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Balconies
von Liz Magor / Prem Sahib
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Die kanadische Künstlerin Liz Magor (*1948, Winnipeg, Manitoba) zählt in ihrem Heimatland zu den einflussreichsten zeitgenössischen Bildhauerinnen. Ihr äußerst umfangreiches Werk beginnt in den 1970er Jahren, durchläuft so verschiedene gesellschaftliche Positionen und ist ihre sehr persönliche Antwort darauf.
Die Installationen beherbergen seltsam aufgeladene Alltagsgegenstände, ihrer Funktion enthoben und durch eine neue Zusammenstellung - fragt man nach ihrer Herkunft und Identität. Doch es sind unsere eigene Identität, unsere ureigenen Wertmaßstäbe und Erinnerungen mit den Dingen, die uns hier beschäftigen. Was sind uns Konsumgüter und Massenware wert? Bekommen diese eine Persönlichkeit, wenn wir sie besitzen? Ist es Besitz, der Prestige und Status bestimmt? Warum bewahren wir Dinge, nehmen selbst beim Umzug all unser Gerümpel mit?
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One Bedroom Appartement (1996) von Liz Magor | Foto: Liane Kampeter
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Jede Skulptur ist wie eine Kurzgeschichte, nichts steht auf einem Sockel, eher auf einer alten weggeworfenen Pappkiste. Diese ist jedoch sorgfältig hergestellt wie alle anderen Objekte, als ein Abguss aus polymerisiertem Gips. Täuschend echt angemalt. Selbst die Steine von Chee to (2000) sind nachgemalt. Die verborgenen Käseflips wiederum sind originale Verlockung. Diese Gedankenspiele zum Thema echt und falsch und zur Begierde werden bestärkt durch die schwere Last der Steine. Sie stehen allegorisch für unsere Schuldgefühle, die einen auch anheim fallen, wenn man sich dem Laster Alkohol oder Zigaretten hingibt. Die wiederum sind in sorgsam gefalteten Handtüchern versteckt.
Begriffe wie Sehnsucht oder Süchte überhaupt, Skurriles, Wert und Massenware werden zu ihrem Thema, so drapiert wirkt alles aus der Zeit geraten, nostalgisch irgendwie, wertlos und wertvoll zugleich. Es sind Dinge, die normalerweise in Vergessenheit geraten, weil nicht mehr verwertbar oder effizient. Aber sie sind zu rituellen Objekten mutiert, zur Mumienkultur, es sind konservierte und festgehaltene Momente.
Auf diese Art fühlen wir Verletzlichkeit, auch durch die Puppen, die hier eingewickelt in Stoff einfach so auf der Erde liegen. Und der Designer Sessel (Bauff Chair, 1991), der mit Fell überzogen wurde, auf seiner Lehne Handschuhe aus Hirschleder? Er bekommt ein seltsames Eigenleben. Das zum Thema: Eroberung der Rocky Mountains.
Und dann hängen da noch alte Wolldecken, gereinigt, die Mottenlöcher aufwendig umstickt. Vancouver war auch Indianerland, Babys wurden gepuckt, Fell war Schutz, und Hirschleder bestätigte Macht.
Es ist eine sehr weibliche Kunst, das Schöne gilt es zu bewahren, was allerdings auch zum quälenden Laster werden kann. Sammeln hat ebenso Suchtpotenzial; die Bindung, die man zu den Dingen eingeht, bekommt eine seltsame Disziplin, nicht loslassen zu können. Liz Magor’s Herkunft ist protestantisch, Kirche verbietet Müßiggang und Fleischeslust. Selbst Geselligkeit und Luxus sind verwerflich, Selbstbeherrschung und das Bewahren von Dingen oder Traditionen sind oberstes Gebot.
Interessant dabei die übereinander gestapelten Tablets mit Resten einer Party, unerlaubter Genuss von Pralinen und Zigaretten kommen da zutage.
Eine dicke Moral mit der ständigen Verpflichtung sich doch zu bessern.
Betrachten wir diese Kunst, sind wir es, mit unserem Verstand, die der Welt Bedeutung beimessen.
So auch bei dem zweiten Künstler der Ausstellung.
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Prem Sahib (*1982, London) zeigt minimalistische Optik, subjektiv aufgeladen.
Das ist auch seine Art zu sprechen - sehr intensiv, sehr schnell, denn er hat viel zu sagen. Er möchte nicht missverstanden werden, denn er hat eine sehr klar umrissene Botschaft. Es geht ihm um innere und äußere Verweise, um das Private und das Öffentliche. So ist auch sein Titel Balconies (2017) zu verstehen - da, wo man hinaustreten kann aber auch genauso einen Blick ins Innere erhascht.
