Genius
noci
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Paola Romoli Venturi bei der Arbeit | (C) Christa Blenk
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Bewertung:
2008 hat ein gewaltiges Unwetter in Rom im Orto Botanico in Trastevere (Botanischen Garten) einen sehr alten, großen Nussbaum zum Stürzen gebracht. Ein Teil der Wurzeln blieb allerdings unter der Erde, der Baum wuchs weiter und aus ihm sprossen weitere Bäume.
Die Kuratorin Anna D’Elia hat vor einem Jahr dieses Ausstellungskonzept konzipiert, den gefallenen Baum zum Hauptprotagonisten und Mittelpunkt gemacht und sechs römische Künstlerinnen auf unterschiedliche Weise mit ihm eine Verbindung eingehen lassen.
Und das passierte vorigen Samstag...
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Stella Galla's Installation Pura consepavolezza (dt.: reines Bewusstsein) besteht aus 53 unterschiedlich großen Vogelnestern aus weißer Keramik, die sie an den Baumspitzen des enormen Nussbaums installierte. In einem Nest sitzt eine Frau und meditiert - sie selber! Das Nest ist ein Symbol der Geborgenheit, und der Besucher wird eingeladen, sein eigenes sicheres Zentrum oder Nest zu finden.
Gleich daneben die Installation Totem 2015 von Claudia Chianese. Dort, wo der Baum sich spaltet, oder wo Äste abgebrochen sind, entstanden Löcher; diese hat die Künstlerin in Totems verwandelt und sie mit Querschnitten vom Baum verbunden. Die physische und metaphysische Beschaffenheit des großen Baumes bildet hier einen Kreis. Materiell und immateriell, Geist und Materie, Sonne und Schatten, schwarz und weiß, voll und leer stellt sie gegenüber. Von ihr angeordnete runde Strohflecken in der Gabelung landen zur Meditation über diesen Mikro- und Makrokosmos ein.
Auf der freien grünen Fläche vor dem schlafenden riesigen Baum hat Paola Romoli Venturi ihre Plastikinseln aufgestellt. Sie erinnert daran, dass 2008 (das Jahr, in dem der Baum fiel) vor der kalifornischen Küste ein Wal mit 250 Kilogramm Plastik im Magen tot aufgefunden wurde. Ihre umweltpolitische Installation prangert wieder einmal den PTV_Paficic Trash Vortex an, diesen 8. Kontinent aus Plastik im Pazifik. 2012 hat Romoli Venturi angefangen, Plastik aus dem eigenen Haushalt zu sammeln um daraus ihre Isole_Paola Trash Vortex zu fabrizieren. Fünf von ihnen standen schon, als wir ankommen - die sechste und größte Insel hat sie vor dem Publikum gefüllt und mit dem italienischen Kinderreim „Molti, Molta, Molte“ die zukünftigen Plasktikinselverursacher in ihr Happening mit einbezogen und vielleicht positiv beeinflusst. Aufmerksam waren die Kinder jedenfalls.
Silvia Stuckys konzeptionelle non-Installation heißt opera senza io (dt.: Kunstwerk ohne mich) und steht – konzeptionell - gleich neben den Inseln von Paola Romoli Venturi, also vor dem Baum. Stucky hat vor einem Jahr angefangen, den Baum regelmäßig zu fotografieren. Sie hat vier weiße Plastikstühle aufgestellt und an den Lehnen einen kurzen Text angebracht, in dem sie das Leben und Nicht-Sterben des Baumes erklärt. Nach der Lektüre lädt sie den Besucher ein, sich auf den Stuhl mit Blick auf den Baum zu setzen und das, was man hört, sieht und riecht, in sich aufzunehmen. Das Kunstwerk ist in diesem Fall der Ort zwischen Himmel und Erde oder das Betrachten der Besucher. Mit ihren wunderbaren Fotos durchwandert man alle Jahreszeiten und Momente des Baumes. Sie hat sie zusammen mit den Geschichten, die ihr ein alter Gärtner im Orto erzählt hat, in einem E-book veröffentlicht.
In Jasmine Pignatellis Rebirth 2012 – Semirefrattario 1250° wird die verbindende Lymphe zwischen den Zweigen zum Darsteller. Sie berichtet von der Kraft der Natur, vom Willen zu überleben, von der Selbstverständlichkeit der Wiedereroberung des Platzes. Für Pignatelli sind es die stummen Worte des Baumes, die an die alte Sprache der Mutter Erde erinnern. Zarte, farbige in den Himmel wachsende Stäbe sollen die unsichtbaren Verbindungen zwischen der Lymphe und der Ursprache dokumentieren.
Die Choreografin Alessandra Cristiani trat durch einem primordial-rituellen Tanz mit dem Baum in Verbindung. Mit ihrer Performance Esserenatura (dt.: Natur sein) feiert sie die Verwandlung ihres Körpers in eine Pflanze, ähnlich Daphne, die aus Angst vor Apolls Verführung zum Lorbeerbaum wird. Sie zelebriert eine Vereinigung zwischen Natur und Mensch. Cristiani legt ihre Seele offen und ist mir hier schon öfter aufgefallen. Ihre individuellen Choreografien sind außerordentlich beeindruckend, intensiv, beklemmend und überwältigend und immer auf ein bestimmtes Projekt zugeschnitten. [Vor ein paar Monaten hat sie uns mit einer Performance zu elektronischer Musik von Michelangelo Lupone (Feed Drums) tief beeindruckt.]
Zwischendurch hat es immer wieder ein wenig zu regnen angefangen, was sicherlich nicht inszeniert, aber den Baum durch die schwüle, schwere Luft wieder ein wenig wachsen ließ oder ihm wenigstens ein neues Blatt bescherte.
Bemerkenswerte Schau in einem beeindruckenden Umfeld.
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(C) Silvia Stucky
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Christa Blenk - 19. Mai 2015 ID 8648
Weitere Infos siehe auch: https://geniusnoci.wordpress.com/
Post an Christa Blenk
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