Der Palazzo Grassi in Venedig zeigt eine bemerkenswerte Einzelschau von Werken der südafrikanischen Künstlerin Marlene Dumas
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Bewertung:
Venedig ist nicht nur im Jahr der Kunstbiennale eine Reise wert. Nachdem alle coronabedingten Reisebeschränkungen und Masken gefallen sind, füllt sich die berühmte Lagunenstadt auch wieder mit TouristInnen, auch wenn die meisten nur für einen Tag kommen und das übliche touristische Standardprogramm mit Markusdom, Dogenpalast, Stadtrundgang und Gondelfahrt abspulen. Für zeitgenössische Kunst, oder was KuratorInnen gern auch in Teams dafür halten, haben normale Venedigreisende nur im Rahmen eines spektakulären Selfis oder instagramablen Fotomotivs Zeit. Vieles liegt praktisch am Wegesrand, manches versteckt in kleinen Palazzi oder deren Hinterhöfen, die für interessiertes Publikum meist kostenlos geöffnet sind. Für die Hauptausstellungsorte der Biennale in den Gardini und Arsenale muss man aber nach wie vor ein Kombiticket kaufen.
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Solch ein Ticket benötigt man auch für den Besuch der beiden Dependancen der Kunstsammlung des französischen Unternehmers François Pinault am Canal Grande, der sich in jedem Falle lohnen dürfte. Das Haupthaus, der Palazzo Grassi, bietet wiedermal eine seiner groß angelegten Einzelausstellungen moderner Kunst. Seit April lädt hier die südafrikanische Malerin Marlene Dumas zu einer fast schon retrospektiv zu nennenden Schau von über 100 Werken ihres Schaffens zwischen 1984 und heute.
Sexualität, Erotik, Pornographie, Liebe und Gewalt sind die großen Themen in der sehr direkten und schonungslosen, man könnte durchaus auch selbst leicht verschämt sagen schamlosen Malerei der 1953 in Kapstadt geborenen und seit 1977 in Amsterdam lebenden Künstlerin. Dumas schöpft dafür aus einem reichen Fundus an kunsthistorischen Bildern, Fotografien und eigenen Schnappschüssen von Freunden und Bekannten, die sie als Vorlage für ihre eindrucksvollen Gemälde benutzt.
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Marlene Dumas (v.l.n.r.): Eden, 2020, Privatsammlung, Courtesy Zeno X Gallery, Antwerpen; The Particularity of Nakedness, 1987, Collection Van Abbemuseum, Eindhoven; The Painter, 1994, The Museum of Modern Art, New York. Ausstellungsansicht, Marlene Dumas. open-end im Palazzo Grassi, 2022 | Foto: Marco Cappelletti mit Filippo Rossi © Palazzo Grassi © Marlene Dumas
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Dumas zum Teil recht explizite Öl-Bilder D-rection, Miss Pompadur, Fingers oder The Crucification aus den 1990er Jahren empfangen die BesucherInnen gleich im 1. Stock des Palazzo Grassi. Hier verarbeitete die Malerin einerseits ihre Eindrücke aus der Amsterdamer Rotlichtszene, ließ sich aber auch von bekannten Werken der Kunsthistorie und philosophischen Schriften inspirieren. Sehr direkt und persönlich ist auch der liegende Männerakt The Particularity of Nakedness, in dem Dumas 1987 ihren im letzten Jahr verstorbenen Lebenspartner, den Maler Jan Andriesse, portraitiert hat.
Die Öl-Portraits von Pier Paolo Pasolini, Hafid Bouazza, Charles Baudelaire, Oscar Wilde, Jean Genet und vielen anderen berühmten oder auch hier zu Lande eher weniger bekannten Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Politik, Literatur und Film hängen im 2. Stock des Hauses. Ergänzt werden sie von einigen Portraitserien in Aquarell auf Papier. Bemerkenswert ist hier vor allem der Portraitzyklus Great Men, mit dem Dumas seit 2014 auf vierzig schwule und bisexuelle Männer der Weltkultur aufmerksam macht. Sie reagierte damit unmittelbar auf das 2014 in Russland erlassene Gesetz gegen sogenannte homosexuelle Propaganda. Eine achtzehn- bzw. fünfzehnteilige Portrait-Installation aus den Jahren 2015-2016 beschäftigt sich mit Shakespeares epischer Versdichtung Venus und Adonis.
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Marlene Dumas (v.l.n.r.): iPhone, 2018, Courtesy David Zwirner; Alien, 2017, Pinault Collection, Spring, 2017, Privatsammlung. Courtesy David Zwirner; Amazon, 2016, Private collection, Switzerland. Ausstellungsansicht, Marlene Dumas. open-end im Palazzo Grassi 2022 | Foto: Marco Cappelletti mit Filippo Rossi © Palazzo Grassi © Marlene Dumas
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In ihren zum Teil verwaschenen, aquarell-ähnlichen Ölbildern beschäftigt sich Dumas auch mit dem rein heterosexuellen Geschlechtsakt, den sie in Hierarchy (1992) wie einen Kampf der Geschlechter darstellt, der aber durchaus zu Gunsten der Frau ausgehen kann. All is Fair in Love and War (dt.: "In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt") hieß eine Dumas-Ausstellung 2001 in New York. Die weibliche Sexualität und der Körper der Frau werden in vielen von Dumas' Bildern thematisiert. Großformatige Aktdarstellungen wie Magdalena (Out of Eggs, Out of Business), Birth, Missing Picasso oder Amazon stehen neben halb angezogenen und verschleierten Frauen wie in Taboo oder Bride.
Measuring Your Own Grave hieß eine andere New Yorker Schau von Dumas' Werken. Ihre Malerei kann man durchaus auch als Vermessung der eigenen Endlichkeit betrachten, wie es die Künstlerin in den makabren Marilyn-Portraits der früh infolge von Drogen und Alkohol gestorbenen amerikanischen Film-Diva getan hat. Weibliche Selbstermächtigung soll dagegen das Selbstbildnis Drunk ausstrahlen. „Nackt, alt, betrunken, weiblich - schlimmer geht es nicht“, liest man dazu im Begleitheft zur Ausstellung. Da nimmt Dumas den Kult um das männliche Künstlergenie ironisch aufs Korn. Der aktuelle Ausstellungstitel open-end zielt nun vor allem ins Ungewisse. Für alles offen, was auch die Interpretation von Dumas reichhaltiger Bilderwelt betrifft.
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Stefan Bock - 22. August 2022 ID 13762
Weitere Infos siehe auch: https://www.palazzograssi.it/
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