Die "Biester"
von
LYNN
CHADWICK
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Lynn Chadwick (1914-2003) im Lypiatt Park von Gloucestershire | Bildquelle: Wikipedia
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Seit den 1950er Jahren gestaltete Lynn Chadwick (1914-2003) diese herrlichen und unverdorbenen, braven Biester. Sie sind allesamt Zufallskreationen, entstanden ursprünglich aus Mobile, wie wir sie von Alexander Calder kennen. Nach und nach hat er diese zarten Metallgeflechte aus- und aufgefüllt. Hierfür benutzte er Stolit, ein eisenhaltiges Zementgemisch. Seine zufallsbedingten Wesen wurden alsdann in die Welt geschickt - manche vielleicht auch auf den Mond. Mit ein wenig Fantasie erinnern sie an ein Raumfahrzeug wie das LEM, das bei der Apollo-Mondlandung zum Einsatz kam. Wieder andere gelangten in die Hände von Franz Kafka, der sogleich eine Geschichte über sie schrieb und die restlichen scheinen beim Science Fiction Film einen Job gefunden zu haben. Chadwick hat seine eigene Verkleidungs- und Verschweiß-Technik entwickelt und so sind seine Arbeiten unverwechselbar und originell.
Lynn Chadwick war ursprünglich Architekt und im Zweiten Weltkrieg als Pilot eingesetzt. Auf der einen Seite denkt man bei seinen Kreaturen an Bauwerke aus einer anderen Zeit und auf der anderen an Leonardo da Vincis visionäre Flugmaschinen – in 3 D. Über 40 Jahre hat ihn diese lustig-schwebende und kriechende Tierwelt beschäftigt. Ein besonderes Exemplar der Biest- Serie hat sich ins Haus am Waldsee verirrt und steht in einem Raum gemeinsam mit einem filigranen Vogelwesen seines fast-Zeitgenossen Hans Uhlmann (1900-1975). So verstehen wir, warum gerade er ihm an die Seite gestellt wurde. Chadwicks Beast hat zwei riesige Alien-Kristallaugen! Uhlmann teilte seine Vorliebe für Flügelwesen und die Freiheit, die damit einhergeht.
Neben Werken von Uhlmann sind auch Plastiken der jungen Berliner Künstlerin Katja Blomberg (*1970) im Haus am Waldsee ausgestellt. Schwerelose Borkenkäfer, Insekten, gefallende Ikarusse, Totems oder Flugmaschinen stehen hier in Konkurrenz zu den technischeren, glatten und zeitlosen Arbeiten von Uhlmann und Blomberg. Letzteren fehlen die faltige, lebendige und humorvolle Poesie und der gemächliche, aleatorische Entstehungsprozess. Katja Strunz' große Plastik Enthüllung (2008) aus Baustahl, Pulverbeschichtung und patinierter Bronze ist ein Riesenflügel, der auch Chadwicks Viecher in die Luft bringen würde.
In den 1960er Jahren entsteht eine Serie aus Zeichnungen und Skulpturen, die Chadwick Moon of Alabama tauft. Ein Sammelsurium von Kokons, Larven oder zackigen Hüllen. Vielleicht hat er sie ja auch Kurt Weill und Berthold Brecht gewidmet. Beweise dafür gibt es allerdings nicht. Figurative Skulpturen baut er ab den 1970er Jahren. Meist Paare, stehend auf erschreckend, unsicheren, dünnen Beinen und oft nebeneinander, im Dialog, sich festhaltend. Eine Gratwanderung der Schwerkraft zwischen Raum und Zeit. Ab 1980 arbeitet er mit geschweißten Edelstahlplatten. Diese glatten, sauberen Tafeln allerdings lassen seine gewohnte Lyrik ein wenig vermissen, dafür rufen sie Assoziationen mit den präzisen japanischen Origami -Spielen hervor. Beast Alerted I (1990) dominiert im Garten im Haus am Waldsee, eine Leihgabe des Estate of Lynn Chadwick and Blain|Southern.
1958 kauft Chadwick ein Anwesen in Gloucestershire und renoviert es, baut es nach und nach um, bis es Wohnhaus und Atelier unter einem Dach vereint. Bemerkenswert vor allem ist der Skulpturengarten. Lypiatt Park beherbergt heute den Nachlass des Künstlers und wird von Eva und Sarah Chadwick verwaltet.
Lynn Chadwick arbeitete als Zeichner in verschiedenen Londoner Architekturbüros, und erst nach dem Zweiten Weltkrieg fing er an als selbstständiger Designer Möbel und Textilien zu entwerfen, bis er später von der Plastik in Bann gezogen wurde. Schon 1952 stellte er im britischen Pavillon der Biennale in Venedig aus und erhielt 1956 den „Biennale Grand Prix für Bildhauerei“. Auch auf der documenta Kassel war es des Öfteren vertreten.
Neben Henry Moore und Barbara Hepworth zählt Lynn Chadwick heute zu den bedeutendsten britischen Bildhauer des 20. Jahrhunderts.
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Blick in den Ausstellungsraum mit Lynn Chadwick – Biester der Zeit im Georg Kolbe Museum, Berlin | Foto: Christa Blenk
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Christa Blenk - 4. Juni 2019 ID 11463
Die Parallel-Ausstellung Biester der Zeit - Lynn Chadwick, Katja Strunz, Hans Uhlmann und Lynn Chadwick – Biester der Zeit ist seit Mitte Mai sowohl im Haus am Waldsee als auch im Georg Kolbe Museum zu sehen. Man kann die elf Kilometer, die zwischen beiden Häusern liegen, mit dem Fahrrad zurücklegen, das man an beiden Orten ausleihen und zurückgeben kann. Es empfiehlt sich, im Kolbe-Museum anzufangen und dann ca. 40 Minuten durch den Grunewald zu radeln!
An die 70 Exponate, Plastiken, Zeichnungen und Lithografien beherbergt diese einmalige Retrospektive von Chadwick. Im Georg Kolbe Museum beschreibt die Schau seine Werkentwicklung, während im Haus am Waldsee die Arbeiten der drei Künstler Lynn Chadwick (1914-2003), Hans Uhlmann (1900-1975) und Katja Strunz (*1970) gegenübergestellt und Parallelen gesucht und gefunden werden.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 15. September 2019.
https://hausamwaldsee.de
https://www.georg-kolbe-museum.de
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