig abstrahiert und aufgelöst in klare Strukturen: Konturen, Kanten, Linien, Flächen. Weiden der Po-Ebene etwa, sauber in Reih und Glied verdoppeln sie sich in der Spiegelung des Wassers. Ein Pfad schlängelt sich glänzend und malerisch geschwungen durch ein Feld. Wasser oder Weg? Der Mensch ist in diesen Betrachtungen oft nur ein kleines Element der Komposition, etwa ein Schirm bei der Aufnahme kreuzförmig angeordneter Pflaster einer Straße in Dubrovnik, deren Muster Schneiders von oben aus sichtbar macht.
Das Besondere im Alltäglichen fand Schneiders immer auch in seiner Wahlheimat, der Stadt Lindau und dem Bodensee. Der radikale, doch liebevolle Blick durch seine Leica konzentriert sich aufs Wesentliche, lässt weg, beschränkt sich auch in späteren Jahren, als die Farbfotografie alles dominiert, am liebsten auf schwarz-weiß. So wirken seine Arbeiten gerade heute, in einer Zeit geradezu zwanghafter Buntheit, moderner an denn je.
Ein „Kleinstadtfotograf“ wollte er nicht sein. Und doch hat er dem Wasser und seinen Anrainern ein zeitloses Denkmal gesetzt. Auch heute noch könnte man - wenn man sich die Zeit nähme ganz genau hinzuschauen so wie er - kleine Jungen auf dem Fahrrad sehen, wie sie strahlend durch eine tiefe Pfütze radeln: siehe die Spritztour von 1961.
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Bildquelle: fcgundlach.de
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Petra Herrmann - 21. Februar 2020 ID 12012
Zu seinem 100. Geburtstag widmet die Stiftung F. C. Gundlach und das Kunstfoyer München dem bedeutenden Fotografen eine Gesamtschau, die ihn als Porträtist, als Reise-, Industrie- und Landschaftsfotograf neu entdeckt: Toni Schneiders. Retrospektive - noch bis zum 7. Juni 2020.
Weitere Infos zur Ausstellung Toni Schneiders. Retrospektive
Post an Petra Herrmann
petra-herrmann-kunst.de
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