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nachDRUCK # 4

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Interview

EVA & ADELE

Weltbekanntes Künstlerpaar


Eva (rechts) und Adele (links) - Foto © Andre Sokolowski


In und außerhalb der

Zeitmaschine

Ohne Kenntnisgabe meiner Vor-Geschichte zu den Beiden wollte ich dann das Gespräch - das ich mit EVA & ADELE führte - letztlich nicht beginnen; und so fing es also an...

* * *

Mitte der 90er war ich mal kurz Museumsbibliothekar im Otto-Dix-Haus in Gera. Beim Umsortieren der Bestände stieß ich auf eine Schwarz-Weiß-Broschüre über euch. Als ich die durchblätterte, wurde mir - ganz unerklärlicher Weise - bewusst, dass ich euch schon "sehr lange kennen" würde, und ich meinte so, euch schon zu DDR-Zeiten in Ostberlin bei einer Staatsopern-Premiere dort bemerkt zu haben. Doch ihr fingt ja, wie ich jetzt erst las, viel später damit an, lebendes Kunstobjekt zu sein...

ADELE:
Wir waren, glaube ich, tatsächlich auch schon vor der Wende in der Ostberliner Staatsoper, das war im Sommer 1989... Und um das Thema Oper und Theater aufzugreifen - unser Atelier befindet sich ja in der Nähe der Deutschen Oper, und wir stellen beide immer wieder fest, dass es uns schon etwas bedeutet, dass die Deutsche Oper in unserer Nähe ist. Dass diese vielen Energien, die zu einer Aufführung dort nötig sind, sich auch unmittelbar an unser Atelier angrenzen, dass sie stattfinden, weil wir ja selbst auch eine theatralische Erscheinung sind, wie wir oft selbst von uns sagen.

Und die Zeit davor, als ihr noch nicht euer eigenes Kunstobjekt gewesen wart??

EVA:
Die Zeit davor nennen wir Zeitmaschine, und wir sind in dieser Zeitmaschine aufgewachsen. Es ist also überhaupt nicht so, dass man uns einfach fragen könnte, wie es in der Zukunft ist und wie's da aussieht, ja und das und das... Man hatte uns als Embryos in diese Zeitmaschine eingepflanzt, und so, in dieser Zeitmaschine, waren wir dann aufgewachsen. Als die Wende war, so kurz davor, sind wir dann in Berlin gelandet.

Kamt ihr da mit einem Ufo? ja und hätte es da nicht auch Zeitzeugen gegeben haben können, die die Landung dann beobachteten??

ADELE:
Ja, die hatte es gegeben.

Doch die werden von euch strikt geheim gehalten? auch der Platz, wo dann das Ufo landete...

ADELE:
Einer von diesen Zeitzeugen trägt heute unser Logo als Tattoo auf seinem Oberarm.

(An EVA gerichtet.) Erklärst du mir ganz kurz das Mal auf deiner Stirn - was hat das zu bedeuten?

EVA:
Das ist mein Geheimnis.




EVA & ADELE in ihrem Berliner Atelier - Foto © Andre Sokolowski


Wikipedia hebt in seinem Eintrag über euch besonders auf ein Wort, das ihr kreiert habt, ab - was heißt das, Futuring?

ADELE:
Wir fragten uns schon immer, ob man nicht ein anderes und neues Wort für "Kunst" erfinden könnte, weil wir uns avantgardistisch sehen und so Grenzen in vielerlei Hinsicht überschreiten - die Geschlechtergrenzen oder die Grenzen der Bildenden Kunst... Indem wir als Performance-Künstler weltweit unterwegs sind...

EVA: ...und nachdem wir 1989 in die damalige Gegenwart Berlins landeten - und man muss auch dazu sagen, dass die 80er Jahre, insbesondere in Westeuropa, eine sehr, sehr konservative Zeit waren. Es gab eine Rückschau in der Bildenden Kunst, es war eigentlich ein Neu-Impressionismus angesagt, und Maler waren Maler, Bildhauer waren Bildhauer, es war also alles sehr konservativ voneinander abgegrenzt. Aber wir sahen uns halt grenzüberschreitend in unseren künstlerischen Äußerungen. Für uns war es wichtig, in allen Bereichen künstlerisch tätig zu sein. Von Anfang an hatten wir mit Fotografie und Video gearbeitet, aber uns gleichermaßen mit Zeichnung und Performance oder Malerei befasst. Und wenn man uns gefragt hatte - und das taten fast alle Leute, die uns sah'n - "von woher kommt ihr" (und wahrscheinlich dachten sie, es gäbe einen ganzen Planeten voll mit solchen wie uns), entgegneten wir "aus der Zukunft", und auf ihre Frage "was macht ihr" sagten wir nur: Futuring. Wir wollten auf keinen Fall sagen, wir sind Künstler und wir machen Kunst, nein, wir wollten das so irritierend als möglich für alle halten, und dass die andern selbständig darüber nachdenken...

Hatten sich nicht mal Filmemacher für euch interessiert?

EVA:
Ja, schon sehr früh. Der Allererste, der uns gefragt hatte, war Rosa von Praunheim - wir hatten uns aber Rosa entzogen, obwohl er sehr nett daherkam, und er war ja auch einer unserer ersten Fans, aber wir wollten damals nicht... Wir kannten Filme, die er gedreht hatte, und wir wollten einfach nicht zu sehr bloß aus der Schwulenecke beleuchtet werden.

Ich meinte eigentlich mehr Regisseure filmkünstlerischer Werke, weniger Porträtfilmer...

ADELE:
Wir sind öfter mal gefragt worden - aber im Grunde genommen konzentrieren wir uns überwiegend auf unsere eigene bildnerische und performative Arbeit. Es ist ja schon eine wahnsinnig aufregende Sache, EVA & ADELE zu sein, allein wie viel Vorbereitungen das jedesmal benötigt, diese ganze Energie... Wir wollten uns da nicht verzetteln.

Werdet ihr zu den Events, wo man euch später hin und wieder in den Medien abgefilmt und abfotografiert sieht, eingeladen? oder wählt ihr selbstbestimmend aus, wo ihr da hingeht??

ADELE:
Es ist eine gute Mischung, Biennale in Venedig oder Documenta in Kassel sind zumeist von uns gewollte Auftritte, die Documenta quasi als Arena nutzend, als Arena des Auftritts und auch der Ausstellung - wir sind ja so auch ein Teil der gesamten Ausstellung, und das ist freilich subversiv.

EVA: Am Anfang war es sogar so, dass wir dann oftmals damit rechneten, wir würden rausgeworfen. Beispielsweise stand bei unsrer ersten Biennale in Venedig zur Eröffnung ein Spalier von Carabinieri, also der Venezianischen Polizei, die alles abriegelte, weil es immer wieder kleine Unruhen dort gab... Ja und wir hatten weder Eintrittskarten noch irgendwas, nur uns und unsere Kostüme...

