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Kunst-Spezial

noch bis zum 26. Februar 2005 in Berlin, im Künstlerhaus Bethanien:

Disobedience - Ungehorsam

Ein Projekt von Marco Scotini
Das Leben ist eine Baustelle

Videogramme einer Revolution


Oder doch eine Performance?

„Videogramme einer Revolution“. Farocki und Ujica zeigen Videogramme der Revolution von 1989 in Rumänien. Im Dezember 1989 besetzten Demonstranten eine Fernsehstation in Bukarest und waren für 120 Stunden auf Sendung.

15 Jahre später in Italien:
Ein Mann klettert auf das Dach eines mehrstöckigen Hauses. Es scheint Winter zu sein. Birken stehen nackt. Ein eiskalter, sonniger Wintertag. Ein Echtzeitvideo. Keine Sekunde wurde geschnitten. Der mühsame Aufstieg des Kletterers scheint eine an und für sich gewichtige Handlung. Möglicherweise stürzt er am Ende in die Tiefe und der harte Asphalt bricht ihm das Genick.
Aber die Geschichte endet so harmlos wie sie begonnen hat. Auf dem Satteldach angekommen setzt er sich auf die roten Ziegel und genießt den Moment in der frostigen Wintersonne mit dem weiten Horizont.

Es war der Spaziergang eines Gefangenen auf dem Dach der Justizvollzugsanstalt von Mailand. Nicht der Ausbruch war sein Ziel, sondern ein Spaziergang an einem wunderbaren Sonnentag.

Was ist Fiktion und was ist Realität?
Was ist Kunst und was ist Politik?

„The sunny side“ heißt das 15minütige „illegale“ Video, gefilmt von Alterazioni Video in Milano, Italien, in der Umgebung des S.Vittore Gefängnisses. Der Akt des Ungehorsams als ein Akt der Befreiung und des Überlebens, das Bewusstsein des Wertes eines Spaziergangs in der Sonne und die Wahrnehmung von Machtlosigkeit sind Dinge, die dem
Beobachter durch den Kopf gehen.
„Reclaim the media“ heißt die Forderung von Alterazioni Video und ergänzt somit die alte aber immer noch aktuelle Parole linker Gruppen: „Reclaim the streets."
Das Video „The sunny side“ wird im Rahmen der Ausstellung „Disobedience“ gezeigt, an ongoing video library. Die Ausstellung ist noch bis zum 26.Februar im Kunstraum Bethanien in Berlin/Kreuzberg zu sehen. Schwerpunkt des Projekts ist die Beziehung zwischen künstlerischer Praxis und zivilem Ungehorsam. Die sozialen Kämpfe in Italien 1977 sind ebenso Themen der Videostation wie die jüngsten globalen Proteste vor und nach Seattle.
Das Projekt ist eine Arbeit im ständigen Wandel.
Ziel ist es einen gemeinsamen Raum für künstlerische Produktionen und politische Aktionen zu schaffen.

Die Titelseiten der Zeitung „Lotta continua“ (Der Kampf geht weiter) Oktober 1977 nach der Entführung Schleyers durch die RAF und die Titelseite der Ausgabe vom Februar 1977

Parallel zu dem Projekt von Marco Scotini, fand vom 14. – 16. Januar die Gesprächsreihe „Der Status des Politischen in aktueller Kunst und Kultur“ mit internationalen KünstlerInnen, AktivistInnen und TheoretikerInnen statt. Eine Schlussdebatte namhafter KunsttheoretikerInnen und PhilosophInnen im großen Saal der Volksbühne mit wenigen freien Plätzen beendete die Gesprächsreihe.
Sie hatte das Ziel den gegenwärtigen Gebrauch der Kategorie des „Politischen“ in der zeitgenössischen Kunst und Kultur zu hinterfragen. Insbesondere seit dem 11. September 2001 kursiert die Behauptung einer Repolitisierung der Kunst, beziehungsweise einer Rückkehr politischer Fragestellungen in das Feld der Kultur und der zeitgenössischen Kunst.

Zur Umsetzung und Ergänzung der diskutierten Theorieansätze wurden Workshops angeboten. Sie fanden vom 17. – 20. Januar statt - für jeden offen.



Was hatten sie uns nun zu sagen, die TheoretikerInnen und AktivistInnen?
Hatte ihr Verständnis von dem Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik bodenhaftung?
War ihr Verständnis den Öffentlichkeiten – wie jetzt das Publikum benannt wird um einer sprachlichen Diskriminierung entgegen zu wirken – verständlich?
Wie weit waren wir alle voneinander entfernt?
Und was macht nun das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik aus?

Vor allem nach der Abschlussdiskussion in der Volksbühne kamen allerlei Zweifel auf.
Keiner der anwesenden PhilosophInnen, KunsthistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen haben nur im Ansatz versucht Boden unter ihre Füße zu kriegen. Sie wateten im philosophischen Schlamm höherer Vernunft, vergeistigt bis ins Mark schreckten sie vor nichts zurück. Unaufhaltsam kneteten sie Worte auf der Bühne des Volkes, dem Wohnzimmer Frank Castorfs, und verdammten die so schön benannten Öffentlichkeiten zum Schweigen.

