Sarah Moon
NOW AND THEN
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(C) Deichtorhallen Hamburg
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Sarah Moon - der Künstlername einer wundervollen Frau und Künstlerin. Sie ist eine große Bilder-Erfinderin, die die Dinge schon immer anders zeigen wollte, anders als alle anderen.
Ihr ist eine unscharfe schwarz/weiße, zuweilen in blassen und konträren Farben gehaltene Ästhetik eigen. Stark von der Malerei geprägt und in melancholische Stimmung getaucht, erzählt sie mit poetischen Worten und Bildern. Sie erschafft einen eigenen Stil mit den Medien Fotografie und Film, die sich wiederum gegenseitig inspirieren - und eine dritte Ausdrucksform, welche der Schriftstellerei Raum gibt.
Doch was ist zuerst da, das Bild oder das Wort?
Ein Text von ihr: "Es könnte zu hell werden, wenn wir das Licht anmachen."
Ihre geheimnisvollen Bilder, ihre Lieblingszahl 5 (es gibt fünf Ausstellungsräume), die verschleierte Mystik, die dunklen intuitiven Begegnungen in ihren Filmen, all das deutet auf eine lange eigene Geschichte.
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Sarah Moon, NOW AND THEN in den Deichtorhallen in Hamburg - hier: Monette pour Commé des Garçons. Strong colour as a language | Foto (C) Liane Kampeter
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1941 in Vernon geboren ist, ihr Name zunächst Marielle Warin. Ihre jüdische Mutter ist auf der Flucht vor den deutschen Truppen, und so wächst Marielle in unterschiedlichen Ländern auf, in der Schweiz, in England und dann in Frankreich. Während sie in Paris Kunst studiert, fängt sie an, für die Haute Couture zu modeln. Nebenbei fotografiert sie die anderen Mannequins.
Sie sagt: "I allowed women to be themselves, without playing the game of performing."
In der Hippiezeit 1960-66 trägt sie den Künstlernamen Marielle Hadengue. Vielleicht macht sie die Erfahrung, dass der Name nicht alles ist, oder man damit anonymer sein kann; was zählt, ist das Darunter, das Versteckte, das Nichtoffensichtliche. Denn ihre Fotokunst ist sehr malerisch, verträumt-zart, oft melancholisch. Und betrachtet man den grafischen Bildaufbau, gerät man außerhalb von Zeit und Raum. Ihre Bilder sind Anmutungen, man ist beim Betrachten zeitlos enthoben; es gibt keinen Anfang und kein Ende.
Das Model in ihr: "Bevor ich bekannt wurde, hing ich an der Wand."
Sarah Moon hat Lebenserfahrung, sie ist schüchtern und freundlich, lebt mit dem Herzen. All die Erfahrungen, die sie gemacht hat, immer auf der Suche, den flüchtigen Moment zu bannen, das Werden und Vergehen sind ihre Themen. Sie kombiniert und komponiert.
So werden große Modehäuser wie Cacharel, Valentino, Dior, Chanel und Comme de Garçon auf sie aufmerksam, und eine Karriere als Modefotografin beginnt.
Besonders ihre Kontakte ab 1985 zu japanischen Modedesignern wie Issey Miyake, Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo prägen ihren grafisch reduzierten Stil. Die bewusst gesetzten Farben zeugen von Anmut und Eleganz. Sie konzentriert sich mehr denn je auf das Wesentliche. Oft sind es nur die Rückenansichten der Models, auf die Form bezogen und nicht auf das Model.
Es folgen Modestrecken in wichtigen Magazinen wie Vogue, Elle, Marie Claire, Harper's Bazaar, um nur einige zu nennen.
Und - sie fühlt sich ein in ihre Modelle. Als erste Frau fotografiert sie 1972 für den Pirelli-Kalender und kreiert ein romantisches Frauenbild mit Blumen, die Körper ästhetisch und nicht pornographisch.
Als fotografische Autodidaktin verlässt sie sich ganz auf ihr Gefühl, erzählt Geschichten mit der Kamera, hat die Geduld die Gesten von Händen zu studieren, ihre Modelle niemals unter Druck zu setzen. Dabei entstehen gemäldeartige Momentaufnahmen. Sie setzt Kontraste mit Farben wie Gelb und Rosa, Schwarz und Gelb oder Grünblau, zu der Zeit noch ein "no go". Sie fotografiert viel mit Polaroid (Nr. 665), retuschiert keine Kratzer, sondern hebt sie hervor als ein eigenes Stilmittel.