ADELE: ...und unseren Mut, Eva!!

EVA: Wir gingen also von Bord des Vaporetto, direkt auf den Biennale-Eingang zu, an den Carabinieri vorbei - und die Carabinieri waren beiseite getreten, und so sind wir direkt, wie im Theater, durch den Eingang durch, und die Anderen waren einfach zur Seite getreten... Im inneren Teil der Biennale standen jede Menge Fernsehkameras, ja und in dem Moment, da sie auf uns gerichtet waren, wussten wir uns also im "sicheren Raum"...

ADELE: Obwohl - da kam uns dann doch noch jemand hinterher und wollte unsere Eintrittskarten sehen, allerdings - er hatte keine Chance mehr.

EVA: Wir waren ja von da an unberührbar, mittendrin.

Das nenne ich dann schon eine Parade-Landung mit dem Ufo.

ADELE:
Performative künstlerische Arbeit ist nun mal in erster Linie begleitet mit einer Haltung und einer Absicht, und unsere künstlerische Absicht war halt, auf das Biennalegelände zur Vorbesichtigung zu gelangen.

De facto ist es so, dass ihr euch nie mit Eintrittskarten vorher eindeckt?

ADELE:
Doch - aber in diesem Fall war es unsere erste Biennale (1990), und wir hatten da noch keinerlei Kontakte.

EVA: Und so haben wir es dann auch bei den anderen Events gemacht, v.a. 1991 im Martin-Gropius-Bau - da gabs "Metropolis", die erste Ausstellung dort nach der Wiedervereinigung, und glücklicher Weise war damals die ganze Weltpresse zugegen, also Fernsehsender aus aller Herren Länder, Journalisten, Fotografen, alles war da. Wir versuchten so das Wagnis von Venedig dort zu wiederholen, indem wir unsere Hochzeits-Performance machten, mit Trauzeugen... Also wir waren zu viert, und wir reisten an in unserem VW-Camping-Bus, den wir zur damaligen Zeit fuhren, und der war geschmückt mit 3.000 Papierblumen, die vorher in Wachs getaucht waren, und der ganze Bus war überzogen mit einem feinmaschigen Blumen-Draht-Gitter, worein dann jene Rosen eingeknüpft waren, dass der VW wie eine Hochzeitstorte aussah, und gefahren wurde der von einem Chauffeur mit weißen Handschuhen und Uniform. Und als wir dann vor dem Gropiusbau vorfuhren, auch mit Nummernschild, worauf aber statt der Fahrzeugnummer "EVA & ADELE" stand, und wir so ausstiegen, waren wir erst mal total erschrocken, also wir waren selbst in weißen Brautkleidern - doch plötzlich wurden wir umgeben von lauter weißmaskierten Gestalten in weißen Overals...

ADELE: Dabei handelte es sich um Studenten der Kunsthochschule Weißensee, die gegen die drohende Schließung ihrer Einrichtung demonstrierten - es war also ein unglaubliches Bild mit uns und ihnen, ja und besser hätte man es nicht zusammenfügen können...

EVA: Es war auch sehr irritierend, denn die Anderen waren dort in der Mehrzahl... Und wir hatten uns erst mal erschrocken angeguckt, und Alle, die das sahen, dachten plötzlich, dass das Alles irgendwie zusammengehörte, und die Medien waren plötzlich auf den Plan gerufen...

ADELE: Später sah man dann die traumhaft-schönen Bilder, die das ZDF für die Aspekte machte.

Und in welchem Outfit bewegt ihr euch eigentlich "inoffiziell", also beim Müllruntertragen, im Supermarkt, zu Familienbesuchen?

ADELE:
Genau in diesem Outfit hier [s. Fotos] waren wir heute beim Zahnarzt, im Supermarkt und sind von dort aus zu Fuß zur U-Bahn am KaDeWe...

Doch wenn ihr da, konkret beim Zahnarzt, zur Behandlung seid, wird das mit euerem Makeup nicht zum Problem?

EVA:
Wir verwenden in diesem Fall ein spezielles Zahnarzt-Makeup, d.h. die Lippen sind derart behandelt, dass beim Zahnarzt auch nichts abgeht.

ADELE: Unser Zahnarzt kennt das längst, er weiß genau, wie er es richtig macht, damit nicht alles so verschmiert.

Das wirkt schon alles irgendwie sehr routiniert.

EVA:
O nein, wir lehnen dieses Wort "Routine" ab. Unsere Arbeit hat nichts mit Routine zu tun. Es ist jedesmal ein Neuanfang, ein Neubeginn und ein wesentlicher Bestandteil unseres Seins. Unsere Performance besteht natürlich auch aus Lampenfieber, das wir nach wie vor so haben wie am ersten Tag.

Wer kennt das nicht, mir ging und geht es beispielsweise auch so, wenn ich eine Lesung oder so ein Treffen so wie heute habe... Auch bin ich ein sehr menschenscheuer Typ, ja und - ich sterbe jedesmal dann fast vor Angst...

EVA:
Auch wir sind menschenscheu.

Doch eigenartiger Weise bekommt man das, was du gerade sagst, am ehesten dann an den Stimmen von euch mit.

ADELE:
Ja, wirklich?

Ja, na klar, an euerm Outfit freilich nicht - da weiß man ja von vornherein, das ist alles perfekt choreografiert, auch das Gesicht ist perfekt choreografiert, aber halt die Stimmen... Man kriegt ja Weichheit auch oder vor allem dann durch Stimmen mit, und dass ihr gute Menschen seid und so...

ADELE:
Aber wir können dann auch ganz schön schlimm sein.

Von der Grundnatur scheint ihr aber sehr weich und sehr zerbrechlich...

ADELE:
Stimmt.

EVA: Wir mussten lernen, uns ganz früh schon zu behaupten oder auch zur Wehr zu setzen... Es hat sich ja sehr viel geändert in den 25 Jahren, seit wir das nun machen, und wir staunen jedesmal, wenn wir durch unsern alten Kiez spazieren gehen - so wie heute, nach dem Zahnarzt - , es sieht alles noch so aus wie damals, doch die Menschen sind nicht mehr so aggressiv. Wir hatten damals kaum drei Schritte machen können, ohne nicht von irgendwem angepöbelt zu werden, hauptsächlich von Jugendlichen, die alles mögliche Böse zu uns gesagt hatten und sich uns manchmal auch bedrohlich näherten, dass wir so mit dem Schlimmsten hätten rechnen müssen, und da sind dann auch schon Dosen geflogen und Flaschen und Steine, und Unflat über uns ausgekippt worden...

ADELE: ...also verbaler Unflat, das war auch ziemlich verletzend.

