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Kulturspaziergang

Venedig

zwischen Fake

und Faszination


Eine Kulturreise


Gondelfahren in Venedig | Foto (C) Stefan Bock


„Venedig sehen und sterben“ ist zum Klischeesatz schlechthin geworden. Er wird Thomas Mann in den Mund gelegt, der sich mit seiner Novelle Tod in Venedig in den Reigen der melancholisch-poetischen Venedig-Rezeption einreiht wie etwa Goethe, der große Italienreisende, oder auch Lord Byron, der 1813 in seinem Versepos Childe Harold’s Pilgrimage schon das Bröckeln der dortigen Prachtpaläste bedauerte. Der morbide Charme der Lagunenstadt zieht noch immer die Touristen an auf der Suche nach einem Traum von Authentizität oder dessen, was sie für tipica Venezia halten.

Prachtvolles und Moribundes gehen hier fließend ineinander über. Und während Venedigs Fassaden langsam im Meer versinken, steigen neue aus unverrottbarem Stahl aus ihm herauf. Haushohe Luxusliner setzen ihre Passagiere direkt am Markusplatz ab und gehören mittlerweile fast schon wie selbstverständlich zur neuen venezianischen Skyline. Fortschritt und Dekadenz, Luxus und Verfall in gewinnbringender Einheit. Ob nun Abscheu, Faszination oder romantische Verklärung, der deutsche Dichter August Graf von Platen schrieb 1834 in seinen Sonetten aus Venedig: „Venedig liegt nur noch im Land der Träume“, oder wie es Thomas Mann auch ganz treffend beschrieb: „So ist Venedig, die Schöne, schmeichelnd und verdächtig, Legende und Falle für die Fremden.“ Venedig ist Kulissenstadt und großer Fake, ein Spiel mit den Masken vom singenden Gondoliere bis zum Taschenverkäufer.



Blick von San Marco nach San Giorgio | Foto (C) Stefan Bock


Gleiches gilt sicher auch für die Künste und deren Macher, von denen Venedig mindestens so viele hat wie Konsumtempel und Touristen. Von Femmes fragiles und Femmes fatales, androgynen Kreaturen, Chimären und Albträumen spricht z.B. die Ausstellung Mystischer Symbolismus: Der Salon de la Rose + Croix in Paris, 1892-1897, die noch bis zum 7. Januar in den Räumen der Peggy-Guggenheim-Collection zu sehen ist. Joséphin Péladan, ein französischer Schriftsteller und Okkultist, hatte einen Kreis von symbolistischen Künstlern um sich geschart. Er reiste auch nach Italien und war Verehrer der Musik Richard Wagners, dessen Parsifal durch die Räume der Ausstellung schallt. Womit wir wieder beim Thema sind. Auch der Romantiker Wagner fand seinen Tod in Venedig.

Neben Richard Wagner und Thomas Mann weilte selbst der junge Wolfgang Amadeus Mozart hier. Mozarts Vater hoffte für seinen 14jährigen Sohn auf eine große Karriere als Komponist italienischer Opern, was sich dann ja auch später durchaus bewahrheiten sollte. Das Gran Teatro La Fenice di Venezia, Venedigs berühmtes Traditionshaus, hat zurzeit wohl die Oper Mozarts schlechthin im Programm. Sein Don Giovanni spielt zwar in Spanien, ist aber als Opera buffa mit dramatischem Höhepunkt angelegt und passt damit bestens in die burleske Karnevalsstadt. Und das Libretto stammt bekanntlich vom Italiener Lorenzo Da Ponte. Der talentierte Opernregisseur Damiano Michieletto, der auch schon in Berlin und Leipzig inszenierte, stellt den wüsten Frauenverführer als großen Manipulator dar, der in einem, sich von Szene zu Szene weiter drehenden Set (Bühne: Paolo Fantin) aus ineinander verschachtelter Räumen mit immer gleicher Tapete durch die Story hetzt und mit den Masken der Verstellung spielt. Durchaus traditionell instrumentiert unter der musikalischen Leitung von Stefano Montanari und mit einem sich durch die Rezitative stotternden Diener Leporello auf Farce getrimmt, erlaubt sich Michieletto den im Grande Finale unter viel Rauch gestraften Wüstling am Ende wieder auferstehen zu lassen, um seine Figuren weiter wie Marionetten am Band zu bewegen.

