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Ausstellung

60. Kunstbiennale

in Venedig

Teil 2: Arsenale und Pavillons in der Stadt


Bewertung:    



Wer sich auf der Kunstbiennale in Venedig durch die Länderpavillons der Giardini gekämpft hat, muss dies dann auch noch bei den Arsenale tun. Auch hier ist eine sehr umfangreich kuratierte Gruppenausstellung mit Positionen aus Malerei, Installation und Videokunst vorrangig mit postkolonialen oder migrantischen Themen vorgeschaltet. Das Motto könnte durchaus lauten: Viel Textil. Es gilt das Gleiche wie in den Giardini. Gute Absichten machen leider noch keine gute Kunst.

Die Ausnahmen bestätigen da die Regel. Und so lohnt sich schon etwas mehr Zeit einzuplanen. Dann entgehen einem beim Durchlaufen der großen Hallen nicht die großformatigen Portraits des brasilianischen Malers Dalton Paula, die historische Persönlichkeiten afrikanischer Abstammung der Widerstandsbewegungen gegen die Sklaverei darstellen. Die Studies in Mosaices des libanesischen Künstlers Omar Mismar mischen antike Symbole und Artefakte mit zeitgenössischen Szenen aus dem Krieg in Syrien oder dem queeren Leben in Beirut. Die aus Argentinien stammende Textilkünstlerin Claudia Alarcón aus der La Puntana-Gemeinde des Wichí-Volkes stellt gemeinsam mit der Künstlerinnen-Gruppe Silät Wandteppiche aus, die die Zyklen der Natur darstellen.



Kunstbiennale Venedig 2024: Studies in Mosaices von Omar Mismar in den Arsenale | Foto: Stefan Bock


Mit gebatikten Stoffen arbeitete die 2009 verstorbene österreichische Künstlerin Susanne Wenger. Nach dem Studium bei Herbert Boeckl war sie 1946 Mitbegründerin des Wiener Art-Club, wanderte aber 1950 mit ihrem Ehemann nach Nigeria aus und wandte sich dem einheimischen Yoruba-Kult zu. Ihre Bilder verbinden die Yoruba-Kosmologie mit C. G. Jungs Archetypen. Eine interessante und faszinierende Form der kulturellen Vermischung, die erstmals auf der Biennale zu entdecken ist.

Wie schon in der Hauptausstellung in den Giardini, wo die Gegenüberstellung männlicher Akte des italienischen Malers Filipo de Pisis (1896–1956) mit denen des zeitgenössischen New Yorker Malers Louis Fratino Homosexualität gestern und heute dokumentieren, gibt es auch in den Arsenale neben Omar Mismar weitere Künstler, die explizit queere Themen in ihren Bildern aufgreifen, ohne vordergründig zu agitieren. So stellt der aus Pakistan stammende und ebenfalls in New York lebende Künstlers Salman Toor in seinen Bildern ganz selbstverständlich Treffpunkte schwulen Lebens dar.

Sehr berührend ist die Präsentation des Recherche-Projekts The Mapping Journey der französisch-marokkanische Künstlerin und Wissenschaftlerin Bouchra Khalili, die über drei Jahre Geflüchtete aus Afrika und Asien ihre Migrationsrouten im Mittelmeerraum auf Landkarten aufzeichnen ließ. Die Bilder davon und Erzählungen über die teils jahrelangen in Zickzack-Routen verlaufenden Versuche, sich dem angestrebten Ziel zu nähern, sind in mehreren Videofilmen zu sehen. Daneben hat Bouchra Khalili die wie Sternzeichen wirkenden Routen als Siebdrucke künstlerisch verarbeitet.

Im Rahmen der Länderpavillons überzeugt noch die Raum- und Klanginstallation Shifting Sands: A Battle Song im Pavillon Saudi-Arabiens. Die Künstlerin Manal AlDowayan verbindet in ihrer Installation aus großformatigen, blütenblattähnlichen Skulpturen aus mit Zeichnungen und arabischen Schriftzeichen bedruckter Seide, die die Form von Wüstenrosen genannten Kristallen haben, den Wüstenwind mit den Stimmen eines saudischen Frauenchors. Es geht um die weibliche Energie eines kulturellen Wandels im patriarchal regierten islamischen Wüstenreich.