EVA: Doch wir durften keine Schwäche zeigen, nein, das hatten wir gelernt - und es war einfach schlimm, denn bei der kleinsten gezeigten Schwäche waren sie über uns hergefallen... Das war manchmal sehr merkwürdig, wenn wir z.B. auf dem Weg waren zu Events oder zu Ausstellungseröffnungen und wir hatten kurz vor der Galerie noch so einen "Überfall" erleben müssen, aber wir mussten uns halt stark behaupten, damit nichts passierte, ja und danach warn wir halt mit dieser starken Behauptung in die Galerie gegangen...

Erst Unflat, dann Glamour - ihr musstet umschalten können...

ADELE:
Ja, aber es ist noch viel komplizierter, es hat mindestens zwei Ebenen, dieses Umschalten: Erstens musst du auf der Straße herrschen, da ist ja nach wie vor der Dschungel, also die Zivilisationshaut ist sehr dünn, und du musst wirklich in einer strikten Form der Behauptung auftreten... Du gehst hier raus aus deinem Schutzterrain des Ateliers, ja und dann musst du im Zweifelsfall halt stärker mit den Schuhabsätzen auftreten, den Leuten total ins Gesicht schauen und ihnen zeigen "ich bin mutig, ich bin stark" - das ist die größte Waffe, die man hat. Vor allem auch: den Menschen in die Augen zu schauen!

EVA: Was uns auch passiert war bei unserem ersten Besuch der Biennale von Venedig in 1990 (also vor unserem bereits erwähnten eigentlichen "Durchbruch" als Performancekünstler): Wir sind mit dem Vaporetto gefahren, der direkt von der Isola Nova, dem Busparkplatz, erst bis zum Markusplatz und dann bis zur Biennale, und ohne weitere Zwischenhaltestellen unterwegs war... Wir hatten das Schiff betreten, da war zuerst noch gar keiner an Bord...

ADELE: Zur Erklärung muss ich zwischenschalten, dass wir nämlich illegal in unserem Camper auf der Isola Nova geschlafen hatten, was man nicht durfte.

EVA: Aber die Parkwächter wussten freilich, dass wir dort illegal übernachteten, obwohl es, wie gesagt, streng verboten war, und jeden Morgen, sobald wir heraus kamen, standen sie schon da und hatten uns applaudiert.

ADELE: Das waren sozusagen unsere ersten Venedig-Fans.

EVA: Italiener halt, die wissen, wie man sich artikuliert... Die hatten uns dann diese tolle Ladung positiver Energie gegeben. Und die wussten also, dass wir dort waren und hatten beide Augen zugedrückt. Die hatten ja auch alles mitgekriegt, wie wir kochten, wie wir uns schminkten und wie dann das Abwasser herunterlief usw. Und dann hatten die aber jedesmal so herzlich applaudiert, dass wir so richtig in Venedig aufdrehen konnten... Aber dann kam halt diese Fahrt mit dem Vaporetto, fast eine halbe Stunde war man mit ihm unterwegs: Wir standen also an Bord und hatten zwei recht enge, schwarze Kostüme an, so als tableau vivant, und dann kam plötzlich eine Masse auf einmal, und zwar (das hatten wir später festgestellt) eine ganze Busladung aus Bayern, im Nu war das Schiff gefüllt und legte ab. Keiner hatte gewusst, dass wir deutsch verstehen würden oder selber sprechen. Die hatten sich also voll auslassend sofort über uns hergemacht... Da gabs drei Anführer, so Häuptlinge, das waren die Busfahrer, so Kolosse, die hatten ihre Fahrgäste quasi auf unsere Kosten unterhalten, auf Bayerisch, ob sie uns nicht ins Wasser schmeißen sollten, damit wir dort absaufen... Und ich hatte da sofort gedacht: Dieses enge Kostüm - und ich wusste den Moment genau, im Wasser könnte ich nicht mit ihm schwimmen und würde demzufolge ertrinken.

Ihr hattet Todesangst?

ADELE:
Heftige Angst, ja.

EVA: Und da hatten wir begonnen, jedem einzeln in die Augen zu schauen.

ADELE: Von zwei Seiten, ja.

EVA: Wir hatten uns vorher nicht miteinander verständigt und, völlig unabhängig voneinander, dieselbe Idee.

ADELE: Wir hatten also jeden einzeln, nacheinander, fixiert. Eva von der einen Seite, ich von der anderen. Und je mehr wir sie anstarrten - sie konnten unseren Blicken nicht standhalten - wurde es stiller und stiller.

Durch euren Schminkapparat, den ihr um eure Augen tragt, ist man ja auch fast magisch auf das Innere zu schauen gezwungen, also in euere Pupillen... Dieses Drumrum sieht wie eine Maske aus, eine venezianische Maske.

ADELE:
Es ist Malerei.

EVA: Dann wurde es halt immer stiller, ja und als das Schiff am Markusplatz anlegte, haben die doch tatsächlich auch applaudiert - da waren wir völlig fassungslos.

Die Stimmung kippte?

ADELE:
Ja.

EVA: Die warn am Markusplatz dann ausgestiegen, und wir fuhren noch eine Station weiter... Und wir waren derart aufgepumpt mit Adrenalin, dass die dann schließlich noch applaudiert hatten und uns nicht ins Wasser warfen - das hatten wir dann schon als gigantisches Erfolgserlebnis für uns verbucht.

ADELE: Es war der Erfolg unserer Durchsetzung. Dass wir jedem ins Auge geschaut hatten und uns als theatralische Figur behaupten konnten.

EVA: Und wir waren, wie gesagt, durch dieses Vorerlebte derart stark mit positiver Energie gefüllt, dass wir jetzt überhaupt nicht mehr groß daran dachten, dass wir außer uns ja gar nichts weiter hatten, um da zu der Biennale Einlass zu bekommen...

Wie bewegt ihr euch dann innerhalb Berlins, zum Beispiel, wenn ihr auf dem Wege zu Events seid, im Taxi oder...

ADELE:
Auch, aber nicht nur.

EVA: Da gibt es Taxifahrer, die sich noch an Fahrten vor Jahren und Jahrzehnten erinnern, als sie uns chauffierten. Doch wir fahren auch mit der U-Bahn oder mit der S-Bahn... Ganz bewusst.

Da gehört aber schon Mut dazu.

ADELE:
Man muss einen sehr starken Behauptungswillen an den Tag legen. Es ist ja auch so - man kann sich nicht von Jedem dessen Mülleimer vor seine Füße werfen lassen. Die Leute schütten ja sehr gern ihren eigenen Müll vor dir aus, ja und damit haben wir ja eigentlich erst einmal nichts zu tun.

Und in Berlin scheint das ganz allgemein und obsessiv zu sein, der Ton oder die Umgangsformen sind halt ziemlich rau, die Berliner haben schon eine eigenartige Mentalität...

