NEUES MUSEUM NÜRNBERG
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Treppenansicht des Neuen Museums Nürnberg | Foto (C) Sandro Zimmermann
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„Eineinhalb Stunden haben Sie? Dann schaffen Sie auch noch die Sonderausstellung.“ Die freundliche Dame am Tresen überschätzt mich offenbar. Na, schaunmermal.
Ich habe zu Nürnberg ein gespaltenes Verhältnis. Dort habe ich mein (zweites) Berufsleben begonnen, dort habe ich meine (erste) große Liebe verloren. Und die ständige Vertauschung von „G“ und „K“ durch die Einheimischen ist für mich eine fast unentschuldbare verbale Entgleisung.
Aber der Vorabend (in der Mono-Bar, gleich nebenan) war schon nett, der Tag bisher nicht minder. Geben wir der Bratwurstmetropole eine Chance.
Man ahnt es bis zuletzt nicht, wenn man sich durch das dominierende fränkisch Rotliegende, das hier die Fassaden ziert, bewegt. Doch dann betritt man den zu diesem Zwecke 1999 entstandenen Clarissenplatz und wähnt sich plötzlich ganz woanders. Volker Staab hat hier einen Solitär geschaffen, der in der an Höhepunkten wahrlich nicht armen Museumsbaulandschaft seinesgleichen sucht. Eine transparente, hundert Meter lang konkave Fassade öffnet das Museum schon vor dem Betreten dem Besucher, es ist auch im Inneren spektakulär unspektakulär, alles hat einen Sinn, alles kommt ohne Schnörkel aus. Die Treppe, die die vier Ebenen miteinander verbindet, ist ein Gedicht, ach was, eine Ode an die sachliche Schönheit. Der Bau ist selbst sein schönstes Exponat.
(Dass den Staab-Architekten aus Berlin in Ahrenshoop ein ähnlicher wenn auch ganz anderer Geniestreich gelang, hebt sie für mich endgültig in die erste Liga.)
Doch das Interieur steht dem in nichts nach.
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Außenansicht des Neuen Museums Nürnberg | Foto (C) Sandro Zimmermann
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Zunächst der Bestand: Gerhard Richter hat einen eigenen, sehr sehenswerten Saal, die Sammlung Lorenz (u.a. mit einer faszinierenden, sich aufblasenden Installation von Iskender Yediler und einem Raum voller Clegg & Guttmann) fand hier einen schönen Platz. Dem Schwerpunkt Design wird man in Nürnberg in von mir noch nicht gesehener Weise gerecht, die Duscheinheit Nizza von Werner Wirsing aus dem 1972er Olympischen Dorf mag als Beispiel gelten. Umrahmt wird diese übrigens von einer Plakatsammlung der nämlichen Spiele, die völlig ohne Werbepartner und Sponsorenlogos auskommt. Das IOC war damals sicher auch schon eine Monarchie, aber noch keine absolutistische, und die Gewinnmaximierung wurde wohl noch dezenter betrieben. Gute alte Zeit.
Ich habe es versäumt, einen Katalog mitzunehmen und bereue dies nun. Also kann ich nur aus dem Gedächtnis und dem Bildspeicher meines Telefons rezitieren, aber immerhin, so bleibt der Eindruck subjektiv, und ich komme gar nicht erst in Versuchung, irgendetwas abzuschreiben.
Ein Holzmännchen von Balkenhol begrüßt einen im ersten Stock, das ist nicht überraschend, aber dennoch schön. Roni Horn ist mein nächstes Hightlight, You are the Weather, unzählige Porträts einer einzelnen Dame, wie das Wetter eben, unberechenbar.
Deutschland in den Grenzen von 1939, aus alten Holzlatten gebildet und säuberlich beschriftet, das Ganze sieht aus wie eine Comic-Figur, mit einem herzlichen Gruß an den Bund der Vertriebenen, der hier gerne seine Landsmannschaften herkarrt. Nun ja, nicht genau hierher.
Philip Taaffe hat eine Martyr Group abgebildet, schematische Figuren mit exakt definierten Zielbereichen.
Richard Lindner ist eine Entdeckung für mich, ist das Pop-Art? Egal, ich finde es schön, Telephone ist mein Lieblingsbild.
Das Prinzip Readymade wird einem nahegebracht, in den wunderlichsten Formen, einige hätte ich mir gern einpacken lassen.
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Richard Lindner, Telephone | Foto (C) Sandro Zimmermann
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Und so weiter, und so fort. Auch wenn die Exponate sämtlich aus dem letzten Jahrhundert stammen, das macht den Bestand nicht schlechter. Für Neueres gibt es die Sonderausstellungen.
Und gleich derer zwei durfte ich in Augenschein nehmen:
Funktion / Dysfunktion, das Kunstzentrum Glasgow ist zu Besuch, es geht um Design, mit eigens für diese Exposition entwickelten Werken. Ciara Philipps beeindruckt mich mit ihrer Drucktechnik am meisten, die anderen Werke gehen mir weniger nahe.
Frisch eröffnet: Patricia Urquiola und Rosenthal präsentieren Landscape. Ein Tafelservice? Was hat das im Museum zu suchen? Dochdoch, das geht in Ordnung, das wird auf eine derart großartige Weise präsentiert, dass es mir fast den Atem verschlägt. Die Spanierin bespielt den größten Raum des Hauses in einer Leichtigkeit, die ich „witzig“ nennen würde, wenn das Wort nicht in ernsthaften Kunstberichten verboten wäre. Sie teilt den Saal quer mit einem groben Holzregal und ordnet darum ihre Tisch-Situationen an, das muss man gesehen haben. Daneben ist viel vermeintlicher Ausschuss zu sehen, die Überbleibsel einer an Perfektion orientierten Produktion. Noch bis zum 16. Februar 2014 kann man dies bewundern, meinen Segen hätte man dazu.
Tatsächlich: Nach exakt 90 Minuten stehe ich wieder am Garderobenschrank. Noch ein bewundernder Blick von draußen auf die Gesamtsituation, dann hat mich die Dürer-Stadt wieder.
Doch die weiß, wie man den Sack zubindet: Ein moderner Skulpturengarten empfängt mich an der Stadtmauer, und eine Gedenkstätte für die in der Nazi-Zeit verfolgten und umgebrachten Homosexuellen.
Kunst hilft wirklich gegen alles, auch gegen Kummer jeder Art. Nemberch, ich schwöre, ich werde nie wieder „Bratwurstmetropole“ schreiben. Oder wenigstens nicht mehr so oft.
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Patricia Urquiola und Rosenthal, Landscape (im Neuen Museum Nürnberg) | Foto (C) Sandro Zimmermann
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Bewertung:
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Sandro Zimmermann - 16. November 2013 ID 7372
Neues Museum
Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg
Eingang Klarissenplatz
Postanschrift:
Luitpoldstraße 5
90402 Nürnberg
Kasse:
Telefon: 0911 240 20 69
Fax: 0911 240 20 29
E-Mail: info@nmn.de
Verkehrsanbindung:
Öffentlicher Nahverkehr - Station Hauptbahnhof
Parkhäuser in unmittelbarer Nähe
Weitere Infos siehe auch: http://www.nmn.de/
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