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Werkbetrachtung

Tripoli III / Große sitzende

Tripolitanerin
(1963) von

Emy Roeder



Emy Roeder (1890-1971) wird meist im Zusammenhang mit den deutschen Expressionisten genannt, aber wirklich einer Epoche zuordnen kann man sie nicht, dazu hat sie zu lange gelebt und zu viele Kunstrichtungen erlebt. Ab den 1920er Jahren konzentriert sie sich vor allem auf sitzende oder stehende Frauenportraits, die sie immer weiter in einen sparsamen Manierismus treibt und auf die Grundformen, auf Quadrate oder Linien reduziert. Die kleine, zierliche Frau entwickelt im Laufe der Jahre eine eigene, schlicht-spröde und vereinfachte Skulpturensprache. Auf ihrer Nordafrikareise scheinen sie die Frauen in Tripolis besonders beeindruckt zu haben. Ab den 1960er Jahren hat sie die dort entstandenen Zeichnungen in ihrem Atelier in Bronze umgesetzt, darunter die überlebensgroße Frauenfigur Tripoli III / Große sitzende Tripolitanerin, die ein paar Jahre vor ihrem Tod entsteht.



Emy Roeder: Tripoli III / Große sitzende Tripolitanerin (1963), Material Bronze; Bonn – Rheinisches Landesmuseum (Außenbereich) | Foto: Hans Weingartz; Bildquelle: commons.wikimedia.org


Lang und schmal sitzt die Frau im Halbprofil auf einem L-förmigen Hocker. Irgendwie überrascht, denn diesen satten Garten hat sie nicht erwartet, er ist ihr fremd. Sie gehört eigentlich in die Sahara und kennt nur die sporadischen und faszinierenden Vegetationsflecken einer Oase. Schüchtern, fast könnte man sagen abweisend, blickt sie auf den Betrachter, während sie sich mit der linken Hand gerade ihren Schleier vor das Gesicht zieht. Sie will sich vor dem Wüstensand schützen oder ihr Gesicht vor einem Fremden verstecken, der gerade ankommt. Roeder verrät uns sonst nichts über die Frau. Ihr rechter Arm ist unter der eng anliegenden, leicht schraffierten Tunika als Ausbuchtung zu erkennen, sehen kann man nur die Hand, die auf Höhe ihrer angewinkelten Oberschenkel aus dem Umhang kommt und leicht am Podesthocker anliegt. Ihr überzogen-langer Köper ist mit ihrer Sitzgelegenheit verwachsen. Überproportional wirken auch Beine, Hände und Füße und auch das nicht personalisierte, primordiale Gesicht, das einer afrikanischen Maske gleicht. Die kleine Unregelmäßigkeit, die sie sich gönnt, in dem sie den linken Zeh über das Podest herausragen lässt, gibt dieser karg-poetischen Figur dann wieder beinahe etwas Spielerisches. Der Hohlraum zwischen den angewinkelten Beinen und dem geometrischen Pendent des Hockers ist Teil der Skulptur.

*

Die Leichtigkeit der Kolbe-Arbeiten oder das Pathos von Kollwitz sucht man bei ihr vergeblich. Roeder zitiert hier den Meister der überzogenen Proportionen, den bekanntesten Bildhauer des Anfangs des 20. Jahrhunderts, Wilhelm Lehmbruck (1881-1919). Auch dessen Hauptwerk „Kniender“ zählt 1937 zu den Exponaten in der Ausstellung "Entartete Kunst", und auch Lehmbrucks Arbeiten werden 1955 auf der documenta 1 in Kassel vorgestellt.
Christa Blenk - 21. Oktober 2021
ID 13229
Die Würzburgerin Emy Roeder geht 1914 nach Berlin und schließt sich verschiedenen avantgardistischen Künstlergruppen an. Sie tritt in Kontakt mit Ernst Barlach, Rudolf Belling und mit den Bildhauerinnen Käthe Kollwitz, Milly Steger und Renée Sintenis sowie dem Maler Karl Schmitt-Rottluff. 1919 heiratet sie ihren Bildhauerkollegen Herbert Garbe. Mit ihm geht sie 1933 nach Rom, wo er ein Stipendium an der renommierten Villa Massimo bekommt. Aber Garbe tritt im selben Jahr freiwillig in die NSDAP ein und geht 1934 alleine nach Berlin zurück, während Roeder 1936 den Villa-Romana-Preis bekommt, der ihr ein Jahr Florenz-Aufenthalt ermöglicht. 1937 wird ihre ausdrucksstarke Terrakotta-Plastik Die Schwangere in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München gezeigt. Andere Werke von ihr unterliegen einem Ausstellungsverbot. Emy Roeder schlägt sich hauptsächlich in Italien mehr schlecht als recht durch die Kriegsjahre. Dort wird sie 1944 auch durch die Besatzer verhaftet und in ein Alliiertenlager gebracht. Die Villa Romana wird unter der Leitung von Hans Purrmann immer wieder ein wichtiger Zufluchtsort für sie und auf sein Drängen geht sie ein paar Jahre nach Kriegsende nach Deutschland zurück, wo sie in Mainz einen Lehrauftrag annimmt. 1955 stellt sie eine zweite Version der Schwangeren auf der ersten documenta in Kassel vor.

Ihren Nachlass, der an die 70 Skulpturen, Gipsmodelle und über 100 Zeichnungen, aber auch Briefe umfasst, hat die gebürtige Würzburgerin ihrer Stadt vermacht.

Ihre Große sitzende Tripolitanerin entsteht 1963 und ist heute im Außenbereich des Rheinischen Landesmuseums in Bonn zu sehen.


Weitere Infos siehe auch: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:TRIPOLIT.jpg


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