ADELE:
Ja, man muss sich missgelaunte Typen arg vom Leibe halten, jedenfalls so gut es geht. Und da du gerade das Wort "Mut" angesprochen hattest - da hatten wir auch so ein wunderbares Erlebnis: Also wir sitzen in der S-Bahn auf der Rückfahrt von Wannsee, wo unser Camper stationiert ist, wenn wir ihn nicht fahren, und auf der Fahrt nach Charlottenburg steigt jemand ein, eine junge Frau, vielleicht eine, die gerade ihre Lehre macht, und setzt sich uns gegenüber und starrt uns an, lässt ihre Augen hin und her gehen und sagt dann "seid ihr immer so?" - also das hatte sie mit uns kapiert, und irgend so ein Signal war zu ihr hinübergelangt - und wir sagten darauf "ja", und sie sagte nur kurz: "So ein Mut!" Da dachte ich dann auch, Wahnsinn, in der S-Bahn und so eine Szene, die kann man sich gar nicht ausdenken... Dass das Wort "Mut" von Jemandem dann ausgesprochen wird.

Ihr seid aber auch wirklich krass, das muss ich jetzt mal sagen - Kompliment. Ich meine, ich empfinde mich eigentlich auch als Typ, der gern gegen den Strom schwimmt, und ich hatte auch ein ziemlich spätes Comingout als Schwuler... Aber so einen Mut, den ihr an den Tag legt, nein, ehrlich gesagt, den hätte ich wohl nicht.

EVA:
Es ist auch kein Orchestergraben zwischen uns und unserm Publikum. Wir sehen es ja v.a. als künstlerische Arbeit, unser ganzes Leben, ein Gesamtkunstwerk, und für uns ist es ein Teil, also ein wesentlicher Teil unseres Werkes... Sich mit unseren Mitmenschen konfrontieren, Mitmenschen, die völlig ahnungslos sind und überhaupt nicht oder selten mal an Kunst denken, wenn sie uns sehen, also keinerlei Vorstellungen haben von Kunst oder Gegenwartskunst oder was nicht alles... Wir machen also jeden Ort, wo wir auftreten, zum Kunstplatz. Und deshalb reisen wir nach wie vor sehr viel. Wir bereisen auch Länder, wo wir noch nie vorher gewesen waren, wo kein Boden für uns vorbereitet war und ist, und wo alles passieren kann... Die Erfahrungen, die wir daraus schöpfen, fließen in unsere bildnerische Arbeit ein, in unser Atelier - und umgekehrt hoffen wir auch, einen neuen Weg gefunden zu haben für die Kunst des 21. Jahrhunderts. Wir sehen uns also schon als Avantgarde.

Wer kreiert und schneidert euch dann die Kostüme? und tragt ihr sie mehrmals und falls ja, wieoft??

ADELE:
Zuerst gibt es unsere Kleider- und Kostümpläne. D.h. wir notieren für alle Events oder Reisen, die wir unternehmen, welches Kostüm wir an welchem Tag tragen. Und so können wir natürlich koordinieren, dass wir nicht im nächsten Jahr, also zum gleichen Event, dasgleiche Kostüm anziehen. Das bedeutet nicht, dass wir so wie die Queen sind, die zu jedem Anlass ja nur einmal - - also wir tragen schon dann unsere Kostüme nicht nur einmal, doch wir kombinieren sie halt immer etwas anders, mit andern Accessoires, anderen Schuhen, anderen Taschen.

EVA: Bei den großen Events ist es natürlich immer so, dass ein bestimmtes Kostüm dort seine Uraufführung hat, und das denken wir uns vorher aus und bereiten es vor und investieren viel Zeit, Geld und Material... Wir haben aber immer Jemanden, der uns die Kostüme näht. Alles ist minutiös vorgeplant, ja und es existieren ganz konkrete Skizzen.

Die Kreationen also sind von euch.

EVA:
Wir haben unsere Modelle meist aus Papier gefertigt.

ADELE (zeigt konkrete Kostümpläne).

Euer Lächeln hat schon was Entwaffnendes - ist der Mensch an sich euerer Meinung nach mehr "gut" oder mehr "böse"? Was für ein Menschenbild habt ihr??

EVA:
Ein gutes.

ADELE: Es gibt ja auch dieses Sprichwort vom "wie es in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus". Wir schenken ein Lächeln, und wir bekommen auch hin und wieder ein Lächeln zurück.

EVA: Und nicht nur das, denn wir bekommen auch Zeit geschenkt, von Anfang an. Und zwar in dieser Form, dass Leute freudig auf uns zugestürzt kommen und uns erzählen, wie lange sie uns schon kennen. Und von Anfang an war das immer ein Vielfaches an Zeit, und wir haben uns da überlegt, was war das wohl für ein Event, wo diejenigen uns gesehen hatten, und da sind wir dann immer wieder darauf gekommen, dass es viel mehr Zeit gewesen war, seitdem das war, und wir haben das also nie korrigiert, sondern diese Zeit dankend angenommen und quasi auf unser Zeitkonto gebucht, und seither können wir halt über diese Zeit verfügen, die man als Künstler immer wieder braucht - die Anerkennung hinkt dem Werk ja meistens weit, weit hinterher. Daher braucht man viel Zeit als Künstler.

Und um nochmal auf euer Lächeln zurückzukommen: Lächeln und Lächeln sind ja zweierlei - es gibt auf der einen Seite die Fratze oder Maske, und auf der anderen Seite das Lächeln, das von innen heraus kommt, so ein warmes, inniges, herzliches Lächeln - und das Letztere hatte ich in euerm Falle, als wir uns das allererste Mal belächelten (das war irgendwann im letzten Jahr bei einer Premiere in der Staatsoper im Schiller Theater), festgestellt. Und das war eigentlich der springende Punkt, weswegen ich das Treffen heute mit euch haben wollte - doch ich schweife ab... Ihr seid sowohl ein Künstler- als auch ein privates Paar. War es für euch beide Liebe auf den ersten Blick, als ihr euch erstmals saht?

EVA:
Es war in unserer Zeitmaschine, wo wir uns begegneten. Gleichzeitig war es auf italienischem Boden. Und wir hatten sechs Stunden getanzt.

Ununterbrochen?

ADELE:
Am Stück, ja.

Aber wie hält man das durch? und nach was für Klängen hattet ihr getanzt??

EVA:
Nach Klängen eines Bandoneon-Spielers. Es war die Zeit der Kommunistischen Partei, also es war das Fest der Unita, und ein ganzes Dorf hatte getanzt. Da war ein Künstler-Symposion, wo sich verschiedene Künstler getroffen hatten, und wir waren also beide eingeladen, und es war dann abends, und die Musik hatte aufgespielt, und ich hatte Freunde dabei, und plötzlich hat ein Freund zu mir gesagt, "Adele tanzt gern" und "möchtest du nicht tanzen", und Adele stand plötzlich hinter uns, und so hatten wir beide zu tanzen begonnen, und nach sechs Stunden war es bereits fast wieder Tag, und der Bandoneon-Spieler war eingeschlafen, er schlief auf seinem Instrument, und wir hatten immer noch getanzt und merkten plötzlich, dass gar keine Musik mehr dazu spielte und die Sonne schon aufging, so war der Beginn.