Ihnen konnte keiner das Wasser reichen. So viel steht fest.

Trotzdem: Einiges wurde gesprochen.

The Barricade/ Digital video, 1998, Rabek –Community, Russland
- Eine Erinnerung an die Maidemonstrationen von Paris vor dreißig Jahren und ein Hinweis auf die politische Zukunft Russlands-
Die Barrikade wurde aus Bildern von bekannten russischen Malern gebaut. Die Künstler veröffentlichten folgende Presseerklärung:
„die Barrikade ist ein Akt des zivilen Ungehorsams mit dem Ziel neue Praktiken des politischen Kampfes und der künstlerische Ausdrucksform zu erproben.“


Die Zusammenfassung:

Kunst als Treffpunkt. TEIL HABEN ALLE. KünstlerInnen, AktivistInnen, Interessierte…
Das ist der Traum. Der Traum, dass Kunst Leben neu schafft, eine neue Form von Zusammensein.
Und der Weg dort hin ist diese Wege zu erfinden, neue Wege zu erfinden. Die Grenzen der Kunst werden so immer wieder aufs Neue verschoben.
Dazu gehört auch die Frage an die Kunstschaffenden: Was will ich eigentlich vermitteln?
Und wie können andere teilhaben?
Eine Gemeinschaft setzt ein „Wir“ voraus. Wer ist das „Wir“?

Hier spielt auch das Spannungsverhältnis von Kunst unterschiedlicher Kulturen eine Rolle. Wie kann man die negative Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen bekämpfen? Es gibt eine Ängstlichkeit von Weißen schwarze Kultur aufzunehmen. Diese Ängstlichkeit muss durchbrochen werden.
Dies bedarf auch einer Untersuchung von Raum und Zeit. Denn letztendlich ist es immer noch die Sklaverei, die das Verhältnis der Weißen zu den Schwarzen und umgekehrt prägt, ebenso das Verhältnis zum afrikanischen Kontinent.
Ausstellungen helfen die Sicht auf die Dinge zu verändern, auch die Sicht des Künstlers oder der Künstlerin. So hat zum Beispiel die Bewegung Schwarzer Künstler in de 80er Jahren dazu geführt, dass das Recht zu erzählen durchgesetzt wurde und das Schweigen gebrochen werden konnte.

Ein „Wir“ kann nicht konstruiert sein. Es besteht die Gefahr, dass das Publikum, die Öffentlichkeiten, zum bloßen Material des Künstlers verkommt anstatt zum gewollten Subjekt zu werden.
Eine Professorin für Kunstgeschichte schaut sich die Ausstellung „black mail“ in New York an. Sie ist begeistert vom schwarzen Publikum. Sie sieht darin eine ganz und gar faszinierende Ausweitung der Ausstellung. Die Ausstellung wird lebendig. Würde die Professorin für Kunstgeschichte ebenso phantasieren, wenn die Ausstellung „white mail“ hieße und Weiße die Ausstellung besuchen würden?

Das „Wir“, die Teilhabe des Publikums wird auch durch einen neuen ästhetischen Begriff bestimmt, den Begriff des Performativen. Werke im herkömmlichen Sinne werden zunehmend durch Ereignisse ersetzt. Es ist das Ende des Traumzuschauers der Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese Künstler träumten davon wie Rilkes Apoll den Öffentlichkeiten nach der Besichtigung ihrer Werke aus sich mächtig gebärdenden Kumuluswolken zurief: “Du musst dein Leben ändern.“
Heute würde er wohl rufen: „Ab heute bist du kein Beobachter mehr. Du musst dich positionieren.“

„Sexyshock“, Bologna, Italien
Sexyshock ist der erste von Frauen geführte Sexshop Italiens. Er versteht sich als Teil der Hackercommunitiy und vertritt Positionen zu Technologie und Sexualität von einem feministischen Standpunkt aus. Sexyshock ist kein kommerzieller Ort, sondern ein Raum, in dem kulturelle und politische Praxis ein Zusammenspiel mit Körpern beginnt und das abseits von starren Kategorien, Rollenzuschreibungen oder festen Identitäten. Betty ist der Name des Sexyshock – Kollektivs. www.ecn.org/sexyshock


Ein anderer Punkt, der über ein Wir entscheidet, ist der des Verstehens. Das Verstehen muss miteinbezogen werden in das System. Der Begriff des „Offenkundigen“ sollte zum Experimentieren einladen. Kunst, Bildung und Wissen sollten in Beziehung zueinander treten.
Was ist Wissen und wie ist es vermittelbar? Ist Kunst immer vermittelbar?
Und wenn sich schon mal ein Künstler mit dem Problem der Vermittelbarkeit herumschlägt, wem will er was vermitteln? Den KunstkritikerInnen, der bourgeoisen Öffentlichkeit, fokussiert auf dicke Geldbeutel? Oder ist es vielleicht einer der blauäugigen marxistischen Künstler, der sich mit dem Charme des Proletariats umgibt und versucht das „Objekt mit grüner Gießkanne“ dem Gärtner seiner Großmutter zu erklären?