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Die sehr umfangreiche Ausstellung Now And Then zeigt mit 350 Exponaten ein Gesamtwerk, einen Spannungsbogen von Modefotografien, Tierbildern und Stillleben, Polaroids, Schwarzweiß- und Farbaufnahmen, dazu noch nie gezeigte Filmskizzenbücher.
11 Motive hat sie als Platinum-Prints drucken lassen. Es sind Landschaftsgemälde außerordentlicher Stille. Gewählt wurde ein sehr fragil aussehendes Reispapier, "Tosa Washi", sehr durchsichtig, empfindlich, vergänglich.
Sie hat Fragen wie: „Where does the white go…when the snow melts?“
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Sarah Moon (re.) mit ihrer Freundin Ilona Suschitzky | Foto (C) Liane Kampeter
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Ihre beste Freundin, die Malerin und Illustratorin Ilona Suschitzky (sie lebt in London) begleitet sie auf dieser Retrospektive, die keine sein soll, denn sie ist ja noch nicht tot.
Ich spüre eine mystische Empfindsamkeit, etwas zart kostbares zwischen ihnen.
Ihre Zusammenarbeit von Fotografie und Malerei schafft etwas Neues. Sarah macht die Fotos, und Ilona erweitert, verdichtet, vollendet die Bilder. Sie hängen im 5. Raum.
"Zufällige Begegnungen" - ein Thema von Sarah Moon, und so treffe ich in der Ausstellung auf die beiden fast "zufällig", um einen vertrauten Austausch zu haben. Sie legen mir wärmstens ans Herz, die 5 Kurzfilme anzuschauen. Und das tue ich, bin fasziniert von der Bildsprache, dem Rhythmus ihres Schnitts, ihrer gesprochenen Worte dazu. Sarah Moon hat eine eindringliche, aber beruhigende Stimme.
Frei von kommerziellen Auftragsarbeiten befasst sie sich seit den 1980ern mit dem dynamischen Augenblick, dem bewegenden Bild in Kombination mit dem Standbild, der Fotografie. Der Zeit seltsam enthoben, zeigen sie Gefühle, die einhergehen mit Menschlichkeit, Gefühlen wie Einsamkeit, Hoffnung, Erwartung, Angst - man begegnet dem Jetzt und dem Hier.
"Die Sonne, die nicht mehr unterging, sah aus wie der Mond."
Das beschreibt die lang gestreckte Zeit, den einzig gültigen Moment ohne Wiederholungszwang. Es geht um liebevolle Begegnungen, um kindliche unschuldige Liebe.
Ihr filmisches Œuvre seit den 1980ern entsteht ohne kommerziellen Druck, ist oft romantisch.
Der Cirkuss-Film enthält Fantasien von Freiheit, zeigt aber auch die harte Realität. Geleitet durch Märchenmotive von Charles Perrault und Hans Christian Andersen, hat jeder ihrer Filme eine Erzählung fernab vom momentanen Alltag, man gerät in andere Welten. Und doch kennt jeder die Geschichte von Armut, Verlassenheit und Tod.
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern bekommt hier etwas ganz Aktuelles. Ihre Schwarzweiß-Optik, Inszenierungen mit Licht und Schatten verstärken die Dramatik, schaffen eine eigene rhythmische und eindringliche Realität.
Die Filme (u.a.):
Le petit chaperon noir, Rotkäppchen in Schwarz, 1985/2010
Circuss, Zirkus, 2003
La Sirène d'Auderville, Die Meerjungfrau von Auderville, 2006/2007
Mississippi one, Mississippi one, '91, der erste Spielfilm, 85:00 Min.
5H-5, 2013, 45 Min., immer wieder taucht die Frage auf: "Wie spät ist es?" Dabei geht es um Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit, Jugend und Alter, hoffnungsvollen Neubeginn und schmerzlichen Verzicht.
So befasst sich Sarah Moon ganz aktuell mit dem, was ist, für sie im Alter von 74 Jahren und mit dem Lauf der Zeit, dem Altern für uns alle. Sie fragt voll Vertrauen:
"Wie spät ist es?"
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Sarah Moon, NOW AND THEN in den Deichtorhallen in Hamburg - hier: Fashion; Sarah Moon. Colours, shadows and forms enhancing volumes and movement | Foto (C) Liane Kampeter
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Liane Kampeter - 1. Dezember 2015 ID 9017
Weitere Infos siehe auch: http://www.deichtorhallen.de/
Post an Liane Kampeter
http://www.liane-kampeter.de
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