*

Alte Palazzo-Fassaden hier, luxuriöses Interieurs dort, was sich hinter bröckelnden Fassaden und welken Tapetentüren versteckt, wartet darauf, entdeckt zu werden. Im Jahr der 57. BIENNALE DI VENEZIA bieten sich den Besuchern der Lagunenstadt dazu wieder viele Gelegenheiten. Zwischen den Kanälen mit Gondeln und flanierenden Touristen in den Gassen Venedigs kann der kunstinteressierte Besucher auch außerhalb der Biennale-Hauptorte Giardini und Arsenale durchaus fündig werden. Zum Beispiel links und rechts des Canale Grande wo im Palazzo Grassi und der zweiten Dependance der Pinault Collection an der Punta della Dogana der große Kunstmarkt-Manipulator Damien Hirst einen gigantischen Art-Fake aufgebaut hat. Schon an den Eingängen der beiden Ausstellungsorte begrüßt den Besucher je eine überlebensgroße Reiterskulptur, die von einer Schlange gewürgt wird, mal aus Bronze, mal aus Carrara-Marmor. The Fate of Banished Man nimmt dabei den antiken Mythos des Laokoon auf. Das Atrium des Palazzo Grassi füllt gar ein 18 Meter hoher Demon with Bowl.



Damien Hirst, The Fate of Banished Man vor der Punta della Dogana | Foto (C) Stefan Bock


Um den einstmaligen jungen Wilden der britischen Kunstszene war es in den letzten Jahren etwas still geworden. Nachdem Hurst 2008 für 172 Millionen Dollar etliche seiner Werke direkt aus dem Atelier versteigern ließ, fielen die Preise und der Künstler aus den Top-Ten der monetären Kunstschwergewichte. Treasures from the Wreck of the Unbelievable hat Hirst nun sein neues gigantomanische Unternehmen genannt, zu dem er sich gleich noch die passende unglaubliche Geschichte hat einfallen lassen. Hirst wurde just 2008 gefragt, ob er sich finanziell an der Bergung eines vor 2000 Jahren vor der Küste Afrikas gesunkenen Schiffs namens Apistos (deutsch: die Unglaubliche) beteiligen würde. Das Schiff transportierte Schätze eines antiken Kunstsammlers und zu Geld gekommenen Sklaven aus Antiochien. In einem Video wird dem zahlreich zahlenden Publikum dieses Kunstmärchen aufgetischt, dass dann anhand von ebenfalls zahlreichen mit Korallen- und Muschelresten übersäten Exponaten belegt werden soll.

Hirst hat dazu antik wirkende Großskulpturen, Büsten sowie Münzen und Geschmeide gefertigt und mit entsprechender Patina überzogen. Kann zu Beginn die hohe handwerkliche Kunstfertigkeit noch mit der offensichtlich falschen Story mithalten, so zerstört der Künstler bald höchstselbst sein kunstvolles Lügengebäude zu Gunsten eines popkulturell überbordenden Schabernacks. Die Gesichter der antiken Büsten tragen Züge von Rihanna oder Kate Moss, daneben grüßen plötzlich Mickey Mouse und Goofy, der weiße Hai bedroht Andromeda und Mogli scherzt mit Balu, dem Bär aus Disneys Dschungelbuch. Spätestens wenn ein alabaster-weißer Torso auf dem Rücken das Siegel Made in China trägt, ist alles klar. Auch kunstgeschichtlich bringt Hirst so einiges ins Wanken. Da kämpft die antike Hydra mit der indischen Gottheit Kali, es gibt ägyptische Pharaonen-Büsten neben Buddhastatuen und Dürers Hände heben sich smaragdgrün und korallenbesetzt zum Gebet.

