60. Kunstbiennale
in Venedig
Teil 1: Giardini
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Bewertung:
"Foreigners Everywhere" (Ausländer überall) - so könnte man die KUNSTBIENNALE IN VENEDIG generell überschreiben. Ein internationales Publikum schaut sich internationale Kunstpositionen an. Nirgends trifft man mehr Ausländer auf den Quadratmeter als in der kleinen Lagunenstadt zur Biennale. Und was wäre Venedig auch ohne Ausländer. Vermutlich leerer, nicht so übergentrifiziert, aber sicher auch nicht sauberer. Was die Kunst betrifft, ist Venedig eine der Städte mit historisch besonders bemerkenswertem Kunsterbe. Dazu kommt die alle zwei Jahre ausgetragene Kunstbiennale mit den Hauptstandorten Giardini und Arsenale, sowie jede Menge über die ganze Stadt verteilte temporärere und etablierte Kunststandorte, die das Angebot für Kunstinteressierte stetig hochhalten.
So auch zur 60. Ausgabe der Kunstbiennale, die vom brasilianischen Kurator Adriano Pedrosa verantwortet wurde. Insbesondere die Hauptausstellungen in den Giardini und Arsenale, die sich vor allem der unbekannten oder weniger etablierten Kunst der indigenen und migrantischen Weltbevölkerung widmen. Viel indigenes Kunstgewerbe, aber auch einige sehenswerte Einzelpositionen und eine leider etwas versteckte historische Portrait-Galerie. In Petresburger Hängung ist hier zu sehen, wer bisher noch nicht auf der Biennale berücksichtigt wurde. Unter anderem sogar Frida Kahlo. Ihr Selbstportrait Diego y Yo hängt hier neben einem des besagten Geliebten Diego Rivera, der Mexico 1950 bei der Biennale vertreten durfte.
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Kunstbiennale Venedig 2024: Nucleo Storico, Portrait-Galerie im Hauptpavillon in den Giardini | Foto: Stefan Bock
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Diese kuratorische Linie zieht sich auch durch die Länderpavillons, allen voran der australische Pavillon, Gewinner des goldenen Löwen der Biennale mit der monumentalen Installation kith and kin (so viel wie "Freunde und Verwandte") des Aborigine-Künstlers Archie Moore, der einen 65.000 Jahre umfassenden Stammbaum der Aborigines mit Kreide auf Wänden und Decke des Pavillons geschrieben hat. Das ist nicht nur eine enorme Fleiß- und Archivrechercheleistung, sondern auch ein installatives Mahnmal der Unterdrückung der Ureinwohner Australiens, die sich in vielen aufgestapelten Seiten aus Protokollen der Untersuchungsberichte ungeklärter Todesfälle von 517 Aborigines in staatlicher Obhut in der Mitte des Pavillons manifestiert.
Wesentlich bunter ist da der Beitrag des US-amerikanischen Pavillons, der ebenfalls von einem Nativ-Artist gestaltet wurde. Der von den Cherokee abstammende queere Künstler Jeffrey Gibson verbindet in seinen teils abstrakten Skulpturen und Bildern, für die er Materialen aus der indigenen Kultur nutzt, Autobiografisches mit populärer amerikanischer, traditionell indigener Kultur und queerer Subkultur. Die Wände des Pavillons zieren seine abstrakten mit Zeichensprache der nordamerikanischen Natives versehenen Mixed-Media-Gemälde, die von mit bunten Perlen besetzten Fantasie-Skulpturen flankiert werden. The space in which to place me (dt.: "Der Raum, in dem ich mich platzieren kann") nennt er sein Gesamtkunstwerk. Dazu bringt eine rhythmische Videoinstallation den Pavillon förmlich zum Tanzen.
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Kunstbiennale Venedig 2024: The space in which to place me von Jeffrey Gibson - im US-amerikanischen Pavillon | Foto: Stefan Bock
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Ähnlich sieht es in den Pavillons Kanadas, Großbritanniens oder der skandinavischen Länder aus, die die Verantwortung für die Kunstgestaltung in die Hände von migrantischen oder einer kulturellen Minderheit angehöhrenden Kunstschaffenden gelegt haben. Die französisch-kanadische Künstlerin Kapwani Kiwanga arbeitet für ihre Installationen im kanadischen Pavillon mit Glasperlen aus Murano, dem historischen Zentrum der Glasherstellung in Venedig und spielt mit diesen flirrenden Vorhängen auf das koloniale Tauschobjekt für Gewürze, Elfenbein, Palmöl und Sklaven an.
Der britische Filmkünstler John Akomfrah, geboren in Ghana, bespielt den britischen Pavillon mit mehreren Videoinstallationen, die die Geschichte der Migration in Großbritannien behandeln. Die Arbeiten unter dem Titel Listening All Night To The Rain, in denen Wasser als Zeitsymbol und Katastrophenträger eine zentrale Rolle einnimmt, sind inspiriert von der Poesie des chinesischen Schriftstellers Su Dongpo aus dem 11. Jahrhundert und erzählen in mehreren Kapiteln von der Diskriminierung der Migranten in Großbritannien. Eine ganze Pekingoper mit Videoinstallation haben sich die nordischen Länder für ihren mit einem Bambusgerüst verbauten Pavillon bei den aus Hongkong stammenden KünstlerInnen Lap-See Lam, Kholod Hawash und Tze Yeung Ho bestellt.
Von Migrationsgeschichten handeln auch die Beiträge des deutschen und österreichischen Pavillons. Der vom Theater bekannte Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag hat eine mehrstöckige Rauminstallation in den deutschen Pavillon gebaut. Über eine Wendeltreppe kann man die engen Zimmer einer Wohnung betreten, in der die arbeitsmigrantische Geschichte seines Großvaters erzählt wird, der beim Asbestabbau seine Lunge ruinierte und starb. Durch den Staub der Geschichte muss sich das Publikum nun, da die Performer längst abgereist sind, ganz allein durcharbeiten. Schön gerahmt wird diese performative Installation von einem zunächst wie ein etwas esoter-kultisch anmutenden Science-Fiction-Video der ebenfalls fürs Theater arbeitenden israelischen Künstlerin Yael Bartana. Light to the Nations ist inspiriert von Bibeltexten und jüdischen Mythen und zeigt ein Generationenschiff, das nach einer Katastrophe auf der Erde in eine Zukunft im Weltall aufbricht.
Nach Hause telefonieren ist eines der Themen der in Leningrad geborenen Künstlerin Anna Jermolaewa, die 1989 aus der Sowjetunion nach Österreich emigriert ist. Sie hat 6 Telefonzellen aus dem Auffanglager Traiskirchen in den Hof des Pavillons stellen lassen. Die meisten Anrufe von Österreich ins Ausland wurden wohl von Geflüchteten aus diesen Telefonzellen geführt. Nun kann man selbst ein paar Münzen einwerfen und nach Hause telefonieren. Ansonsten zeigt der Pavillon ein Sammelsurium aus Objekten und Videos. So etwa ein Video mit Ballett-Eleven, die sich zu Tschaikowskis Schwanensee abplagen. Das Ballett wurde zu Sowjetzeiten immer nach dem Ableben der damaligen Staatschefs im Fernsehen gezeigt. Wiederholung vermutlich erwünscht.
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Kunstbiennale Venedig 2024: Hauptpavillon in den Giardini | Foto: Stefan Bock
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Stefan Bock - 2. November 2024 ID 14998
Weitere Infos siehe auch: https://www.labiennale.org/en/art/2024
Post an Stefan Bock
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KUNSTBIENNALE VENEDIG 2024 (2)
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