Barockes
Rom
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Bewertung:
Wenn man auf der Straße XX Settembre in Rom Richtung Quirinalpalast geht, kommt man zuerst an der kleinen und bescheiden-bezaubernden Kirche San Carlino alle Quattro Fontane vorbei, die Borromini 1646 baute, und trifft 50 Meter weiter auf die protzig-geniale Bernini-Kirche Sant’Andrea al Quirinale (1670). Damit hat man eine Pflicht erfüllt und Charakter, Einfluss sowie Machtanteil dieser beiden Künstler am römischen Bau- und Kunstgeschehen im Barock verstanden und ist bereit für die Kür im Palazzo Cipolla.
Aber zuerst muss man sich mit der Ausgangssituation von Rom nach dem Mittelalter auseinandersetzen:
In der Spätantike lebten in Rom an die 1,5 Millionen Menschen. Ein politischer Bedeutungsverlust, Plünderungen durch die Westgoten und Vandalen und die Abwanderung der Kaiser in andere Städte verursachten den Untergang des Römischen Reiches. Im 9. Jahrhundert lebten gerade mal 20.000 Menschen in Rom. Durch einen einsetzenden Pilgerreisen-Tourismus erwachte die Stadt schön langsam wieder aus seinem Dornröschenschlaf und verdoppelte bis ins 15. Jahrhundert seine Einwohnerzahl. Gebäude und Straßen befanden sich allerdings in einem katastrophalen Zustand, und die komplett unzureichende Wasserversorgung war unwürdig für die Stadt der Aquädukte. Erschwerend hinzu kam die weiter anhaltende Zerstörung antiker Bauten, die als Steinbruch dienten oder als Selbstbedienungsläden für Neubauten herhalten mussten. Bereits unter Papst Sixtus IV. setzte ein architektonisches Aufrüsten sowie eine umfangreiche Stadtsanierung ein. Papst Julius II. (1443- 1513) holte 1496 Michelangelo nach Rom und legte somit den Grundstein, Rom wieder zum Ausgangspunkt verschiedener Kunstrichtungen zu erheben, was zusammen mit einer von Jesuiten dominierten mächtigen Kirche die Stadt zum zweiten Mal Caput und Theatrum Mundi werden ließ mit Päpsten, Adel und Künstler als Hauptdarsteller. Der nächste Papst beauftragte den Architekten Domenico Fontana einen Plan zu erstellen, der die sieben Hauptkirchen in einer möglichst geraden Linie für die Pilger verbinden sollte, ließ die antiken Obelisken wieder aufstellen und versah sie mit einem Kreuz, gab ein neues Aquädukt in Auftrag, das 27 öffentliche Brunnen speisen sollte, die eines der Hauptmerkmale des barocken Roms werden sollten. Der bauliche Wettlauf hatte begonnen, und das neue glänzende Rom konnte entstehen. Für die Realisierung wurden die Hauptprotagonisten und Erzrivalen Gian Lorenzo Bernini (1598-1680), intelligent, hochbegabt, opportunistisch, diplomatisch und aggressiv, sowie Francesco Borromini (1599-1667), begabt, genial, verschlossen, griesgrämig, kauzig und depressiv, gewonnen. Diesen beiden Barockschöpfer sind in der Ausstellung auch am prominentesten vertreten. Mächtig, imposant, gigantisch, übernatürlich und übermenschlich - so sollte das neue Rom werden, und so sollte es in der Welt verbreitet sein, wofür auch die wieder anreisenden Künstler sorgten. Kirche und Staat konnten gleichermaßen damit protzen und nutzten außerdem diese neuen Architekturprojekte für die katholische Gegenreformation.
Einer der wichtigsten und einflussreichsten Vertreter war zum einen Papst Urban VIII. und zum anderen der Papstneffe (Nepotismus kommt von ihm) Scipione Borghese. Das Amt des höchsten Kirchenchefs war wie ein Hauptgewinn im Lotto und für ihn und den gesamten Clan ein Synonym für Reichtum, Macht, Mäzenatentum und Sammlerleidenschaft, wovon die Künstler, allen voran, Gianlorenzo Bernini, ebenso aus dem Vollen schöpften wie das jeweils sich an der Macht befindende Kirchenoberhaupt. Zu erreichen war das nur mit Intrigen, Gewalt und Perversität.
