Sibylle
Bergemann
(1941-2010)
Die Berlinische Galerie zeigt eine recht umfangreiche Retrospektive der Fotografin mit Werken aus den Jahren 1966 bis 2010
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Sibylle Bergemann, Selbstporträt, Schiffbauerdamm, Berlin 1986 | © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin
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Berlin, Paris, Moskau oder Venedig - die Kamera immer dabei - hat Sibylle Bergemann (1941-2010) nicht nur Land und Leute, sondern auch immer wieder Hunde in allen Größen und Rassen abgelichtet. Das scheint den Ausstellungsmachern der Retrospektive Sibylle Bergemann - Stadt Land Hund in der BERLINISCHEN GALERIE beim Sichten des großen Nachlasses der Fotografin aufgefallen zu sein. Sibylle Bergemann zählt neben Ute und Werner Mahler, Harald Hauswald und Gundula Schulze Eldowy zu den bekanntesten Chronist*innen des realsozialistischen Alltags in der DDR. Gemeinsam mit den Mahlers, Hauswald und anderen hat sie 1990 die Berliner Fotografenagentur OSTKREUZ gegründet.
Dank Frieda und Lily von Wild, Tochter und Enkelin der Fotografin, konnten aus dem recht umfangreichen Nachlass einige bemerkenswerte und weniger bekannte Arbeiten von Sybille Bergemann für diese Ausstellung zusammengetragen werden. Bergemann war mit dem Modefotografen Arno Fischer verheiratet. Beide haben für die bekannte Monatszeitschrift für Mode und Kultur Sibylle fotografiert. Fischer war auch für das Magazin tätig. Heißbegehrte sogenannte „Bückware“ in den Zeitschriftenläden und Zeitungskiosken der DDR.
Sibylle Bergemann konnte schon zu DDR-Zeiten nicht nur in die Sowjetunion sondern auch ins westliche Ausland reisen. Dabei sind ab Mitte der 1960er Jahre sehr interessante Sichten auf Metropolen wie Moskau, Paris, Rom oder New York entstanden. Ins Auge fallen aber zunächst tatsächlich die Fotografien von Hunden. 1973 vor einer Bauernkate in Kasan oder 1988 auf einem menschleeren Platz in Venedig. Ein Mädchen spielt 1979 mit ihrem Schäferhund in einer Hochhaussiedlung in Paris. Ein kleiner Mischling pinkelt 1989 an die löchrig gewordene Berliner Mauer. Etwas stille Subversion war immer in den Bildern Bergemanns, und wenn es nur die Models vor dem Strandkorb 1981 am Rügener Ostseestrand waren, die nicht lächeln sollten, wie gewünscht, deren Münder aber später für die Sibylle ohne Wissen der Fotografin retuschiert wurden.
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Sibylle Bergemann, Niederlande, 1986 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin
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Ein besonderes Faible hatte Sibylle Bergemann für Fenster-Fotografien und den Charme der verfallenden Mietshäuser im Prenzlauer Berg. Diese Kiezfotografien aus den späten 60er und 70er Jahren auch aus dem bekannten Tanzlokal Clärchens Ballhaus zeigen den Osten Berlins, wie er abseits sozialistischer Parteitagsreden tatsächlich war. Für die Sibylle entstanden auch viele Portraits bekannter Künstlerpersönlichkeiten. Vor allem von Schauspielerinnen wie Katharina Thalbach, Angelika Domröse, Nina und Eva-Maria Hagen. Natürlich ohne Farbfilm im für Bergemann typischen Schwarz-Weiß. Die im Schloss Hoppenrade in Brandenburg angemieteten Atelierräume wurden zum Treffpunkt der Kunst-und Kulturszene aus Ost und West. Auch Heiner Müller war hier zu Gast.
Paris und New York sind sicher große Sehnsuchtsorte für damalige DDR-Bürger. Bergemann suchte für ihre Fotografien aber nicht das Sensationelle, sondern ging auch hier in Tanzlokale, Parks sowie Straßen abseits der großen Boulevards und zeigte das echte urbane Leben. Das Fotobuch Himmelhölle Manhattan mit ihren Fotografien zu einem Reisebericht von Irene Runge, Tochter jüdisch-deutscher Emigranten, erschien 1986 im Verlag Der Morgen und wurde ein großer Erfolg. In der DDR lichtete sie Inneneinrichtungen von Plattenbauwohnungen für einen Katalog ab. Die Foto-Serie P2, so der Name des Plattenbautyps, zeigt statt der Vielfalt von Einrichtungsmöglichkeiten immer wieder nur die gleiche triste Wohnecke mit Sesseln, Couch und Mehrzwecktisch vor Rauten- oder Blumentapete.
Von 1975 bis 1986 besuchte Bergemann den Bildhauer Ludwig Engelhardt auf Usedom und begleitete fotografisch das Entstehen des Denkmals für das Marx-Engels-Forum zwischen dem Alexanderplatz und dem Palast der Republik. Die Fotoserie Das Denkmal zeigt weit entfernt jeglicher Verklärung die verschiedenen Zwischenstände von den Fotovorlagen für die Köpfe von Marx und Engels über die halb modellierten Körper bis zum Abtransport des Denkmals zum Aufstellungsort. Noch kopflos stehen da die Gussformen unter wolkenverhangenem Himmel, als würden die beiden Heroen der Arbeiterklasse mit den Köpfen über den Wolken schweben.
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Sibylle Bergemann, Das Denkmal, Berlin, Februar 1986 © Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin
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Auch viele der Berlinbilder Bergemanns lassen sich heute fast metaphorisch lesen. Das Foto von Ruinen vor dem neu erbauten Haus des Lehrers 1967 am Alexanderplatz und das von den Resten des abgerissenen Palasts der Republik 2008 wirken da wie eine Klammer für das Scheitern einer Utopie. Nach der Wende reiste Sibylle Bergemann wieder viel. Es entstanden vor allem Reportage- und Modefotografien. Nun sogar in Farbe. Doch auch die erdigen Wüstenbilder aus Afrika mit den leichten Farbtupfern der schwarzen Modelle und die Portraitfotografien bekannter portugiesischer Fado-Sängerinnen besitzen den ganz besonderen Bergemann-Charme. Eine Auswahl privater Fotografien und ein sehr umfangreicher Katalog ergänzen die besonders sehenswerte Ausstellung.
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Stefan Bock - 21. Juli 2022 ID 13719
https://berlinischegalerie.de/ausstellung/sibylle-bergemann/
Post an Stefan Bock
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