Kunstbiennale Venedig 2024: Shifting Sands: A Battle Song von Manal Al Dowayan - im Pavillon von Saudi-Arabien | Foto: Stefan Bock


Wenn man dann am italienischen Pavillon angekommen ist, hat man es fast schon geschafft und kann sich der meditativen Raum- und Klanginstallation Due qui/ To Hear (Hören) des Künstlers Massimo Bartolini widmen. Eine immersive Reise durch den mit einem Stahlrohrgerüst verbauten Raum, bei der das Publikum durch pneumatisch erzeugte Orgelklänge im Wechsel mit Stille zu sich selbst finden soll, um sich selbst nicht als fremd zu empfinden. Vielleicht hat man das nach einem Überangebot an Kunst auch bitter nötig. Wer noch nicht genug hat, dem seien die vielen weiteren Kunstorte in der Lagunenstadt empfohlen, oder auch eine Reise zur nahen Insel La Certosa, wo im Rahmen des deutschen Pavillons weitere Klanginstallationen mit der fast unberührten Natur in Dialog treten.

In der Basilika San Giorgo Maggiore auf der Insel San Giorgo im Giudecca-Kanal stellt die belgische Künstlerin Berlinde De Bruyckere ihr Kunstprojekt City of Refuge III vor. In den Kirchenraum hat De Bruyckere drei überlebensgroßen Erzengelskulpturen "Archangelo I-III“, die mit deckenartigen Mänteln umhüllt sind, auf hohe Podeste gestellt. Inspiriert haben die Künstlerin Fotos von Geflüchteten, die nach ihrer Überfahr über das Mittelmeer in Decken gehüllt lagern, oder Kriegsbilder aus Gaza. Stahl, Holz, Wachs und Stoff sind das Material aus denen sie auch ihre sakralen, immer gesichtslosen Skulpturen oder Bein-Torsi in der Sakristei der Basilika geschaffen hat.

Ebenfalls in einer Kirche stellt die chinesische Künstlerin Yu Hong ihren Gemäldezyklus Another One Bites The Dust aus. Wie De Bruyckere ihren Werktitel aus einem Song von Nick Cave entlehnt hat, bezieht sich Yu Hong auf den bekannten Popsong von Queen. Ihre an sakrale italienische Barockmalerei erinnernden Großformate an Wänden und Altar der Chiesetta della Misericordia behandeln auf pastös aufgetragenem Goldhintergrund die Themen Geburt, Leben und Tod.



Kunstbiennale Venedig 2024: Another One Bites The Dust von Yu Hong - in der Chiesetta della Misericordia | Foto: Stefan Bock


Ebenfalls im mittlerweile stark angesagten Cannaregio-Viertel lohnt der Besuch des Palazzo Diedo, den der Investor und Kunstsammler Nicolas Berggruen für seine Kunstsammlung sanieren ließ. Noch immer sind Teile des Gebäudes eine Baustelle, aber man kann bereits im Rahmen der Gruppenausstellung JANUS in einigen Räumen das Zusammenspiel der Werke von zeitgenössischen Künstlern wie Urs Fischer, Carsten Höller, Hiroshi Sugimoto, Aya Takano, Sterling Ruby u.a. mit der Architektur des im 17. Jahrhundert erbauten dreistöckigen Palazzo bewundern.

Nicht verpassen sollte man dagegen die Ausstellung von Christoph Büchel, Monte di Pietà, in der Fondazione Prada. Der Schweizer Aktionskünstler hat die Räume des ehemaligen Pfandhauses am Canal Grande in ein eben solches zurücküberführt. Ein bankrottes noch dazu. Schon draußen heißt es „Liquidazione totale! Fuori tutto!“ (dt.: Alles muss raus!). Am Eingang grüßt ein gesprengter Tresor. Die Nebenräume sind förmlich zugemüllt. Im Hof stehen kaputte Fahrräder, in der großen Halle Feldbetten und Stühle, wo man auf den großen Ausverkauf warten kann. Eine kleine Kapelle gibt es auch noch. Beten hilft hier allerdings nicht mehr. Früher diente das Haus weniger betuchten Venezianern, um ihnen schnell mit Kleinkrediten zu helfen. Nun läuft das Haus über mit Büchern, Bildern, Pelzen, Waschmaschinen, Spielzeug und sogar Waffen. In den oberen Geschossen ist kaum noch ein Platz frei. Die Schuldbücher liegen zentnerschwer in den Regalen und zeugen vom Ausverkauf der Stadt. Die Wimmelbilder aus Kleinodien künden von einer Geschichte aus Schuld und Schulden. Man geht durch Räume mit Roulette- und Billard-Tischen. Zerwühlte Betten, Matratzen und verlassene Dinner-Tafeln mit Essensresten zeigen, was nach der Abreise der Kunst-Touristen übrigbleibt.


Stefan Bock - 3. November 2024
ID 14999
Weitere Infos siehe auch: https://www.labiennale.org/en/art/2024


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