Das Deckenfresko im Treppenhaus
der Würzburger Residenz
Ein Meisterwerk von Giambattista Tiepolo
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1720 wurde der Grundstein für die Würzburger Residenz gelegt. Baumeister war der damals schon recht bekannte, junge Balthasar Neumann, der mit einem Stab von Architekten und Künstlern mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod dort wirken sollte. Auftraggeber war Bischof Johann Philipp Franz von Schönborn. Der Rohbau stand 1744; abgeschlossen wurden die Bauarbeiten 1781.
2020 fielen die geplanten Feierlichkeiten zum 300. Geburtstag der Grundsteinlegung inklusive einer Sonderausstellung Corona zum Opfer. Seit Anfang Juni ist diese prächtige Residenz, die gerne mit Versailles oder Schönbrunn in einem Atemzug genannt wird, wieder – mit Auflagen - für Besucher geöffnet.
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Giambattista Tiepolos Deckenfresko im Treppenhaus der Würzburger Residenz | Foto: Lothar Spurzem, 1996; Bildquelle: Wikipedia
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1750 kam kein Geringerer als der venezianische Fresko-Großmeister Giambattista Tiepolo (1696-1770) in Würzburg an. Er folgte dem Ruf des gerade neu ernannten Fürstbischofs Carl Philipp von Greiffenclau. Den besten (und teuersten) Künstler wollte der Bischof - sehr zum Bedauern des süddeutschen Malers Johann Zick, der schon im Gartensaal der Residenz beschäftigt war - für die Fresken im Kaisersaal und im Treppenhaus verpflichten. Finanzierungsprobleme scheint es nicht gegeben zu haben. Der venezianische Künstler und seine beiden Söhne blieben drei Jahre. Die ersten 18 Monate malten die Tiepolos im prächtigen Kaisersaal Szenen aus der Würzburger Geschichte zu Zeiten des Kaisers Friedrich Barbarossa und seiner Braut Beatrix von Burgund. Antonio Bossi war für die großen Stuckfiguren in den Nischen zuständig. Die Licht- und Raumverhältnisse und die Dimensionen des Treppenhauses, an dem Tiepolo während der knapp zweijährigen Arbeiten im Kaisersaal ständig vorbei kam, dürften ihn sehr interessiert und auch herausgefordert haben, und so entstand das Projekt eines großen durchgehenden Freskos. Mit einem Ausmaß von 19 x 32 m malte Tiepolo das größte fortlaufende Deckenfresko der Welt. Es gibt keinen Ort im Treppenbereich, von dem aus das Fresko vollständig zu sehen wäre.
Ein Treppenhaus war nicht nur wichtig, um von einem Stockwerk in das andere zu gelangen. Es war ein protokollarischer und strategischer Ort. Am Fuße der Treppe kamen die Besucher in ihren Kutschen an. Auf der Treppe konnte man beobachten, sehen und gesehen werden. Der ankommende Gast trat unter diesen grau-gewittrigen, rosa-hellblauen Bilderhimmel von 677 Quadratmetern. Überwältigt von der Pracht, von einem virtuosen und meisterhaften Farbenspiel, von den illusionistischen Architektur-Inszenierungen bekam der Ankömmling sogleich einen Eindruck über Macht und Reichtum seines Gastgebers. Tiepolo hat zwischen den im Rokoko typischen asymmetrischen Figurengruppen und fliegenden Göttern nie den Blick fürs Ganze verloren und die Schwerkraft außer Kraft gesetzt.
Die Sonne geht auf über der modernen Welt. Der Schutzherr der Künste und Sonnengott Apoll wartet im Kreise von anderen Olymp-Bewohnern, bis die Putten seinen Pferdwagen fahrbereit gemacht haben. Der Götterbote Merkur macht wie immer, was er will, und fliegt gerade an der Sonne vorbei zu seinem nächsten Streich. Das aufgeklärte Lexikon Mitte des 18. Jahrhunderts kannte vier Erdteile - Australien war noch nicht auf allen Landkarten eingezeichnet und wurde erst mit der Kolonisierung 1770 sichtbar. Tiepolo verband diese vier Kontinente zu einer allegorischen Verherrlichung der Künste inklusive einer Apotheose des Bauherrn, den Würzburger Fürstbischofs Carl Philipp von Greiffenclau.