Das war also der erste Tanz eueres Lebens - innerhalb euerer Zeitmaschine...

ADELE:
Ich habe kürzlich mal gesagt, ich glaube, wir haben überhaupt unser gesamtes Leben schon getanzt. Ich glaube auch, dass Tanzen ein großartiger Moment ist sich kennenzulernen, zu spüren, weil - da muss natürlich ganz viele Sensibilität zu der Musik da sein und dann natürlich die Koordination, und wir hatten auch während dieses Tanzens gelernt uns gegenseitig zu halten, besonders bei riskanten Schwüngen, und miteinander abzutesten, wie risikoreich können wir überhaupt losschwingen. Ja und ich glaube, dass man während des Tanzens plötzlich ganz viel voneinander weiß... Und das war halt ein großes Glück, dass wir sechs Stunden miteinander tanzen konnten.

EVA: Dazu kam, dass wir zu dem Zeitpunkt uns beide aus bestehenden Partnerschaften losgelöst hatten.

Parallel sogar?

ADELE:
Parallel, ja.

EVA: Dass wir eigentlich gar keine Partnerschaft angestrebt hatten - wir hatten so die Schnauze voll...

ADELE: Nein, nein, ich war felsenfest davon überzeugt, dass Künstlerschaft UND Partnerschaft zusammen nicht geht! Und ich glaube, dass unser Gesamtkunstwerk und unsere Beziehung nur deshalb wirklich funktionieren, weil wir als Künstler so einen großen Glauben an die Kunst haben, sodass wir alles Potenzial dort einfach hineinstecken. Und auch der Glaube, dass EVA & ADELE so etwas Neues ist, etwas, was so noch nie Jemand vor uns geschafft hat, dieses Bild in die Welt zu setzen...

EVA: Das ist ein Rausch, wie eine Droge, seit 25 Jahren leben wir schon so... (Zeigt auf Fotos.) Das war unsere erste gemeinsame Arbeit, die wir als traditionelle künstlerische Arbeit gemacht hatten, ein Videowerk, ein siebenteiliges, sieben Projektionen, die zugleich spielen, 33 Minuten lang, wo wir über Süditalien nach Griechenland gereist sind und dann in ganz Griechenland gedreht haben und die Begegnung mit der griechischen Mythologie gesucht haben und zugleich unsere Begegnung filmisch hineinverwoben haben... Und während dieser Aufnahmen haben wir uns so derart radikal kennen gelernt - man könnte es vielleicht so vergleichen wie Klaus Kinski und Werner Herzog...

ADELE: Ja, so sind wir aneinandergeraten.

Aber solche Hahnenkämpfe hattet ihr nicht wirklich ausgefochten, oder?

ADELE:
Oh! Aber wie!! Und vielleicht nicht so körperliche Kämpfe, also nicht in dem Ausmaß...

EVA: Wir sind massiv darein gekommen, und alle Tränen, die man auf den Fotos und auf den Filmstils sieht, und alle verwischte Wimperntusche sind echt... Und das war noch ziemlich früh, das war schon ganz nah an unserer Begegnung, die dann gleich mal so auf den Prüfstand gekommen war.

ADELE: Das war alles nach dem Tanz.

Und das war also euere Zeit noch vor den parallelen Outfits.

ADELE:
Ja, genau. Und wir haben ja auch erst 1991 entschieden, forever EVA & ADELE zu sein... Wir waren es zwar schon längst, aber...

EVA: Das hatten wir eben auch mit unserer Hochzeits-Performance im Martin-Gropius-Bau besiegelt. Das war ja damals auch die einzige Möglichkeit, eine gleichgeschlechtliche Hochzeit zu demonstrieren, gesetzlich gabs das ja zu dieser Zeit noch nicht.




Stilleben mit EVA & ADELE - Foto © Andre Sokolowski


Richtig geheiratet hattet ihr ja dann erst später.

ADELE:
Ja.

Also hattet ihr schon zur rechten Zeit die richtigen Visionen parat...

ADELE:
Und ich denke mal, dass da unser Bild auch kräftig mitgearbeitet hatte, dass es letztlich dazu kam. (Sie und EVA zeigen weitere Filmstils aus dem Videowerk Hellas, das 2016 im Musée de'Art Moderne de la Ville de Paris zu sehen sein wird.) Es geht auch um das Sisyphus-Thema... Und hier schabe ich ganz langsam immer an einer Schindel mit einem Stock...

Was sind das für Kataloge?

ADELE:
Der eine ist vom Museum der Moderne in Salzburg und der andere vom Lentos Kunstmuseum Linz, da hatten wir parallel zwei Ausstellungen, "Frühe Fotografie und Video" in Salzburg und "Neue Malerei und Zeichnung" im Lentos...

Und wann war das hier aufgenommen (auf ein Foto zeigend), das sieht ja dann schon wie Der König tanzt aus...

ADELE:
Das war 1989.

EVA: Auf unserer Griechenland-Reise... Und wir konnte da nichts lesen, nichts verstehen im Radio, und wir waren also nur in der Landschaft unterwegs, wir kamen durch Dörfer und so... Ja und wir hatten da auch nichts von der Wende erfahren, wir hatten das dann erst auf der Rückfahrt mitbekommen.

Aber sowas interessiert einen auch nicht wirklich, wenn man fernab in der Natur und ganz mit sich selber beschäftigt ist?

ADELE:
Ja, wir sind - was man bei unserem Erscheinungsbild vielleicht gar nicht vermutet - starke Naturfreunde und große Naturbeobachter.

Jetzt eine sehr knifflige Frage: Fürchtet ihr euch davor, falls eines Tages ein Teil von euch "nicht mehr so gut kann" wie der andere; was würde dann aus euerm Doppel? oder blendet ihr das aus und verdrängt es??.

ADELE:
Nein, wir verdrängen das überhaupt nicht.

EVA: Mit dem Thema haben wir uns auch schon viel früher auseinandergesetzt. Und ich denke, es ist auch wichtig, wenn man ein so existenzielles Werk schafft, wo Kunst und Leben so nah zusammen sind, dann muss man sich freilich auch mit diesem Thema auseinandersetzen, und wir haben das auch in mehrfacher Hinsicht getan, eben auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung unseres Werkes, weil: Unser Werk wird nicht beendet sein, wenn ein Teil von uns wieder in die Zukunft zurückkehrt. Es wird als Werk von dem Verbliebenen dann weiter fortgesetzt, und es ist der Verbliebene autorisiert EVA & ADELE zu sein, das haben wir per Testament so festgelegt.