Die Frage der Überbrückbarkeit der Kluft zwischen KünstlerInnen und den breiten Öffentlichkeiten ist nach wie vor eine der vordringlichsten Fragen unserer Zeit.
Es ist die Frage nach Erziehungsgrundlagen und einem Training der Sinne.
Da es kaum möglich ist das ganze Erziehungssystem zu revolutionieren, ist es notwenig sich mit dem Begriff des Offenkundigen zu befassen. Natürlich ist das nicht immer möglich. Bestimmte Grundlagen von Kunstschaffen müssen bekannt sein, um eine kubistische Collage von Georges Braque zu verstehen. Aber des Lesens kundig und zur Reflexion fähig kann auch dem Gärtner die kubistische Collage von Georges Braque nahegebracht werden. Nichts ist unmöglich.

Kunst dem Leben wieder anzunähern war nach dem Kunstmissbrauch und der Kunstzerstörung im „Dritten Reich“ oberstes Gebot.
KünstlerInnen wollten wieder kämpferisch sein. Picasso malte nach dem Francoregime Bilder als politische Manifestation.
Der 11. September setzte einen ähnlichen Prozess in Gang. Man wollte sich wieder positionieren, Stellung beziehen. Auch das ist künstlerische Freiheit.
Ebenso haben linke AktivistInnen und KünstlerInnen das Feld der Kunst als politischen Aktionsradius entdeckt und damit ein neues Terrain des politischen Kampfes geschaffen. Die hier vorgestellte Ausstellung „Disobedience“ ist dafür ein Beispiel.

Legal Support/Video installation, 2004
Alterazioni Video
Auszüge aus dem Videomaterial, das während des Widerstandes gegen den G8-Gipfels (Zusammentreffen der acht mächtigsten Nationen) produziert wurde. Das Video umfasst Szenen der Aktionen auf mehreren Monitoren in großer Lautstärke.
„ besuche die Ausstellung und unterstütze die „Performer“. Unterstütze 26 junge Leute, die wegen der Zerstörung von Eigentum und Plünderung vor Gericht stehen. Verschiebe die Grenzen zwischen Realität und Performance. Arbeite an der Gegenwart in der Gegenwart. Nutze die Gallerie wie einen öffentlichen Platz, gebe sie an die Menschen zurück, reiße sie aus dem Zusammenhang.“ (Alterazioni Video)


Bleibt noch ein Anliegen in eigener Sache:

Was ist in diesen Auseinandersetzungen der Job von exklusiven Kunst -und Kulturmedien?

Es ist heutzutage nahezu gefahrlos im kulturellen Bereich radikale Positionen einzunehmen. Das System ist mit Integrationsmechanismen ausgestattet, die es sogar ohne das geringste Risiko erlauben einen linksradikalen Videokünstler berühmt werden zu lassen, solange er nur zum virtuellen Maschinengewehr greift.
Ebenso sind der Kritik alle Türen geöffnet. Nur gehen leider nicht viele hindurch.
KritikerInnen machen sich vor allem im Bereich avantgardistischer Kunst selten angreifbar. Und wenn sie es tun, verpacken sie es oft in eine fast peinlich anmutende und vor allem verantwortungslose ironische Form. Die Ironie soll das Mittel sein kritiklos aus der Kritik an der Kritik herauszukommen. Sie flutschen durch, wie ein nasses Stück Seife.

Es braucht Mut Kunst zu machen, sowie es auch Mut braucht diese zu kritisieren.

Kritik muss gegen den Markt schwimmen können und ebenso Kunst und KünstlerInnen miteinbeziehen, von denen noch keiner was gehört hat.
Nur eine Kritik, die auch Stellung bezieht, überschreitet die vorgegebenen Grenzen, schafft etwas Neues und ist fähig den Kunstprozess wie auch die Kritik selbst zu kritisieren.
Zum anderen ist es eben auch die Aufgabe eines Magazins wie kultura-extra, Kunst zu vermitteln, sie für die LeserInnen verständlich und erfahrbar zu machen, soweit man sie selbst verstanden, erfahren oder sogar erlebt hat.

Sei´s drum. Es wird zuviel geredet, packen wir´s an.


silke parth - red / Januar 2005
Disobedience ist noch bis zum 26. Februar 2005 in Berlin im Künstlerhaus Bethanien zu sehen.
Zu den Diskussionen soll es einen Reader geben. Ihr werdet davon erfahren.
Info:
www.kunstraumkreuzberg.de
www.klartext-konferenz.de




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Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


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