Ob nun ein in Formaldehyd eingelegter Hai, ein mit Diamanten besetzter Schädel, ein vergoldetes Mammutskelett, oder nun eine ganze Schiffsladung falscher Kunstschätze, Damien Hirst ist immer noch für einen Aufreger gut. Das ist ein gewolltes Spiel mit dem Fake, der gut gearbeiteten Kunstkopie, die hier allerdings schon vom reinen Materialwert her nicht wirklich billig ist. Die Herstellungskosten, die ihm sein Sponsor, der Sammler Pinault, vorgeschossen hat, dürften allerdings mit dem Verkauf einer der Großplastiken mühelos getilgt sein. Und wie man hört, sind die Exponate allesamt bereits verkauft. Für 140 € gibt’s im Museumsshop den Hochglanzkatalog fürs Volk dazu.

* *

Daneben nimmt sich die Gruppenausstellung The Boat is Leaking. The Captain Lied. mit Arbeiten der Bühnenbildnerin Anna Viebrock, dem Fotografen Thomas Demand und dem Filmemacher Alexander Kluge im Palazzo Ca’ Corner della Regina der Fondazione Prada doch recht bescheiden aus. Und dennoch überzeugt diese interessante, von Udo Kittelmann (dem Direktor der Berliner Nationalgalerie) kuratierte Zusammenstellung der drei so unterschiedlichen deutschen Künstler und Kunstgattungen gerade durch ihre faszinierende Einfachheit, die sich eben nicht in erster Linie am ästhetischen Schauwert orientiert, sondern verschiedene und doch ähnlich orientierte künstlerische Denkprozesse zusammenführt. Und ähnlich wie Hirst seiner Ausstellung einen Vers aus Wilhelm Shakespeares Sturm voranstellt, greift Kittelmann auf ein Zitat des Cassius aus Julius Caesar zurück. „Nun tobe, Wind! schwill, Woge! schwimme, Barke! / Der Sturm ist wach und alles auf dem Spiel.“



The Boat is Leaking. The Captain Lied. - Courtesy Fondazione Prada/VG Bild-Kunst, Bonn 2017 | Foto (C) Delfino Sisto Legnani und Marco Cappelletti, Courtesy Fondazione Prada


Da spielt die Ungewissheit der sich wandelnden Welt hinein, die sich nicht mehr so ohne weiteres durchschauen und erklären lässt. Dazu spielt die Ausstellung mit der Wahrnehmung der Besucher, die sich von Geschoss zu Geschoss durch ein fast labyrinthartiges Setting aus Teilen von Bühnenbildern Anna Viebrocks zu Inszenierungen von Jossi Wieler und Christoph Marthaler bewegen. Hier geht eine Tür scheinbar in ein billiges Stundenhotel, dort in eine Bar. Manchmal sind sie auch verschlossen. Man befindet sich auf der Rückseite von Kulissen, oder glaubt, in der Besenkammer gelandet zu sein.

Im Erdgeschoss singt Leonard Cohen "Everybody Knows" zu einer von Grün auf Rot schaltenden Ampel von Thomas Demand. Cohens Song ist der Titel der Ausstellung entlehnt. Das Boot ist leck und der Kapitän hat gelogen. Man könnte auch von Fake News sprechen, oder Fake-Fotos wie die abgelichteten Modelle von Demand aus Pappe detailgetreu nachgebauter steriler Büroraumambiente, die neben animierten Videos in den verschiedenen Räumen zu sehen sind.

In einem kleinen, von Ana Viebrock gebauten Theater, in einer Kapelle und einem Kinosaal laufen die aufklärerischen Filme von Alexander Kluge, eine kleine Retrospektive mit frühen Schwarz-Weiß-Spielfilmen wie Abschied von Gestern oder dem preisgekrönten Dokumentarfilm Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit. Gezeigt werden seine gefilmten Künstlergespräche, Zeitdokumente oder Helge Schneider auf dem G7 Gipfel in Schloss Elmau. Im Erdgeschoss auf Großbild gibt es Die sanfte Schminke des Lichts, eine von Michael Ballhaus gefilmte Lichtprobe, bei der die Gesichter von Hannelore Hoger und Peter Berling schmeichelhaft ausgeleuchtet werden. Ein perfekter Fake aus Licht und Schatten. Sollte die neue Volksbühne eine ähnlich gute Retrospektive des lange avisierten Vordenkers und politisch engagierten Kunstfilmgenies zusammen bekommen - nichts wie hin.


Stefan Bock - 6. November 2017
ID 10352
Weitere Infos siehe auch: http://www.fondazioneprada.org/visit/visit-venice/


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