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Die BUNDESKUNSTHALLE in Bonn hat ihre mit Wir Kapitalisten - Unterzeile: Von Anfang bis Turbo - betitelte Ausstellung bis 30. August verlängert; wegen der Coronapandemie war sie ja erst mal, kurz nachdem sie sie eröffnete, über zwei Monate geschlossen worden. Sie beginnt sodann mit einer an die Wand geworfenen Zitatzeile, in der es heißt: "Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus." (Der britische Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Mark Fisher hätte diesen Satz vor mehr als zehn Jahren geprägt.) Ja und gemeint sind mit den sich "das Ende des Kapitalismus" Nichtvorstellenkönnenden selbstredend wir, also die Jetzigen, die Heutigen, die Derzeitexistierenden mit überschaubar kurzer Daseinsdauer, die wir das bezeichnete System, allein indem wir mit und/oder ohne Bargeld konsumieren, aktuell durchleben.

Es gibt in der großzügigen Schau 250 Exponate zu besichtigen, die uns v.a. dieses "soziokulturelle Phänomen" des Kapitalismus vorführen, und (lt. der Presse-Info) wäre die Struktur der Ausstellung nicht chronologisch angelegt, "sondern richtet sich an grundlegenden Hauptmerkmalen aus, denen sie sowohl in historischen als auch in zeitgtenössischen Zusammenhängen nachspürt"; und von Ebene zu Ebene werden dann solche (Kapitalismus-)Begriffe wie z.B. Rationalisierung, Produktivität, Privateigentum, Gemeingüter, Geld, Kunstmarkt, Wachstum, Luxusprodukte, Innovationen, Krisen, Verschwendung, Hedonismus usw. usf. didaktisch abgearbeitet.

Beim Anblick der Installation Give us, Dear von Mathias Böhler & Christian Orendt [s.u.] assoziiert der Besucher auf das sagenhafte Gulliver-Moment am Ende seiner (Gullivers) Reise nach Liliput, wo er sich als urplötzlich ungewollt gewordener Riese der Übermacht von Tausenden und Abertausenden Däumlingen, die ihn, während er nach seiner anstrengenden Strandung eingeschlafen war, gefesselt und sodurch scheinbar gebändigt hatten, ausgesetzt fühlt... Hier und heute, auf der Erde anno 2020, steht die Gulliver-Figur für die geschundene Natur, aus der sich Tausende und Abertausende menschliche oder menschenähnliche Statisten (= Wir Kapitalisten) zu ihrem unselbstlosen Nutzen nach und nach bedienen bis die Gulliver'sche Kreatur (= Natur) am Ende ausgeschlachtet sein würde; und dann? was machten dann die Däumlinge, wenn es nichts mehr zu holen gäbe??



Mathias Böhler & Christian Orendt: Give us, Dear, 2013 | Eine Kooperation des Neuen Museums Nürnberg mit Elke Antonia Schloter und Volker Koch; Bildquelle: bundeskunsthalle.de



Vom Visuellen her ist dieses Exponat [s.o.] der vielleicht beeindruckendste Hingucker der Ausstellung, ja und man stößt auf ihn, nachdem man justament die ersten zirka zwanzig Teil-Stationen abgelaufen haben wird und es hiernach mit nochmaligen zirka zwanzig Teil-Stationen weitergeht...

Ulrike Herrmann, eine meiner Lieblingswirtschaftsjournalistinnen, die mir aus Sendungen in Funk & Fernsehen bekannt ist, wird mit Folgendem zitiert: "Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweichlich in die ökologische Katastrophe. Der Kapitalismus erscheint wie ein Fluch. Er hat den Reichtum und den technischen Fortschritt ermöglicht, der es eigentlich erlauben würde, mit wenig Arbeit auszukommen. Aber stattdessen muss unverdrossen weiter produziert werden." So isses wohl. Und neulich, irgendwann in einer Ausgabe vom Presseclub, geriet sie fast mit einem oder zwei Kollegen aneinander, als sie felsenfest behauptete, dass man vonseiten der EU - für die Corona-Rettung vorzüglich der Südländer - unendlich viele Schulden machen könnte oder müsste, und das wäre dann auch gar nicht weiter schlimm, weil all die Schulden sowieso dann nie (niemals!) zurückgezahlt würden, ja und von wem auch? Zack! das nenn' ich einen Schuss ins Schwarze.

*


Das Kapitalismus-Game funktioniert erst dann,
wenn seine Spieler vorher "Egos" vom Automaten
auf ein Smartphone laden. | Foto: KE


Wir Kapitalisten kann (und sollte) auf ganz spielerische Art und Weise abgegangen werden. Hierzu haben sich die Kuratorin Henriette Pleiger und ihr Kuratorskollege Wolfger Stumpfe mit den Tüftlern von gamelab.berlin, einer Forschungs- und Entwicklungsplattform der Berliner Humboldt-Universität, verbündet, die das Kapitalismus-Game entwickelten:

Man kriegt ein Smartphone ausgehändigt, geht mit ihm an einen Automaten [s.o.] und lädt sich dort "Egos" auf. Hierzu muss paar Mal in die Automatenkamera geschaut werden, und zwar so emotional, wie das der Automat vorgibt also entweder "traurig" oder "lustig" oder "wütend" oder "skeptisch" usf., und je nachdem wie gut oder wie schlecht man seine Emotionen gestisch demonstriert, bewertet das der Automat mit Nominalbenotungen von 1 bis 10 und rechnet alles das zuletzt in die besagten "Egos" um. Danach lassen sich hie und da diverse Barcodes mit dem Smartphone einscannen, und passgenau zum Exponat, auf dessem Schildchen dann dieser bewusste Barcode zu entdecken resp. einzuscannen wäre, wird man nun in einen Chat (mit Marx, mit der geschundenen Natur, mit Merkels erstem Handy usf.) verwickelt, anhand dessen Antwortmöglichkeiten (meistens jeweils drei in Auswahl) dein privatkapitalistisches Profil ermittelt wird; alles halt ausschließlich per Künstlicher Intelligenz.

Und ganz am Schluss - wenn die KI dann ihren Daten-Check anhand der vielen Abgespeichertheiten (deiner Gesichtsaudrücke, deiner Chatantworten) ausgewertet haben wird - bekommst du eine Quittung ausgeworfen sowie einen von vier Kurzfilmen, den du dir dann in einer abgedunkelten Videokabine anzuschauen hättest, zugewiesen - und konkret sah das bei mir so aus, dass die Jury [s. Screenshot unten] konstatierte, dass mein Typ dem eines "Unangepassten" entsprochen haben würde; gemeint war freilich eines "unangepassten Kapitalisten". Frei und konsequent nach dem Ausstellungstitel Wir Kapitalisten.

Witzige und funktionierende Idee.



Nach ungefähr zwei Stunden Ausstellungsbesuch erfährt der Game-Nutzer, was für ein Einzelkapitalistentyp er ist - die außerordentliche Jury-Sitzung, deren Endrunde per Video nachverfolgbar ist, "richtete" quasi über ihn... | Foto: KE

Andre Sokolowski - 5. Juni 2020
ID 12281
Weitere Infos siehe auch: https://www.bundeskunsthalle.de/


http://www.andre-sokolowski.de

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