Der leere Raum
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Cover des Ausstellungskatalogs Ben Willikens. Raum und Gedächtnis | Herausgeber: The Schaufler Foundation; SCHAUWERK Sindelfingen
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Bewertung:
Historisch betrachtet ist die Wertschätzung von Originalität in den Künsten eine vergleichsweise junge Erscheinung. Über Jahrhunderte hinweg war es die penible Befolgung von Regeln, die souveräne Beherrschung von Techniken, was über die Qualität eines Kunstwerks entschied. Noch Paul Cezanne oder Claude Monet wurden nicht müde, ein bestimmtes Motiv immer wieder mit geringen Abweichungen zu malen. Es war nicht das ganz Neue, das überraschend Andere, was die Betrachter bewunderten, sondern die Virtuosität des Spiels mit eben diesen minimalen Unterschieden.
Der 1939 in Leipzig geborene und in Stuttgart lebende Ben Willikens hat sich über viele Jahre hinweg immer wieder mit kalten, leeren, sterilen in Grau-Schattierungen gehaltenen Räumen beschäftigt, die in ihrer strengen Geometrisierung eine magische Faszination ausüben. Jetzt hat ihm das SCHAUWERK Sindelfingen der Schaufler Foundation ein paar Kilometer südlich von Stuttgart eine umfassende Ausstellung gewidmet. Das auch architektonisch bemerkenswerten Museum in einer ehemaligen Fabrik ist der ideale Ort für solch eine Retrospektive. Willikens liebt große Formate, die entsprechende Hängeflächen erfordern. Im SCHAUWERK sind sie, bei idealen Lichtverhältnissen, vorhanden. Was ansonsten allenfalls in repräsentativen Sälen von selten zugänglichen Institutionen zu sehen oder eben nicht zu sehen ist, findet hier neben kleineren Formaten zusammen und ermöglicht einen gründlichen Eindruck vom Werk dieses Künstlers.
Licht und Schatten sind zentrale Elemente der Bildenden Kunst. Bei Willikens sind sie extrem ausgeprägt und erinnern in ihren scharfen Konturen an Giorgio de Chirico, ohne dessen surrealistische Komponente freilich. Die Bilder von Ben Willikens sind gegenständlich, wenngleich weitgehend menschenleer, nähern sich aber immer wieder der sogenannten „abstrakten Kunst“. Explizit verweist Willikens, zitierend und in offensichtlicher Verehrung, auf Piet Mondrian oder die Architekten Mies van der Rohe und Richard Neutra.
Die großformatigen Bilder, überwiegend Acryl auf Leinwand, legen den Weg ans Theater nahe. Und so hat sich Ben Willikens aus als Bühnenbildner bewährt. Die Ausstellung zeigt Beispiele unter anderem von einem Bremer Othello sowie Arbeiten für die Ruhrfestspiele. Dass sich unter den Dramatikern Pirandello befindet, kann nicht verwundern.
Die Ausstellung ist noch bis zum 12. Februar zu besichtigen. Wer es nicht nach Sindelfingen schafft, muss sich mit dem prächtig gestalteten Katalog begnügen, der freilich den erheblichen Nachteil hat, dass ihm die Dimensionen der Originale fehlen und viele Bilder nicht frontal, sondern, als Ensemble, aus seitlicher Perspektive fotografiert wurden.
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Und jetzt verrate ich ein anekdotisches Geheimnis. Ich besitze ein Bild von Ben Willikens, das ich – es muss so um 1968 oder 1969 gewesen sein – bei einem „Schwarzen Fest“ (schwarze Kleidung, schwarze Speisen) unseres längst verstorbenen gemeinsamen Freundes Rolf Schwendter für 7 DM ersteigert habe. Es zeigt noch keinen leeren Raum, sondern ein Porträt eben dieses Rolf Schwendter mit einer Sauerstoffflasche an der Stirn.
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Portrait Ben Willikens im SCHAUWERK Sindelfingen, im Hintergrund: Ben Willikens, Abendmahl, 1976/79, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
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Thomas Rothschild – 22. Oktober 2022 ID 13865
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauwerk-sindelfingen.de
Post an Dr. Thomas Rothschild
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