Theatralisch, mit bunten Indianerfedern auf dem Kopf und entblößten Brüsten, reitet die wilde und starke Amazone „Amerika“ auf einem Krokodil zur Jagd. Umgeben von einer barbarisch-primitiven Meute offenbart sie hemmungs- und zügellose Wildheit. Abgeschlagene Köpfe weißer Männer liegen zu ihren Füßen. Mit dem Füllhorn wird auf den unerschöpflichen Reichtum des 150 Jahre vorher entdeckten Kontinents verwiesen. Die Geschichten gehen ineinander über und sind nicht wirklich zu trennen. Prächtige Elefanten, chinesische Sonnenschirme, Steine mit alten Schriftzeichen, Pyramiden, exotische Vögel, Kamelmärkte, geschenkbringende Krieger und ein Affe, der am bunten Federkleid eines Straußenvogels zupft, vermischen sich mit den Stuckarbeiten und Marmorstatuen und vereinen die Kontinente, die – so scheint es - von starken Frauen geführt werden.
Und dann, am Wendepodest, sieht man auf der Stirnseite des Treppenhauses den strahlenden Hof von Würzburg in Form von Europa. Hier geben sich Kultur, Kunst und Zivilisation ein Stelldichein. “Europa“ liegt auf einem Thron aus Stein und ist umgeben von ihrem Hofstaat. Da reitet der Oberst der Artillerie und fürstbischöfliche Oberbaudirektor Neumann auf einer Kanone. Auf der einen Seite steht sein Hund und auf der anderen der streng blickende Stuckateur Bossi mit seinem Handwerkszeug. Hinter Neumann weilt der Hofkomponist und Geiger Platti mit seiner Frau, einer Sängerin. Tiepolo selber sitzt im roten Mantel zwischen Afrika und Europa in der Ecke und freut sich, dass er mehr als alle anderen Beschäftigten am Hof verdient. Streit und Eifersüchteleien unter der Künstlerschaft dürften hier Tagesordnung gewesen sein. Inmitten dieses nuancenreichen Pompes steigt der Auftraggeber Carl Philipp von Greiffenclau in einer fürstlich-gerahmten Sprechblase zum Olymp auf, obwohl er als hoher Kirchenvertreter eigentlich noch weiter nach oben müsste! Begleitet wird er bei diesem feierlich-ironischen Akt von einem Trompetensolo der Göttin Fama. Wohlgemerkt: es handelt sich nicht um einen Königspalast sondern um die Residenz des Fürstbischofs von Würzburg, das damals 15000 Einwohner zählte. Er trat sein Amt 1749 an und eine der ersten Amtshandlungen des kunstverständigen Kirchenmannes war, eine Ordensfrau auf den Scheiterhaufen zu schicken: angeblich war sie eine Hexe.
Die Götter haben ihre schützende Hand auch während der Bombenangriffe im März 1945 über die wunderbare Bilderlandschaft gehalten. Die Fresken lagen zwar zeitweilig frei und waren jeder Witterung ausgesetzt, aber einmal war der Sommer 1945 ein trockener, und dann hat sich ein US Offizier und Kunsthistoriker ihrer angenommen und unter großem Aufwand Holzplanken für das Gewölbe bauen lassen, um die Kunstwerke so vor Feuchtigkeit zu schützen. Die Fresken haben den Winter überstanden, und die Holzkonstruktion bildete später den Grundstock für den Wiederaufbau. Seit 1981 gehört diese glanzvolle, spätbarocke Residenz zum UNESCO-Weltkulturerbe.
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Christa Blenk - 12. Juni 2020 ID 12294
Angeblich hat die Familie Tiepolo 12.000 Rheinische Gulden für diesen Auftrag erhalten inklusive eines Bonus von 3.000 Gulden – was ungefähr dem 13fachen Jahresgehalt des Oberbaudirektors Balthasar Neumann entsprach, der im Jahr der Fertigstellung der Fresken starb. Über die Bezahlung gibt es unterschiedliche Informationen.
Der Hauptvertreter im italienischen Spätbarock Tiepolo macht sich schon als 20jähriger in Venedig selbständig und kann Zeit seines Lebens nicht über einen Mangel an Aufträgen im In- und Ausland klagen. Seine Vorbilder sind Tizian, Tintoretto und vor allem Veronese. Ab den 1740er Jahren ändert er seine Farbpalette, und helle Pastellfarben verdrängen die für ihn typischen erdigen Brauntöne. In Würzburg hinterlässt er sein Meisterwerk. Anschließend ruft ihn der spanische König und Tiepolo malt im Palacio Real in Madrid die Verherrlichung Spaniens, aber auf weniger Quadratmetern. Der junge Anton Raphael Mengs kommt ungefähr mit Tiepolo in Madrid an, entbarockisiert die Malerei und beherrscht sehr schnell den klassizistischen Kunsthimmel, während Tiepolos sakrale und profane Bilder für viele Jahrzehnte in Vergessenheit geraten.
Link zum Deckenfresko
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