Im Raum stehen sehr geometrisch angeordnete Stahlschränke, es sind ausrangierte Originale aus einem Saunaclub für Männer. Solche Schließfächer haben die Aufgabe Besitz zu sichern, doch was ist Besitz? Es sind noch Gay-Aufkleber zu finden, oder in einem liegen alte verstaubte Verpackungen von Kondomen. Selbst ein inzwischen gammelig gewordenes Handtuch wartet auf Benutzung. Die Schränke sind alt und kaputt, ihre Anordnung im Raum ist jedoch abgezirkelt und sauber. Davor ein minimalistisch anmutendes IKEA-Sofa, darauf liegend ein antiker Kopf, eine rosa pigmentierte Replik von Michelangelo’s David. Das vermittelt irgendwie verletzliche Gefühle.
Bei ihm begegnen sich also Objekt und Subjekt auf eine sehr spannungsvolle Art. Es geht Sahib um Gemeinschaft und um Identität. Die dazugehörige Deckenarbeit ist Teil des Ambiente und gleicht der in einem Großraumbüro, nur dass einzelne Teile herauszufallen drohen und violettes flackerndes Licht durchbricht - wie in einem Nachtclub.
Insgesamt eine Installation, die einen einlädt zu schauen, sich fühlend zwischen Voyeur und Exhibitionist. Man spürt die Anonymität einer Sauna, das sich Gehenlassen. Alle Schränke stehen offen, geben unverhohlen Einblick. Das als Readymade inszenierte Kunstwerk fragt mit einem AIDS-Aufkleber „Do you care? We do.“ Die Übersetzung: „Macht es dir was aus? Uns schon.“
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Stahlschränke der Installation Balconies (2000) von Prem Sahib | Foto: Liane Kampeter
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Vergleicht man beide Künstlerpositionen, gibt es diverse Gemeinsamkeiten - außer dem unterschiedlichen Alter. Beide beschäftigt Identität durch Dinge, beide bewahren Altes, konservieren Sachen, die keine Funktion mehr haben, suchen im Material das Authentische. Es wird zum Fetisch.
Sehr schön Sahib’s erster Geburtstagskuchen, twin-peak-haft im dunklen Raum der Vergangenheit (Untitled, 2017). So ein Darkroom ist Zwischenraum, für die Schwulenszene macht er die anonyme Suche nach Sexualkontakten möglich. Es ist auch ein Raum ohne wirkliche Identität.
Und vieles ist eine Frage von kultureller Übersetzung. Normalerweise bewahren wir das Schöne, die historisch wertvollen Gegenstände. Hier ist es Müll, der einen besonderen Platz bekommt. Darin sind sich beide Bildhauergenerationen ähnlich. Es ist eine sehr persönliche Sicht auf Vergangenheit. Man soll erahnen, was in uns drinnen an Emotionalität steckt. Insofern ist jeder Betrachter persönlich aufgefordert, ehrlich bei sich selbst zu schauen. Und genau das macht den Reiz dieser Gemeinschaftsausstellung aus. Wertlos wird zu wertvoll, von der Gesellschaft Abgelehntes wird konsequent gezeigt. Also gehört es zu unserer Kultur.
Man wird eingeladen, sich Zeit zu nehmen, den skurrilen und rituellen Objekten Aufmerksamkeit zu schenken. Denn ein Nicht-Verstehen bereitet Unbehagen. Was soll all der Müll hier? Nostalgie? Die neue Optimierung heißt doch Aussortieren, sich trennen, los lassen. Aber nicht allein effizient hergestellte Produkte haben einen Wert, auch das Persönliche, meist in Vergessenheit Geratene. Es sind besondere aufgeladene Momente, die wir mehr als alles andere erinnern. Wir fühlen uns mit ihnen verbunden, und seien sie auch noch so banal.
Immer gibt es in unserer Gesellschaft die Angst nicht zu genügen oder nicht richtig zu sein. Wie gut, dass Künstler das zum Thema machen. Hier geht es um Wertschätzung des Alltäglichen, um Müßiggang und Fleischeslust. Unsere Wegwerfgesellschaft braucht ein zweites Leben für Dinge und eine größere Toleranz gegenüber dem Persönlichen.
Liz Magor sagt: „I’m not conceptual….These are not ideas, these are things. I’m totally against ideas.“
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Heimliche Süchte im Double Cabinet von Liz Magor | Foto: Liane Kampeter
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Liane Kampeter - 3. Juli 2017 ID 10122
Weitere Infos siehe auch: http://www.kunstverein.de
Post an Liane Kampeter
http://www.liane-kampeter.de
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