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OSTRALE 2019 | 3. 7. - 11. 9.

"...ismus"

12. Internationale Ausstellung zeitgenössischer Künste in der Historischen Tabakfabrik f6 Dresden-Striesen



Bereits zum 12. Mal findet die OSTRALE Biennale für zeitgenössische Kunst in Dresden statt. Seit 2017 zwar nur noch als Biennale, die ihr ursprüngliches Hauptquartier in den Futterställen des alten Erlweinschen Schlachthofs im Ostragehege wegen Baufälligkeit verloren, aber für dieses Jahr in der Historischen Tabakfabrik f6 im Stadtteil Striesen nicht minder interessante Interimsausstellungsflächen gefunden hat. Wie es danach weiter gehen soll, ist zwar auch diesmal nicht wirklich klar. Laut OSTRALE-Direktorin Andrea Hilger ist man aber schon fleißig am Suchen.

Die zweite OSTRALE zeigt mehr als 300 Werke aller Kunstgattungen von rund 180 Künstlern aus 34 Nationen und steht unter dem Leitgedanken „...ismus“. Darüber hinaus verzweigt sich die OSTRALE in den Dresdner Stadtraum und bespielt sogenannte „Satelliten“ an fünf weiteren Ausstellungsorten wie etwa der ehemaligen Stasi-Haftanstalt in der Bautzener Straße, dem Ausländerrat Dresden e.V., dem Goethe-Institut, der Galerie art´SAP am Postplatz oder der Alten Feuerwache Loschwitz e.Kunst- und Kulturverein. Wer das alles an einem Tag besuchen will, hat also viel vor. Zu empfehlen ist in jedem Fall der Besuch des OSTRALE-Hauptstandorts in der Historischen Tabakfabrik f6 und der Gedenkstätte in der ehemaligen Stasi-Haftanstalt und Stasi-Hauptverwaltung in der Bautzener Straße.

Das an der Schandauer Straße gelegene historistische f6-Fabrikgebäude wurde 1900 vom Dresdner Architekturbüro Rose & Röhle für den aus Griechenland stammenden Tabakfabrikanten Georg Anton Jasmatzi gebaut und 1912 über die Glashütter Straße erweitert. Ab 1944 mussten hier KZ-Häftlinge Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten. Nach dem Krieg war hier der Sitz der VEB Vereinigte Dresdner Zigarettenfabriken, die nach der Wende von der Phillip Morris GmbH aus München aufgekauft wurden. 2017 hat eine Immobilienfirma das Gebäude erworben und will es für Wohnzwecke umbauen. Also jede Menge Historie durchdringt das Haus, was sich natürlich bestens für die Verbindung mit der Kunst eignen müsste. Ein Konzept, wie es auch die bisher jährlich in brandenburgischen Schlössern stattfindende ROHKUNSTBAU-Ausstellung betrieb, bis ihr die Böll-Stiftung die Unterstützung aufkündigte, was das vorläufige Ende bedeutete. Das nur am Rande zum Vergleich der in Abhängigkeit zur öffentlichen Subvention lebenden zeitgenössischen Kunst.

*

Als erster Ismus der 12. OSTRALE-Ausgabe empfängt einen dann auch gleich am Eingang der f6-Fabrik in der Schandauer Straße eine vertonte Liturgie der Geldinstitute. Konzeptkünstlerin Franzy Höhne hat leitmotivische Slogans aus der Sparkassenwerbung in einem sechsstrophigen Stück in der Kirche von Schloss Wiepersdorf singen lassen. Die OSTRALE bespielt die oberen Stockwerke und den Keller des um zwei Innenhöfe gelegenen Baus an der Schandauer Straße. In den weit verzweigten Gängen mit seinen größeren Werkhallen und kleineren Verwaltungsbüros kann man sich schon mal verlaufen. Es empfiehlt sich da auch bezüglich der Kunst das mit Raumplänen versehene Begleitheft.

Den Rundgang beginnt man am besten im 3.OG, das besonders mit Video- und großen Raum-Klang-Installationen des Schweizer Künstlers Marc Deggeller und des israelischen Komponisten und Multimediakünstlers Yuval Avital auftrumpft. Deggeller behandelt in seinem als Triptychon angeordneten Video Tabula Rasa - Fakeismus fast schon philosophisch die Schwierigkeit des Wegs zur Erkenntnis der Dinge, während der in Italien lebende Avital in seinen beiden raumgreifenden Video- und Klang- Installationen Foreign Bodies und Lands V2 die Beziehungen von Mensch und Natur untersucht. Man bewegt sich durch eine Art visuell-akustischen Tunnel mit Videobilden von Frauen in Naturszenen und erreicht dann einen apokalyptischen Raum, in dem scheinbar wahllos verstreuten Objekte versuchen mit dem Betrachter in Verbindung zu treten.