ADELE: Es gibt zwei Ebenen. Wir wollen also, wenn die Kraft nachlässt und man sehr alt wird, nicht verschwinden aus der Öffentlichkeit, sondern, sofern unser Bild sich realisieren lässt, auf jeden Fall auftauchen und so das Alter und die Schwäche zeigen, denn das gehört ja zum Menschen dazu, davor machen wir also nicht Halt, wir sind ja keine Models, sondern Künstler... Und das Zweite ist, dass wir testamentarisch eine Stiftung gegründet haben, und die Stiftung erbt alles, was EVA & ADELE besitzt, die gesamten Archive. Und in den Statuten steht, dass über Kunst und Transsexualität geforscht werden soll und darf mit dem, was wir hinterlassen... Es soll alles wissenschaftlich erforscht werden, was unseren Weg zur Durchsetzung, auch das Verhältnis von Zeit und Akzeptanz, betrifft...

Diese Frage fiel mir überhaupt spontan vor ein paar Tagen ein - vielleicht hattet ihr das auch mitgekriegt, es ging durch alle Gazetten: Ein altes Ehepaar, er vielleicht so an die 90, sie ein bisschen jünger, starb in kurzen Abständen, ich glaube, sie zuerst, sie hatte Krebs, und ungefähr vier Stunden später er, und Beide hatte man dann, kurze Zeit später, nebeneinander liegend und Händchen haltend so entdeckt... Und als ich das las und sah - und vielen anderen wird es nicht unähnlich gegangen sein - dachte ich mir so, was für ein Glück es doch sein muss, nicht "zurückbleiben" zu müssen... Der Gedanke, dass der liebste Mensch neben dir quasi "vor dir" geht, ist ja an sich schon unerträglich.

ADELE:
Es ist ein unerträglicher Gedanke, ja, natürlich - aber wir haben dennoch beschlossen, da wir ja auch diese gemeinsame Verantwortung für unser Gesamtkunstwerk haben, dass wir (was wir uns gegenseitig versprochen haben) weiterarbeiten am Projekt EVA & ADELE.

EVA: Darf ich kurz unterbrechen? Ich bin genau mit diesem Bild, was du soeben geschildert hast, aufgewachsen, weil: Meine Großtante und mein Großonkel waren ganz genauso gestorben, also dazwischen lagen auch vier Stunden... Ich hatte ja die Beiden oft besucht als Kind, und die hatten auch ein bisschen abgesondert von der übrigen Familie gelebt und waren - was ich als Kind so mitbekommen habe - meistens vier Monate im Jahr unterwegs und haben Wanderungen durchs Gebirge gemacht, und sie wurden so immer von der übrigen Familie als eigenbrötlerisch abgetan. Aber für mich war das ein so unglaubliches Erlebnis, dass Beide, wie gesagt, in diesem kurzen Abstand gestorben waren. Also sie hatten auch wirklich in ihrem Leben alles gemeinsam gemacht.

Deshalb sage ich ja: Zurückbleiben ist schon das Schlimmste, was man sich als Liebender denken kann.

ADELE:
Nein, ich würde das nicht so sagen. Wir hatten uns ja oft darüber Gedanken gemacht, und in dem Moment, wo es halt passiert, muss die Verantwortung für das Werk einfach stärker sein.

EVA: Wir haben uns natürlich auch mit anderen Künstlern beschäftigt, die sehr alt geworden sind. Ich zum Beispiel hatte mir das schon als sehr junger Künstler gewünscht, dem Alter die Krone aufzusetzen. Falls du großes, großes Glück hast. Alt zu werden ist die Krone des Lebens. Es sammelt sich so viel an, du lernst ununterbrochen dazu, schöpfst ununterbrochen neue Erfahrungen, auch in deinem eigenen Werk... Und du durchläufst vom blutjungen Künstler bis zu dem mit seinem Alterswerk Stationen um Stationen, sodass es eigentlich wichtig ist, überhaupt erst alt werden zu dürfen. Als Künstler...

ADELE: Wenn man Glück hat, Eva.

EVA: Und die Spuren und Zeichen des Alters gehören freilich dazu. Und es ist ganz wichtig, das auch zu zeigen. Wir haben uns schon überlegt, wie geht es weiter, wenn wir Runzeln im Gesicht bekommen, wie funktioniert dann das Schminken...

Aber das Alles kann ja noch viel interessanter werden, ein alt werdendes oder alt gewordenes Gesicht hat ja so unglaublich viele Facetten, du brauchst eigentlich nichts mehr weiter groß aus dir zu machen, du bist einfach da mit diesem interessanten Gesicht, was einfach gezeichnet ist durch die Jahre und Jahrzehnte und all die Lebenserfahrungen. Was auch letztendlich ein unglaublich schönes Gesicht sein kann. Es gibt so viele wunderschöne alte Gesichter, die man kennt, wo man geradezu berauscht ist von ihrer unglaublichen Schönheit und man so permanent in es hineinzufragen gedenkt: Erzähl mir Dies, erzähl mir Das, was hattest du erlebt?

EVA:
Kennst du Louise Bourgeois? Sie ist geboren in Paris und eine Zeitgenossin der Surrealisten, ist aber dann schon früh nach Amerika gekommen und hatte ihr künstlerisches Leben in New York gelebt und ist eine weltberühmte Bildhauerin und wurde dann aber erst sehr, sehr spät entdeckt, als sie schon weit über 70 war. Und der berühmte Robert Mapplethorpe, der Fotograf, der hatte sie porträtiert mit einem Riesenpenis, eines seiner weltberühmten Fotos... Und wir hatten ja nun Louise Bourgeois kennenlernen und mehrmals besuchen dürfen, und als wir ihr begegneten, war ihr Gesicht geradezu zerfurcht von Falten - aber das Schönste war, wir hatten damals bei ihrem Assistenten angefragt, ob wir sie besuchen dürften, und sie war so vorbereitet auf unsern Besuch und hatte sich dann extra für uns schön gemacht, hatte knallrote Lippen, trug ein schwarzes Spitzenkleid, dazu Gummistiefel - einfach großartig! Und das hatte uns dann doch wiederum großen Mut gemacht, und wir hatten gedacht, wir wünschten uns auch ur-uralt zu werden und dann noch zu arbeiten... Dadurch, dass sie so spät entdeckt wurde, hatte sie, indem es stattgefunden hatte, wie eine Besessene losgelegt, und sie hatte dann natürlich auch, weil ja der Markt dann sofort eingestiegen war, sich eine Heerschar an Mitarbeitern und Assistenten und ein Riesenatelier für ihre bildhauerische Arbeit zugelegt. Sie ist übrigens fast 100 Jahre alt geworden.

ADELE: Und da wir übers Alter reden - diese Zeit, in der wir Gummistiefel tragen werden, das ist auch so eine schöne Metapher.

