Stillleben
im Pariser Louvre
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Bewertung:
Eine ägyptische Trauerstele, ein Memento Mori aus Herculaneum, Meléndez‘ Melonen, Sanchez Cotan’s Disteln, rote Kirschen, blaue Kohlköpfe, Musikinstrumente, Wurzel- und Muschelwerk, Blumen, Pflanzen, Kuhhälften, ein gerupftes Huhn, Manets Zitrone und eine Stange Spargel, Goyas Lammschädel, Van Goghs Zimmer in Arles, de Chiricos Artischoken, Morandis Geschirr, Noldes Tänzerinnen, Cezannes Äpfel, Richters Totenschädel, Duchamps Flaschenhalter, Meret Oppenheims Eichhörnchenschweif und sich unzählige, vor Abundanz beugende, flämische Esstische mit dekorativen Vasen oder Gläsern. Auch wenn sich diese Aufzählung wie ein Gedicht von Jaques Prevert anhört, ist dem nicht so. All diese Bilder haben eines gemeinsam: sie fallen in die Kategorie Stillleben.
Gegessen wurde immer. Zu zeigen, was man so auf den Tisch bringt, war von jeher ein Bedürfnis. Die Maler zauberten für ihre Kunden Rebhühner, Nüsse, Feigen aus dem Süden oder frische Fische, Austern und Schinken auf den Tisch, um den Reichtum ihrer Auftraggeber zu zeigen. Die Künstler selber konnten sich das mit Hingabe Gemalte selber nicht immer leisten, weil vielleicht der Kunde nicht genug bezahlte. Vom spanischen Maler Meléndez zum Beispiel erzählt man, dass er permanent Hunger hatte, während er die schönsten Speisen auf die Leinwand brachte. Sein saftiges Melonen in der Landschaft-Bild [s.u.] - man bekommt sofort Lust darauf und will hineinbeißen.
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Luis Egidio Meléndez, Nature morte avec pastèques et pommes dans un paysage, 1771 | © Photographic Archive - Museo Nacional del Prado, Madrid
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Die amüsante und anregende Ausstellung, die gerade im Pariser Louvre zu sehen ist, befasst sich mit dem Stillleben, mit der Nature morte und lädt zu einem kulinarisch-naturwissenschaftlich und nachdenklich-poetischen Spaziergang durch die Jahrhunderte ein, auch wenn immer wieder ein Memento mori an unser Ende erinnert und mahnt. Die Schau ist ein gelungenes Crossover von der Prähistorie über die Renaissance, dem Realismus zur Moderne, vom Kino zur Pop Art, zum Surrealismus und zur Dada-Bewegung bis ins 21. Jahrhundert, in der die Exponate miteinander dialogisieren und dem guten alten Stillleben ein neues Gesicht geben, und das kann ziemlich spannend sein. Es geht um eine Fusion zwischen Mensch und Ding, und wohl deshalb trägt die Ausstellung den einfachen Titel LES CHOSES (Die Dinge).
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Sébastien Bonnecroy, Vanité. Nature morte 2 e quart du XVIIe siècle Huile sur toile © Musées de Strasbourg, Photo M. Bertola
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Die Unsterblichkeit des Vergänglichen: Gegenüber Fresken aus Pompeji, die aus dem Archäologischen Museum Neapel nach Paris kamen, hängt eine von Daniel Spoerris abgegessenen Tafeln (Das ungarische Mahl) aus dem Jahre 1963. Ein Trompe-l’oeil, wie man sie aus den römischen Mosaiken kennt. Unappetitliche Essensreste, die auf den Tellern kleben, erzählen von einem Bankett, das vorbei ist. Die Gäste sind schon gegangen, aber was sie hinterlassen haben, schwebt und duftet noch durch den Raum. Während bei Spoerri alles schön fixiert ist, scheinen Dalís Teller, Gläser, Messer oder Lebensmittel aus dem Bild zu fliehen. Einige Rosen und ihre Geister heißt das Gemälde der US-amerikanischen Surrealistin Dorothea Tanning aus dem Jahre 1952. Die mysteriösen Rosen auf einem hellen, verknitterten Leinentischtuch befinden sich in Transformation und kommen wie außerirdische, vertrocknete Insekten daher. Die industrielle Welt gelangt mit dem Flaschenhalter von Marcel Duchamps in die Ausstellung. Von Theodore Géricault ist eine gruselig-schöne Studie von Abgeschnittene(n) Armen und Beinen (Etude de bras et de james coupés, 1818) zu sehen, die aus einer Choreografie von Sasha Waltz kommen könnte. Das Bild hängt zwischen Goyas Lammkopf und Rembrandts Kuhhälfte. Zwischendurch immer wieder Filmsequenzen von Alain Resnais oder Buster Keaton.
Die unterschiedlichen Begriffe der Ausstellung werden von verschiedenen Seiten mit Kunstwerken aus allen Zeiten beleuchtet. Und waren es in der Antike und der Renaissance Gebrauchsgegenstände, Alltägliches, das vor allem im Norden von Europa auch die religiöse Malerei verdrängte, um die Stuben der wohlhabenden Bürger mit Proteinen, Vitaminen und Gluciden zu füllen, wurden sie für die Nachwelt zum Lexikon und erklären uns den Speiseplan der Bevölkerung, der Reichen und Schönen aus früheren Epochen. Vom Konsum erzählen einmal die übergroße Collage von ERRÒ und eine von Armans Glaskasten-Installationen. Dazwischen in grellen Farben die Tänzerinnen von Nolde, die vor ein paar gelben und roten Tulpen ungelenk herum hopsen, während die Artischocken einer Nachmittagsmelancholie von de Chirico dem dampfenden und austeigenden Rauch eines vorbeifahrenden Zuges die Form geben.
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Jacques Linard, Les Cinq Sens et les Quatre Éléments (avec objets aux armes de la famille de Richelieu), 1627 | © RMN-Grand Palais, (musée du Louvre) / Mathieu Rabeau
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Christa Blenk - 15. Dezember 2022 ID 13964
Die Ausstellung LES CHOSES. Une histoire de la nature morte im Pariser Louvre entstand in Zusammenarbeit mit dem Musée d’Orsay. Über 170 Exponate aus 70 Institutionen sind zu sehen. Die Schau macht Lust auf einen zweiten Rundgang, ist sehr inspirierend und geht noch bis zum 23. Januar 2023. Vielleicht ist die Napoleon-Halle nicht der beste Platz dafür, denn einige Werke kann man in den zum Teil schmalen, mit Besuchern gefüllten Gängen nicht in der richtigen Perspektive betrachten, und man würde sich mehr Rückzugsmöglichkeit wünschen. Vielleicht haben die Veranstalter aber einfach nicht mit einem derartigen Andrang gerechnet. Kuratiert wurde die Ausstellung von Laurence Bertrand Dorléac.
Der Katalog kostet 39 Euro und eine Reservierung im voraus ist empfehlenswert. Ansonsten steht man halt Schlange vor der Louvre-Pyramide.
Weitere Infos siehe auch: https://www.louvre.fr
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