Ein Kommentar zur
documenta fifteen
in Kassel, zu ihrem alles
überschattenden
Antisemitismus-Skandal
und dem notwendigen
Diskussionsbedarf
darum
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Die documenta fifteen steht kurz vor ihrem regulären Ende, das wegen Antisemitismus-Vorwürfen in den Medien vielfach bereits vorfristig gefordert wurde. Sogar von einer „Antisemita fifteen“ war da die Rede. Die alle fünf Jahre in Kassel stattfindende weltweit bedeutendste Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst war dadurch stark in Verruf geraten. Sabine Schormann, die Generaldirektorin der veranstaltenden gemeinnützigen documenta GmbH, legte daraufhin einen Monat nach dem Beginn im Juli 2022 ihr Amt nieder. Schon im Vorfeld der documenta fifteen gab es erste Antisemitismus-Vorwürfe eines Kassler Blogs, der einer eingeladenen palästinensischen Künstlergruppe Verbindungen zu einem nach dem arabischen Nationalisten Khalil as-Sakakin benannten Kulturzentrum in Ramallah nachsagte. Aber erst das politische Wimmelbild-Banner People’s Justice (Die Gerechtigkeit des Volkes) der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi mit zum Teil eindeutig antisemitischer Symbolik brachte den medialen Stein ins Rollen. Vor allem die kuratierende Künstlergruppe Ruangrupa fühlte sich aber zu Unrecht in der Kritik. Jedoch weitere Funde von Bildern mit angeblich antisemitischem Hintergrund und von propalästinensischen Propaganda-Filmen ließen den Kuratoren und Veranstaltern der documenta keine Ruhe mehr.
Das hätten sich die ebenfalls aus Indonesien stammenden Mitglieder von Ruangrupa sicher vorher nicht träumen lassen. Nun liegt der lange Schatten des Antisemitismus-Vorwurfs über ihrer kollektivistischen Kunst-Reischeune. Und das ist nun leider das, was von ihrem Ruf, dem fröhlichen Beginn mit viel Folklore und „lumbung“ und der documenta fifteen im Allgemeinen bleiben wird. Es sollte eine documenta der Kollektive sein. Die kollektive Schaffung von Infrastrukturen für die Kunstproduktion und deren faire kommerzielle Verwertung stand dabei im Vordergrund. Des Weiteren beschäftigen sich die zumeist aus dem sogenannten globalen Süden eingeladenen Künstlergruppen verstärkt mit postkolonialen Themen und den Folgen von Flucht und Vertreibung, wobei der einst kolonisierende Westen nicht gut wegkommt. Die seit einiger Zeit vertretene Meinung einiger Historiker, die die Folgen des Kolonialismus mit denen des Holocaust gleichsetzen wollen, ist besonders im Westen stark umstritten. Dass nun eine aus dem globalen Glaubenskreis des Islams stammende Künstlergruppe in der Kritik stand, politische Kunst vorrangig aus dem arabischen Raum eingeladen zu haben, die sich die Kritik am Staat Israel und dessen Besatzungspolitik auf die Fahne geschrieben hat, wurde nun zum großen Problem der gesamten Institution documenta.
Auf den Publikumsstrom zur documenta fifteen in Kassel schien das alles keinen großen Einfluss zu haben. Das allgemeine Interesse und Stimmungsbild war auch am vorletzten Wochenende trotz widriger Wetterbedingungen sehr gut. Da ist man doch dazu geneigt, vom medialen Sturm im Wasserglas zu sprechen. Ganz wegzuwischen ist das Problem aber gerade in Deutschland nicht, wenn auch nach dem Abbau des Taring-Padi-Banners, das sich ja eigentlich nicht mit Palästina und Israel, sondern mit der Unterstützung des von 1967 bis 1998 in Indonesien herrschenden Suharto-Regimes durch westliche Geheimdienste beschäftigt, immer wieder Plakate mit der Aufschrift „Free Palastine from German guilt“ („Befreit Palästina von deutscher Schuld“) in den Ausstellungsorten auftauchten.
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Wajukuu Art Project, Shabu Mwangi, Wrapped Reality (Detail), 2022, documenta Halle, Kassel, 13. Juni 2022 | Foto Nicolas Wefers
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Ansonsten stand die documenta fifteen genau dafür, was Ruangrupa unter dem Begriff lumbung definiert, nämlich die „alternative Ökonomie der Kollektivität, des gemeinsamen Ressourcenaufbaus und der gerechten Verteilung“, und zeigte genau das, was man unter postkolonialer Kunst und Kunst von marginalisierten Gruppen versteht und auf ähnlich angelegten Kunstschauen wie etwa der Berlin-Biennale auch schon öfter gesehen hatte. Besonders in den Hauptausstellungsorten der documenta, dem Fridericianum und der documenta-Halle war das bestens zu besichtigen. In den 1992 am Friedrichsplatz errichteten Ausstellungsbau gelangte man durch einen schlauchartigen Wellblechvorbau, als würde man ein südafrikanisches Township betreten. In der oberen Halle stellte das Wajukuu Art Project Kunst aus dem Slum Lunga Lunga am Rande Nairobis in Kenia aus [s. Foto oben]. Das dort verortete Kunstprojekt bot u.a. Workshops für Jugendliche an, um ihnen eine Perspektive zu bieten. Dieser Ort diente auch als Treffpunkt für Veranstaltungen und Ausstellungen. Außerdem wurden hier Hilfestellungen verschiedenster Art angeboten. Die Mixed-Media-Skulpturen der am Projekt beteiligten KünstlerInnen waren aus vor Ort gefundenen Materialen wie Blechen, Draht, Holz oder Messern wie etwa Ngugi Wawerus meistfotografiertes documenta-Objekt, die Installation Kahiu Kogi gatemaga mwene.
