Aufbruch zu
neuen Ufern?
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Bewertung:
Horizonte hat die scheidende Direktorin des MOK diese ihre letzte Ausstellung genannt und eben jene Horizonte auch im übertragenen Sinn eröffnet. Adele Schlombs hat dieses Mal zeitgenössische KünstlerInnen, und zwar aus fünf Altersgruppen, in den Vordergrund gestellt. Daher gibt es relativ wenig Artefakte aus den vorhandenen großartigen Sammlungsbeständen, die wenigen ausgewählten dienen einer anschaulichen Gegenüberstellung. Zu sehen sind Werke der Japanerin Leiko Ikemura, der Koreanerin Kimsooja, dem Chinesen Qiu Shihua und den Chinesinnen Yu Duan und Evelyn Taocheng Wang. Die Kunstschaffenden sind ihren jeweiligen künstlerischen Traditionen durchaus verbunden, haben sich aber auch mit der westlichen Kunst auseinandergesetzt und dies zur „Entfaltung und Weiterentwicklung“ genutzt, heißt es im Text des empfehlenswerten Katalogs.
Die Direktorin sieht die Gegenwart als Dreh- und Angelpunkt, um sich mit der Vergangenheit und der Jetztzeit zu befassen und diese Erkenntnisse in die Zukunft hinein wirken zu lassen, und es ist erkennbar, dass sie nach 32 Jahren im Amt „ihrem“ MOK noch so viel Zukünftigkeit mit auf den Weg geben will, wie es möglich ist. Ihr gelingt das auf eine feinsinnige Art, ohne Aufmerksamkeit erheischende Präsentationen zu verwenden oder neueste modische Trends zu bemühen. Gleich im Eingangsbereich sieht man weiße Bilder von Qiu Shihua, die auf den ersten Blick unbemalt aussehen. Nimmt man sich Zeit, kann man Licht und Schatten erkennen, vielleicht auch Formen. Es hilft, wenn man weiß, dass sie aus der Vogelperspektive gemalt wurden. Der Künstler versteht sich in erster Linie als Taoist und lädt zur Meditation ein, um „Visionen jenseits des Sichtbaren hervorzubringen“. Enträtseln lassen sich die Gemälde eher nicht, denn das Empfundene hängt von der jeweiligen Verfassung des Betrachtenden ab. Die Hängerolle Herbstlandschaft aus dem 16. Jahrhundert, die Wen Zhengming zugeordnet wird, zeigt im Vergleich dazu nebelverhangene Bäume im oberen Bildteil.
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Auf den ersten Blick weiße Bilder ohne Titel sind die Beiträge des Künstlers und Taoisten Qiu Shihua zusammen mit einer Herbstlandschaft aus der Sammlung | Foto: Helga Fitzner
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Leiko Ikemura ist mit auf Jutestoff gemalten Bildern von Horizonten vertreten, geistigen Landschaften, also mindscapes, die auch die Illusion von etwas Jenseitigem vermitteln. Im japanischen indigenen Shintōismus wird die Natur verehrt, zu deren Heiligtümern z.B. Berge, Flüsse und Bäume gehören. Ikemuras Terrakotta-Plastiken stellen u.a. Berggeister dar, erinnern aber auch an die Vergänglichkeit vergleichbar mit dem memento mori im Christentum. Bei ihr ist die Verbindung zu buddhistischen Lehren unverkennbar. Die hohlen Skulpturen zeugen meist von Leid, um dessen Überwindung es im Buddhismus geht, der die Befreiung vom Rad der Wiedergeburt anstrebt.
In Korea gibt es traditionell farbenprächtige Hochzeitsdecken mit Glückssymbolen. Kimsooja musste als Kind oft umziehen, woraus die Idee entstand, die Decken zu bündeln und die Bündel, bottari, auf einen französischen Baguette-Wagen zu laden. Sie sitzt in den Videos mit dem Rücken zur Kamera, meditiert und lässt Städte und Landschaften passiv an sich vorbeiziehen. „Die Bündel stehen für Heimatlosigkeit, Migration und weibliches Nomadentum, zugleich werfen sie die Frage nach Identität in der globalen Welt auf.“
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Kimsoojas Wagen mit den Bündeln und ihre Videoinstallation | Foto: Helga Fitzner
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In der Fotoserie Hidden Green zeigt Yu Duan kleine urbane Gärten in London. Die Städter haben sich hier kleine Rückzugsorte geschaffen und ein wenig Natur in ihr Umfeld geholt. Da ist der Bezug zur chinesischen Porträtmalerei leicht zu erkennen, in der Gärten als paradiesisches Refugium galten. Zum Vergleich ist das Albumblatt Der Dichter Tao Yuanming ausgestellt, das ihn in seinem kleinen Garten zeigt, und aus dem 17. Jahrhundert stammt.
Wenn man von Weitem einige Tuschezeichnungen von Evelyn T. Wang sieht, wirken die sehr bunt und ein wenig wie Ergebnisse einer Malwerkstatt für Kinder, weil da viele Herzen zu sehen sind. Aber nur von Weitem. Dann erkennt man die Querrollen, die von rechts nach links gelesen werden, und verschiedene Malstile auch die der Kalligrafie. Das Herz, insbesondere als Emoji im Internet, ist nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Wang verbindet dieses heutige Phänomen mit der chinesischen Literatenmalerei, die auf Handrollen gemalt wird und eine frühe Buchform darstellte. Aber die alten Literaten verpönten Farbe und Ornamente, die Evelyn T. Wang sehr freudig einsetzt, die sich als Literatenmalerin des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Von ihr sind eine Reihe unterschiedlicher Werke zu sehen, darunter Hängerollen, die nicht mit chinesischer Kalligrafie versehen, sondern in englischer Sprache geschrieben sind, und voller Humor und Ironie.
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Hängerollen in englischer Sprache der sich als Literatenmalerin des 21. Jahrhunderts verstehenden Evelyn T. Wang | Foto: Helga Fitzner
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Für Adele Schlombs wurde noch keine Nachfolge gefunden. Es muss sich um eine Person handeln, die über das entsprechende Fachwissen verfügt, das sehr vielfältig und komplex ist. Ansonsten hinterlässt die Direktorin ein gut bestelltes Haus, das das einzige seiner Art in Deutschland ist und über umfangreiche Sammlungsbestände verfügt, die heute kaum mehr erhältlich, geschweige denn bezahlbar wären. Das MOK ist seit 2012 auch vor architektonischem Aktivismus geschützt, weil es seitdem zu den Denkmälern der klassischen Moderne zählt. Behütet werden muss es allerdings vor Vernachlässigung und Finanznot, denn die Finanzierung von Kultur hat insgesamt nicht den nötigen Stellenwert. Kultur macht aber unser Menschsein aus. Der oder die Neue kann sich neben den beruflichen Anforderungen der Museumsdirektion auf hehre Aufgaben freuen: Brücken bauen, Frieden stiften, Völkerverständigung und Kulturaustausch betreiben sowie die Achtsamkeit und Erkenntnisfähigkeit fördern. Das ist nicht zu hoch gegriffen: Adele Schlombs hat es lange Jahre vorgelebt. Für ihre neuen Projekte und ihren weiteren Lebensweg wünschen wir der künftigen „Jung-Rentnerin“ von Herzen alles Gute.
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Helga Fitzner - 22. Oktober 2022 ID 13866
Weitere Infos siehe auch: https://museum-fuer-ostasiatische-kunst.de
Post an Helga Fitzner
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