Die Kunst des
Sehens und
Wunderns
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Bewertung:
Mit der neuen Ausstellung Museum der Museen – Eine Zeitreise durch die Kunst des Ausstellens und Sehens ehrt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum (WRM) von heute an (bis zum 9. Februar 2025) einen seiner Namensgeber, denn Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) begeht in diesem Jahr seinen 200. Todestag. Er hat die Museumskultur in Köln maßgeblich mitgeprägt und seine vielfältigen und umfangreichen Sammlungen der Stadt Köln vermacht. Der Sohn eines Schneiders war ein umfassend Gelehrter u.a. Geistlicher, Mediziner und später sogar Rektor der Universität zu Köln. Entsprechend abwechslungsreich war seine Sammlung, die sich über naturwissenschaftliche sowie künstlerische Objekte, darunter Grafiken und Bücher, Exotisches aus fernen Ländern, wissenschaftliche Geräte und Kuriositäten erstreckte. Das WRM wartet mit 230 Exponaten aus 400 Jahren auf, die die Entwicklung der Ausstellungsgeschichte in sieben Etappen nachzeichnet. Neben etlichen Leihgaben ist es dem Museum, nach Angaben der Kuratorin Anne Buschhoff, ein Anliegen, Wallrafs dort beheimatete Sammlung sichtbar zu machen.
Zu Wallrafs Lebzeiten existierte noch keine Museumskultur, wie wir sie kennen, und seine Vorstellung war geprägt von den Kunst- und Wunderkammern des 16. bis 18. Jahrhunderts, die von Fürsten und Gelehrten eingerichtet wurden und nicht öffentlich zugänglich waren. In dieser enzyklopädischen Breite hat auch Wallraf gesammelt. Zu seinen Ehren wurde eine „Kunstkammerwand“ mit diversen Objekten installiert, auf die in einem augenzwinkernden Video von Monika Bartholomé näher eingegangen wird. Das erste Museum mit Stücken aus Wallrafs Sammlung wurde erst posthum im Jahr 1827 errichtet. Die riesige Kopie eines Bildes von Marie Ellen Best illustriert die ganze Wände ausfüllende Hängung der Werke in diesem „Wallrafianum“.
So unterschiedlich sie waren, wurden die Sammlungsstücke in den ursprünglichen Kammern in Bezug zueinander gesetzt und dienten als Anschauungsmaterial zur Darstellung der damals bekannten Welt. In einem nächsten Entwicklungsschritt wurden sie thematisch getrennt, was u.a. den Übergang zu frühen Gemäldegalerien zur Folge hatte. Allerdings wurden in der Barockzeit die Werke wandfüllend dicht nebeneinander und untereinander gehängt, sodass das einzelne Bild kaum zur Geltung kam. Um die Wende zum 20. Jahrhundert herum begann man Gemälde einzeln zu präsentieren. Die Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler 1912 war seinerzeit bahnbrechend. Hier wurden die Bilder mit Abstand nebeneinander angebracht, um die Werke der sich unterdrückt fühlenden Avantgarde besser zur Geltung zu bringen.
Es entwickelte sich eine traditionelle Ausstellungsstrategie, die diesem Muster folgte und bis heute vielfach betrieben wird mit vielen Erläuterung und Führungen zum intellektuellen Verständnis. In der Ausstellung werden aber auch experimentelle Museumsansätze vorgestellt, wie das Museé sentimental, also das Gefühlsmuseum, des Schweizer Künstlers Daniel Spoerrie, der im Jahr 1979 im Kölnischen Kunstverein damit zu Gast war. Seine damalige Mitstreiterin Marie-Louise von Plessen war bei dem Presserundgang zugegen und stellte das Projekt vor. Es ging um das Fühlen. Die Anordnung war alphabetisch und fing mit einem Schild mit der Aufschrift „Alaaf“ an. Damit hatten sie gleich zu Anfang die Domstädter gefühlsmäßig erreicht. In einer Vitrine ist die Aktentasche des Kölners Konrad Adenauer zu sehen, ein Bleistift des Kölner Schriftstellers Heinrich Böll, mit dem er seine Texte korrigierte, und sogar eine Erbse als Anspielung auf die Kölner Legende von den Heinzelmännchen, die durch ausgestreute Erbsen zu Fall gebracht wurden.
Radikaler war die Idee von John Cage (1912-1992), dessen riesiges Konterfei den vorletzten Raum dominiert. Sein Konzept beruhte auf reinem Zufall, die Exponate wurden nicht kuratiert. Es werden auch in der Nachstellung nicht alle Objekte auf einmal gezeigt, ein Teil wird in einem Käfig aufbewahrt, der sich im Ausstellungsraum befindet. Die 60 Werke stammen aus 17 Kölner Museen und wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, damit keine Verbindung zwischen ihnen besteht. Der ehemalige Direktor des Kölnischen Kunstvereins Wulf Herzogenrath war Zeitzeuge. Er erinnert sich daran, das nichts und niemand zwischen dem Betrachter und dem Werk stehen sollte. Selber sehen lernen, war die Devise von Cage, erklärte er.
Der letzte Raum, Museum ohne Ort, besteht aus einem Globus und einer riesigen Videoleinwand. Der Medienkünstler Ingo Günther hat QR-Codes von den digital aufbereiteten Kunstwerken weltweiter Museen nach subjektiver Auswahl bearbeitet. Er hat das Ergebnis auf einer großen Leinwand mittels KI zum Leben erweckt. So wird die abgewetzte Aktentasche von Adenauer erneuert, ein präparierter Igelfisch aus der Wunderkammer schwimmt herum, das Guggenheim-Museum in New York hebt wie ein Raumschiff ab und es ergießt sich insgesamt eine riesige Bilderflut. Selbst ein Gemälde von Wallraf gerät in Bewegung, und er lächelt dem Betrachter freundlich zu. Auf die Frage, ob die KI da das Ruder übernommen hätte, antwortet Günther: „Computer sollen unsere Sprache verstehen und nicht umgekehrt.“ Demnach steht auch hier der Mensch im Vordergrund.
Jede einzelne dieser Etappen wäre eine eigene Besprechung wert gewesen. An dieser Stelle kann aber auf den ausführlichen Katalog zur Ausstellung verwiesen werden. Bei aller Faszination für die digitalen Möglichkeiten der heutigen Zeit ist ein Museumsbesuch immer noch viel unmittelbarer, da man selbst Teil des Ganzen wird, die Räume in ihrer Wirkung und das Fluidum der Kunstwerke wahrnehmen kann. Jenseits des intellektuellen Begreifens lädt diese anspruchsvolle und gelungene Hommage an Ferdinand Franz Wallraf zum Sehen und Wundern ein.
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In den frühen Kunst- und Wunderkammern gab es ein Sammelsurium von diversen Gegenständen, wie Naturobjekte, Kunst und sogar wissenschaftliche Gerätschaften zu bewundern | Foto: Helga Fitzner
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Helga Fitzner - 11. Oktober 2024 ID 14961
https://www.wallraf.museum/
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