Wie ist das eigentlich - glaubt ihr an ein Leben "danach"?

EVA:
Ja, seitdem wir aus der Zukunft kamen...

ADELE: ...glaubten wir an die Unsterblichkeit unseres Werkes. Und an das "danach", auf jeden Fall. Wir gehen auf alle Fälle in die Zukunft zurück.

Also dahin, wo ihr hergekommen seid, und so besteigt ihr - hoffe ich - dann würdevoll, mit durchgedrücktem Kreuz, euer Ufo und: Ab durch die Mitte?

ADELE:
Jawohl.

Voriges Jahr hattet ihr eine Ausstellung - wenn ich das richtig recherchierte - euerer sog. Transgender-Werkserie TSG I gezeigt, das stünde auch für Transsexuellengesetz, und hierin geht es insbesondere um Evas ganz privaten Kampf, was das betrifft - willst du uns was hierüber erzählen?

EVA:
Gerne, ja. Ich bin also heute eine staatlich anerkannte Frau, und für diese Anerkennung, die auch für unser Werk wichtig war und ist, musste ich zwei Gutachter durchmachen und einen Richter, der im Amtsgericht Schöneberg dann letztlich dieses Urteil fällte, dass ich den Namen Eva, und zwar nicht nur als künstlerischen Namen, im Geburtsbuch eingetragen bekommen habe - und der Name, den ich vorher mal getragen hatte, der wurde getilgt, der ist gelöscht.

ADELE: Das wiederum war die Voraussetzung, dass wir eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft gründen konnten.

Denn das musste ja auch eingetragen sein.

ADELE:
Erst musste das Geschlecht im Geburtenbuch geändert werden... Und vorher durfte es ja nur geändert werden, nachdem operative und geschlechtskorrigierende Maßnahmen vorgenommen worden waren, aber Eva wollte an sich und ihrem Körper gar nichts ändern oder ändern lassen und ihn also so belassen wie er ist.

EVA: Das war mir ganz wichtig, ja. Das hat das natürlich auch sehr in Frage gestellt während des Verfahrens, das sehr intensiv war und das dann bei uns halt etwas schneller ging, auch durfte dann Adele immer mit dabei sein, und so sind wir wirklich jedesmal als EVA & ADELE bei jeder Sitzung erschienen und auch so dagesessen vor dem Richter...

Und hattet ihr einen Richter oder eine Richterin?

ADELE:
Einen Richter.

Und wäre das womöglich von Vorteil gewesen, hättet ihr es mit einer Richterin zu tun gehabt?

ADELE:
Darüber hatten wir nie nachgedacht, und das wollten wir auch völlig wertfrei sehen, und wir wollten da auch nicht irgendwelchen Projektionen auf den Leim gehen. Also es gab da eine Gutachterin und einen Gutachter, und ich muss sagen, das waren wunderbare Menschen.

EVA: Ja, eine echte menschliche Bereicherung. Der eine Gutachter zum Beispiel war vierfacher Doktor, und er hatte am Vatikan als Moraltheologe gearbeitet.

Gibts denn sowas - na das passte ja?!

ADELE:
Und er war so ein hochintelligenter Mensch, und so sensibel - o ich liebe das!

EVA: Er hatte mich dann immer beruhigt, er hatte bemerkt, dass ich immer hyperaufgeregt war jedesmal dorthin zu gehen in lauter Angst, irgend etwas Falsches zu sagen und - rums, wäre es für alle Zeiten vorbei... Und ich wusste natürlich auch, durch die Kunst, also ich hatte immer damit gerechnet, dass sie dann sagen, "ja, Sie sind Künstler, bleiben Sie bei der Kunst"... und ich dachte immer, um Gotteswillen, das ist ein gefährliches Gebiet, und wenn es dann mal aberkannt ist, dann wäre es halt vorbei gewesen.

ADELE: Aber, Eva, du hast es auch schon sehr gut vorbereitet und auch sehr ernst genommen und dich sehr intensiv darauf dann eingelassen.

EVA: Ja, vor allem dass ich keine Operation wollte. Für mich eine Medaille mit zwei Seiten - für mich war das ganz, ganz wichtig, Künstler zu bleiben, also nach wie vor das als eine künstlerische Setzung darzustellen und zu leben, und dazu muss ich eines sagen, dass meine zwei großen Leidenschaften in der Kunst waren von klein auf das Theater, und ich durfte auch schon als Kind auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen, durfte auch vor Filmkameras treten, das war für mich ganz wichtig und ganz, ganz großartig... Zugleich hatte ich als Kind den großen Traum, bildender Künstler zu werden und dabei Mädchenkleider zu tragen und also auch als Mädchen zu gelten und zu leben in der Gesellschaft, und habe dann aber auch am Theater die konträren Rollen gespielt, mit großer Leidenschaft.

Und wie stellt man sich das jetzt vor - das Ganze ist ja sicherlich ein zutiefst anstrengendes Verfahren, und du konntest ja gewiss nicht deine künstlerische Argumentation in dieses laufende Verfahren einbringen bzw. es mit dem Verfahren mischen?

EVA:
Ja, jetzt sind wir aber schon so bekannt [gewesen], um nicht zu sagen weltberühmt, und auch die Herrschaften, die am Verfahren dann beteiligt waren, kannten uns von daher.

ADELE: Wenn man aber dann den Sitzungen beigewohnt hatte, wie ich, dann war das schon eine sehr ernsthafte Analyse, die die beiden Gutachter betrieben hatten, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Identifikation, die weibliche, kein Versehen ist oder unbegründet, sondern dass sie echt ist.

EVA: Und sie wussten freilich auch, dass wir, also ernsthaft, an dieser Thematik seit über 20 Jahren arbeiteten, dass es also unser Zentrum war, unser künstlerisches Zentrum, dass wir unser beider Leben komplett hineingegeben haben.

ADELE: Ich muss grundsätzlich dazu sagen: Ganz zu Beginn hatten wir untereinander befunden, wir sind uns sowieso einig und stellen diese Infragestellung der Geschlechtergrenzen in der Kunst dar, und wozu brauchen wir den gesellschaftlichen Sanktus. Und nun war es aber so grenzüberschritten, so kompliziert, und auch mühselig, und auch in Verantwortung für unser künstlerisches Werk, dass wir auch gleichgeschlechtlich heiraten, und wir konnten uns überhaupt nicht mehr vorstellen, nicht gleichgeschlechtlich zu heiraten... Und aus dieser Entscheidung heraus, dass wir also unbedingt gleichgeschlechtlich heiraten wollten, war dieses Verfahren wirklich nötig. Und ich hätte nicht gedacht, dass das am Ende so wichtig war für Eva. Denn nach dem Prozess war Eva viel gelassener.

EVA: Erlöst.

ADELE: Ich hätte das nie gedacht.