"Nach den Carafa, den Medici, Farnese – bereichert sich von nun an – das Haus Borghese.“ So sprach die römische Bevölkerung und kommentierte resigniert die Machenschaften und die Geldverschwendung der Kirchenoberhäupter.
Die Architektur suchte neue Wege die Harmonie der Renaissance zu durchdringen, und die Malerei sollte realistisch sein aber gleichzeitig täuschen und vortäuschen. Mythologie und Religion waren die Lieblingsthemen der Künstler im Barock. Götter und Helden waren nackt, schön und erotisch und durften so dargestellt werden, wie Gott sie geschaffen hatte. Die üppige Scheinheiligkeit und irre Chromatik kannte keine Grenzen.
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200 Exponate hat die private Stiftung Fondazione Roma Museo – Palazzo Cipolla für BAROCCO A ROMA aus vielen wichtigen Museen der Welt nach Rom geholt, darunter Gemälde, Zeichnungen, Radierungen, Architekturprojekte, Skulpturen, Musikinstrumente.
Die Frühbarockgemälde der Caracci-Brüder, allen voran Annibale Carraci, der mit seiner fast ungebildeten poetischen Naivität und viel Mut die knalligsten Farben auf die Leinwand brachte, stehen den Chiaro-scuro-Bildern der Nachahmer des skandalumwitterten Caravaggio (1571-1610) gegenüber. Der Triumpf von Baccus von Pietro da Cortona oder Guido Renis geniales Gemälde aus Neapel Atalante und Hippomenes, eine Episode aus der griechischen Mythologie.
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Guido Reni, Atalanta e Ippomene, 1616-18 ca., Napoli, Museo di Capodimonte. Per gentile concessione della Fototeca della Soprintendenza Speciale Per il P.S.A.E. e per il Polo Museale della Città di Napoli
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Die berühmte Barockdiagonale verläuft hier gleich zweimal an den nackten und mit gehauchten Alibi-Schleiern bedeckten Körpern entlang: Atalante, die jeden Freier besiegt und ihn deshalb tötet, akzeptiert die Herausforderung von Hippomenes. Auf dem Bild bückt sich Atalante gerade nach einem der Äpfel, den Hippomenes auf Verlangen von Aphrodite fallen ließ, und verliert den Kampf, aber gewinnt Hippomenes.
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Der Franzose Simon Vouet, der vor seiner Ankunft in Rom in Venedig noch ein Chromatikseminar belegte, glänzt mit seinem großartigen Gemälde Il Tempo vinto dall’amore e dalla Bellezza aus dem Prado. Verschwenderisch, farbenprächtig, dynamisch, ausschweifend und generös wird hier dargestellt, wie die Zeit von der Hoffnung und Schönheit besiegt wird.
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Simon Vouet, Il Tempo vinto dalla Speranza e dalla Bellezza, 1627 © Photographic Archive. Museo Nacional del Prado
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Nicolas Poussins Mose fanciullo calpesta la corona del faraone kam aus Paris. Dazwischen Werke von Van Dyck und Rubens, Giacinto Brandi, Baccicia u.v.m.
Und natürlich trifft man immer wieder auf Bernini und Borromini. Man kann sich mit dem Gegenprojekt des Petersdoms auseinandersetzten oder Berninis Projekte für die Engelsbrücke bestaunen. Auch anwesend eine wunderbare Holz-Skizze der „Verzückung der heiligen Theresa“ aus der Hermitage. Das Original ist in der römischen Kirche Santa Maria della Vittoria zu bestaunen.
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Gian Lorenzo Bernini, Ritratto di Costanza Buonarelli, 1635 circa, Firenze, Museo Nazionale del Bargello, S.S.P.S.A.E e per il Polo Museale della città di Firenze - Gabinetto Fotografico
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Nicht zu vergessen die Büste von Berninis Geliebten Costanza Bonarelli, übrignes die einzige Büste, die Bernini von einer Frau anfertigte...
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Christa Blenk - 14. Mai 2015 ID 8638
Die Ausstellung BAROCCO A ROMA ist eine wunderbare Ergänzung zu dem, was man in Rom tagaus-tagein sieht: unzählige Barockkirchen, Bernini- und Borromini-Brunnen und Bauten, Skulpturen, Innenhöfe, Oratorien, Kreuzgänge; es hört gar nicht mehr auf...
Weitere Infos siehe auch: http://www.mostrabaroccoroma.it/
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