Überhaupt sind Videoarbeiten auf der OSTRALE stark vertreten. Einen gewissen immersiven Charakter hat dabei auch die im Keller gezeigte Videoinstallation The Only Thing We Share is The Past des aus Hongkong stammenden Künstlers Hiram Wong. Die Vorbeigehenden erzeugen eine visuelle Feedbackschleife, die wenige Augenblicke später in einem Videotunnel wieder zu sehen ist. Die Realität ist immer schon Vergangenheit. Ein spielerisches Nachdenken über Zeit und Raum. Wesentlich deutlicher artikulieren sich da die Videoarbeiten sorry i drownd von Studio Kawakeb aus dem Libanon im 2.OG und Budget Rebellion (A Clandestine Workers Tale) vom österreichischen Künstler Michael Heindl im 3.OG ihre politische Botschaft. Passend zur Debatte um Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete zeigen Studio Kawakeb in ihrem Animationsfilm den Leidensweg eines ertrunkenen Flüchtlings inspiriert von einem Brief, den man angeblich bei ihm fand. Michael Heindl filmte unterbezahlte Schwarzarbeiter in Österreich bei gestellten subversiven Protestaktionen.

Abgenutzte Klischees behandelt die in Österreich lebende russische Künstlerin Lena Lapschina mit ihrem Video A Tribute To Freedomism (Let’s Roll Back The Carpet And Have A Dance), in dem sie Fahnen schwingend tanzende Mädchen bei einer Parade in Nordkorea mit sich drehenden österreichischen Einkaufstüten verbindet. In unmittelbarer Nachbarschaft dazu steht das Beschwerdemobil des deutschen Künstlers Thorsten Passfeld, das neben gängigen Parolen wie „Hört die Signale“ auch einfach mal „Gebt endlich Frieden“ oder „Schnauze“ empfiehlt.

Objektkunst, Malerei und Fotografie korrespondierenden in den thematisch gestalteten Räumen miteinander. So auch die von Sebastian Heinrich aus elektronischen Leiterplatten gebaute Siegesgöttin Nike und das Gemälde des mythischen Urmonsters Leviathan von Ruben Müller. Dazu zeigt Christian Holtmann Bilder, auf denen er mit gemalten, wie mit aus Zeitungspapier ausgeschnittenen Buchstaben und unserer Wahrnehmung spielt, in dem wir seine Aufforderungen oder auch Erpresserbriefe lesen. In Liese Schmidts Videoarbeit Say Yes stehen sich Mann und Frau beim Aufsagen eines der größten bedeutungsschwangeren Worthülsen-Ismus direkt gegenüber.

„Womanism“ heißt ein von der Kulturstiftung des Bundes gefördertes deutsch-afrikanisches Projekt innerhalb der Ostrale, das aktuelle Kunst-Positionen aus Kenia und Uganda vereint. Die niederländische Künstlerin Anya Janssen hat mit ihrer Portraitserie people say I‘m different das stolze, mit Boxhandschuhen ausgerüstete schwarze Postergesicht der OSTRALE gemalt. Inspiriert wurde sie dazu von der Begegnung mit der jungen Künstlerin Christine Ayo aus Uganda. Die Künstlerin Janice Iche aus Kenia zeigt in ihren Videoarbeiten A Question of Time, Resilience, Beauty and Love die Furchtlosigkeit im Leben, Lieben und Sein. Die Künstlerin Kaloki Nyamai aus Kenia versucht in ihren in ihren mit Fremdmaterialien symbolartig collagierten und lose gehängten Leinwandgemälden einen Dialog mit der postkolonialen Welt. Und die südafrikanische Künstlerin Usha Seejarim gestaltet aus Haushaltsgegenständen von Frauen wie etwa Wäscheklammern sich windende Skulpturen mit dem Titel Domestic Disagreement.



Kunst von Kaloki Nyamai auf der OSTRALE 2019 | Foto: Stefan Bock


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Direkt mulmig wird es einem beim Betreten des Sowjetischen Haftkellers in der Stasi-Gedenkstätte Bautzener Straße. Hier treten 10 KünstlerInnen in den Dialog mit der Geschichte des Ortes und der ständigen Ausstellung „Bedenken“. Der Künstler Pierre Portelli aus Malta hat zum Beispiel eine Zwangsjacke mit Überwachungskameras in die Gänge des Kellers gehängt. Sein Kunstwerk Mystic Body in Panopticon Eye spielt auf die Welt der Überwachung, den Facebook-Cambridge-Analytica-Datenskandal und Whistleblower wie Edward Snowden an. Rolf Blumes aus verschiedensten Einzelteilen zusammengebaute „Unbekannte Form-Objekte (UFOs)“ wirken im Innenhof des ehemaligen Stasi-Knasts wie futuristische Überwachungsmaschinen. Im ehemaligen Stasi-Festsaal laufen mehrere Videos die sich mit heutiger Geschichtsaufarbeitung beschäftigen. So thematisiert etwa der Film Café Togo von Musquiqui Chilhying und Gregor Kasper die Umbenennung von Berliner Straßennamen, die an Personen der grausamen deutsch-afrikanischen Kolonialzeit erinnern.
Stefan Bock - 8. Juli 2019
ID 11556
Weitere Infos siehe auch: https://www.ostrale.de


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