Die Non-Profit-KünstlerInnen-Initiative Baan Noorg Collaborative Arts and Culture aus der thailändischen Provinz Ratchaburi zeigte eine Videoinstallation, die sich der Milchwirtschaft in Deutschland und Thailand widmet, ein traditionelles Schattentheater und eine künstlerisch gestaltete Skateboard-Halfpipe lud zur freien Benutzung ein. Probleme der Ernährungspolitik und von Gemeinschaften, die unter Industrialisierung und Umweltveränderungen leiden, behandelte das Kollektiv Britto Arts Trust aus Dhaka, Bangladesch in ihrer Food-Installation. Im außen gelegenen Kitchen Garden wurde Gemüse angebaut und für eine Spende vor Ort gekochtes Essen ausgegeben. Das nur als Beispiel für den aller Orten zu erlebenden kollektiven Charakter der documenta fifteen, der seine BesucherInnen auch zum Mitmachen anregen wollte.
Das Fridericianum beherbergte vor allem dokumentarische Archivarbeiten. Das Archives des luttes des femmes en Algérie zeigte Dokumente aus der Geschichte der algerischen Frauenbewegung seit 1962. The Black Archives dokumentierte die Geschichte Schwarzer Emanzipationsbewegungen von SchriftstellerInnen, WissenschaftlerInnen und politischen AktivistInnen in den Niederlanden. Im gleichen Haus gab das RomaMoMA art project Einblicke in die vielfältige Kunstproduktion der Roma-Communitys in Europa, die hier bis in die 1970er Jahre zurückreicht. Bildnerische Werke von KünstlerInnen wie Ceija Stojka, János Balázs, Tamás Péli oder des in Berlin aus Arbeiten mit dem Maxim Gorki Theater bekannten britischen Roma-Künstlers Damian Le Bas wurden hier vorgestellt.
Und doch waren es dann gerade die Einzelpositionen zweier Künstler, die hier aus dem kollektiven Einerlei der documenta fifteen herausragten. Die polnische Roma-Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas und der australische Künstler und Aborigines-Aktivist Richard Bell
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Richard Bell, Umbrella Embassy, 2022, Installationsansicht, Fridericianum, Kassel, 14. Juni 2022 | Foto Nicolas Wefers
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Ähnlich war es mit den an der Roma-Kultur orientierten Werken von Małgorzata Mirga-Tas. Auch sie engagiert sich in sozialen und künstlerischen Projekten gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung und rassistische Diskriminierung der Roma-Communitys. 2020 war sie zu Gast auf der Berlin-Biennale. Bekannt wurde die Künstlerin mit ihren Patchworks aus Stoff, in denen sie Motiven aus der Geschichte und Gegenwart der Roma verwebt. Auf der documenta fifteen wurden nun Werke aus ihrer Serie Out of Egyp gezeigt. Parallel bespielte Mirga-Tas auch den polnischen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig mit großformatigen Textilfreskos.
Ansonsten fiel eine Vielzahl von bemerkenswerten Video-Arbeiten und Klanginstallationen auf, die sich mit Problemen von Flucht und Migration und Umweltzerstörung befassten. Im Stadtmuseum Kassel war die Zweikanal-Videoinstallation Border Farce des kurdisch-iranischen Heavy-Metal-Musikers Safdar Ahmed zu sehen, die sich mit dem Rassismus und Islamophobie in der australischen Gesellschaft beschäftigt. Mit der Klang- und Raum-Installationen Mafolofolo im Ballsaal des an sich schon sehenswerten Baudenkmals Hotel Hessenland lud die interdisziplinäre Johannesburger Kooperation MADEYOULOOK zu einer „anti-ergonomische Übung“ in Sachen terrestrischer Veränderung und Wahrnehmung, was zumindest recht meditativ war. Was man von den palästinensischen Propagandafilmen vom Kollektiv Subversive Film, die im Gloria-Kino ihr Archiv des internationalen „militanten Kinos“ vorführten, sicher nicht behaupten konnte. Daran entbrannte nun der Streit um die Erforderlichkeit einer Kontextualisierung des gezeigt Filmmaterials. Von Seiten der mit den bekannten Antisemitismus-Vorwürfen konfrontierten KünstlerInnen schien es da keinen Bedarf zu geben. Auf die Einwürfe "was wir sagen und zeigen, hat mit der deutschen Vergangenheit nichts zu tun" könnte man da auch erwidern: mit Antisemitismus u.a. dann aber schon.
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MADEYOULOOK, Mafolofolo, 2022, Installationsansicht(Detail), Hessenland, Kassel, 15. Juni 2022 | Foto Frank Sperling
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Kunst und politische Kunst im Besonderen scheinen kaum noch in der Lage, für sich selbst sprechen zu können. Wobei die zeitgenössische Kunst leider immer öfter auch ohne Kontext kaum noch zu verstehen ist. Der allgemeine Hang zur Kontextualisierung, der in jüngster Zeit verstärkt zu beobachten ist (und hier auch von Seiten der documenta-Kritiker vertreten wurde), scheint im Einzelfall geboten, stellt sich aber auch zunehmend bevormundend vor die Kunstwerke. Und welche westlichen KünstlerInnen ließen sich schon freiwillig kontrollieren und kontextualisieren, was nun im Falle der documenta-KünstlerInnen und zukünftiger documenta-Ausgaben verlangt wird. Da ist schnell von Zensur die Rede. Ein Problem, dass die Ereignisse um und auf der documenta fifteen nun auf recht unangenehme Weise zu Tage gefördert hat und das die Kunstwelt auch noch weiter beschäftigen wird.
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Stefan Bock - 25. September 2022 ID 13819
Weitere Infos siehe auch: https://www.documenta.de/
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