EVA: Ich hatte auch damit ein Riesenproblem gehabt, dass der Kunstbetrieb, der Weltkunstbetrieb, mit dem wir ja ständig zu tun haben, doch - das muss ich kritisch sagen - sehr, sehr oberflächlich ist. Und wenn man gerade so die Oberfläche sieht, haben wir schon gemerkt, dass - also soweit wie wir wollte sich niemand darauf einlassen. Also die Oberfläche: toll, und dieser theatralische Auftritt... Aber was dahinter eigentlich noch ernsthaft stehen könnte, das - und wir hatten das in vielen Interviews auch schon gesagt... Man hat sich also lieber mit dem tollen Makeup und den tollen Kostümen befasst anstatt mal hinter die Oberfläche zu gehen. Und die Thematik schwul, lesbisch, transsexuell traf ja auch, in allen drei Kategorien, auf uns zu, ja und das hatte dann auch alle nervös gemacht...

Ihr seid eben nicht einordbar.

EVA:
Es laufen ja auch viele Schwule und Lesben im Kunstbetrieb rum, und wir haben bei manchen vermutet, auch Transsexuelle erkannt zu haben - aber die verstecken sich schon mal am allermeisten und tarnen sich so hartnäckig, das kann man sich ja überhaupt nicht vorstellen... Auch uns gegenüber, die wir uns ja nun total geöffnet haben.

ADELE: Aber man muss dazu sagen, die Ausstellung hat ja im Marta Herford stattgefunden, und diese TSG 1-Blätter wurden dann auch in der Presse mit erwähnt...

EVA: Es waren Zeichnungen, die wir parallel zu meinem Verfahren gemacht hatten...

ADELE: Und der Direktor hatte extra gefragt, ob es Eva auch recht wäre, wenn dieser Zusammenhang mit ihr publik gemacht würde - und Eva meinte "ganz natürlich, selbstverständlich", und die Ausstellung wurde dann ein Riesenerfolg. Es gab sehr viele Besucher, und die Menschen wollen darüber einfach mehr wissen - und, im Grunde genommen hatten wir immer das Gefühl, Transsexualität ist den anderen unheimlich, sie wissen nichts darüber, sogar Lesben und Schwulen ist das unheimlich, weil sie nicht genau wissen... Und ich fragte mich dann immer, wieso, ich meine, wir gehören doch alle zu einem Haufen...

Aber was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht...

ADELE:
Und trotzdem war es für die Ausstellung großartig... In der Komischen Oper sprach uns beispielsweise ein schwules Paar an und sagte, dass es extra von Bonn nach Herford gefahren war, nur um diese Ausstellung zu sehen. Und das Gute an der Ausstellung war ja, Evas Transsexuellen-Prozess zu thematisieren, der ja nun mal erfolgreich war. Das Gute: Der Erfolg, den wir haben, ist ja auch ein Erfolg für all die anderen...

Und eure Heirat fand dann unmittelbar nach dem Verfahren statt...

EVA:
Zum frühstmöglichen Zeitpunkt, ja.

Letzte Frage: Im September habt ihr eine neue Ausstellung in München; was wird da zu sehen sein?

ADELE:
Es wird Malerei zu sehen sein unter dem Titel Adsila.

EVA: Das ist ein indianisches Wort, von den Cherokesen, und es bedeutet so viel wie "Blüte".

ADELE: Es ist also eine schöne Geschichte und ein schöner Prozess, der auch sehr viel mit unserer Existenz zu tun hat. Und dadurch, dass wir durch den öffentlichen Auftritt - also, wir brauchen sehr viel Einsamkeit. Die Öffentlichkeit ist immer so präsent, und diese Fotos, und auch die Kommunikation, also wir sind zwar da... Aber dann müssen wir uns immer wieder zurückziehen ins Innere, in unser Atelier, in unsere Wohnung. Und diese Einsamkeit und diese Ruhe und diese Stille zelebrieren wir, das ist ein ganz wichtiger Fakt... Und auch das bisschen Naturbeobachtung, was wir tun können, die Bäume vor dem Fenster... Und so ist es dazu gekommen, dass wir von Anfang an immer sehr viele Blumen aufgestellt haben im Atelier und auch in der Wohnung... Und dann hatten wir auch begonnen, diese Blumen zu fotografieren...

EVA: Und zwar aus nächster Nähe, also indem man das Objektiv so einstellt, dass man ganz, ganz nah gehen kann - aber nicht so klassisch mit Vase...

ADELE: Wir haben sehr abstrakt fotografiert.

EVA: Dass man oftmals gar nicht erkennt, was sind das jetzt für Blumen...

ADELE: Und im Grunde genommen ist diese Ausstellung durch unseren Lebensprozess entstanden. Und dadurch, dass es die Blumen gab über viele Jahre hinweg - und es gab inzwischen Hunderte von Fotos auf unserem Taplet, über viele Jahre hinweg... Und eines Tages haben wir nach einer Versiegelung, nach einer Vollendung einer bestimmten Werkgruppe gesucht und haben plötzlich die Idee bekommen, diese Blumen zu zeichnen. Und wir sind hierzu in ein wunderschönes Anwesen von Sammlern von uns nach Mallorca geflogen und haben dort, nach den Vorlagen auf dem Taplet und inmitten dieser mediterranen Landschaft, diese Zeichnungen gemacht, diese Zeichnungen nach unseren Atelierblumen. Und zur Ausstellung wird ein Buch erscheinen, ein Original-Skizzenbuch, und es werden eben die Gemälde gezeigt, die unter Verwendung dieser Blumenskizzen später dann vollendet worden sind.

Also wird es eine Blumenausstellung.

ADELE:
Nicht wirklich.

EVA: Es ist so, diese Bilder, wo du eines hier hängen siehst, sind jetzt unsere allerneuesten Werke. Aber - es ist zugleich der ganze Zyklus mit den ältesten unserer Bilder, und damit sind wir wieder in der Zeitmaschine, denn unser ganzes bildnerisches Werk ist ja ein Teil der Zeitmaschine... Und außer der Grenzüberschreitung der Geschlechter ist die Zeitmaschine das wichtigste Element, das tragende Element. Und so gesehen muss ich deine Frage nach dem ewigen Leben mit Ja beantworten, weil - die Zeitmaschine ist die Ewigkeit, die Zeitmaschine ist die Unsterblichkeit, die Zeitmaschine ist der Kosmos oder auch Gott, das ist ein Ganzes... Es ist einfach so, und unsere Kunst ist ein Teil davon.




EVA & ADELE - Foto © Andre Sokolowski

*

[Das Gespräch im Atelier von EVA & ADELE fand am 11. August 2014 statt.]


Interviewer: Andre Sokolowski - 2. September 2014
ID 8058
Weitere Infos siehe auch: http://www.evaadele.com


http://www.andre-sokolowski.de



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