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Werkbetrachtung

Blue and Green Music

von Georgia O´Keeffe



1908 besucht eine junge Kunststudentin aus Wisconsin die legendäre „Galerie 219“ von Alfred Stieglitz in New York. Dort werden gerade Zeichnungen von August Rodin ausgestellt. Stieglitz sollte in den kommenden Jahren mit Hilfe des in Paris lebenden Fotografen Edward Steichen sowie dem Geschwisterpaar Leo und Gertrude Stein weitere Ausstellungen von französischen und europäischen modernen Künstlern in New York organisieren.

Die junge Frau in der Galerie ist Georgia O’Keeffe (1887–1986), die damals noch nicht wissen konnte, dass Alfred Stieglitz acht Jahre später eine ihrer Kohlezeichnungen, die ihm zufällig in die Hände fällt und ihn sofort begeistert, in seiner „Galerie 219“ zeigen wird – wohl gemerkt, ohne die Künstlerin vorher zu fragen. Nachdem O’Keeffes Ärger darüber verflogen war, stand dem Beginn einer wunderbaren und fruchtbaren Zusammenarbeit und Beziehung nichts mehr im Wege. Stieglitz macht O’Keeffe zu seiner Muse und fertigt über 300 Fotos von ihr, fördert sie gleichzeitig als Künstlerin und stellt ihre Arbeiten in seiner Galerie aus. Bevor die Künstlerin ein Jahr später von Wisconsin ganz zu ihm nach New York zieht, werden unzählige Briefe hin und her geschickt. Ein paar Jahre später heiratet sie den 23 Jahre älteren Galeristen und bekannten Fotografen Alfred Stieglitz.

Im Umfeld des Stieglitz-Kreises in New York wird sie zum Schwamm, der alles aufsaugt. O’Keeffe fängt an, in Öl zu malen, zählt Ende der 1920er Jahre bereits zu den bekanntesten Künstlern in den USA und wird zur Ikone der „roaring twenties“. Vor allem ihre großformatigen Blumenbilder sprechen das Publikum an, das in die satten und farbenprächtigen close-ups unterbewusste, erotische Wunschgedanken der Künstlerin hineininterpretiert - beeinflusst von Sigmund Freuds Theorien, die ab 1920 in den USA bekannt werden. O’Keeffe weist derartige Auslegungen ihr Leben lang zurück. Dabei wirken diese glatten Makro-Bilder eigentlich leidenschaftslos und flach. Sie zoomt die Blüte soweit heran, dass oft nur noch ein Detail übrigbleibt. Dies ist der Fall bei Blue and Green Music.



Blue and Green Music by Georgia O'Keeffe, 1921 | Bildquelle: Wikimedia


In ihrer New Yorker Zeit entdeckt Georgia O’Keeffe auch die Synästhesie. Arbeiten wie Music, Pink and Blue No 2 (1918) und Blue and Green Music (1919) sind Resultate dieses experimentellen Farbhörens, das eine Fusion unterschiedlicher Sinne in einem Bild als Gesamtkunstwerk anstrebt.


Mit Blue and Green Music malt sie Töne für das Auge und das, was sie mit Worten nicht mehr ausdrücken kann. Wassily Kandinsky war hier wahrscheinlich ihre Inspirationsquelle. Für ihn war hellblau der Klang der Flöte, dunkelblau das Cello und nachtblau die Orgel. Blue and Green Music ist ein Aufeinandertreffen von kalter Geometrie und samtigen Formen. Wogen- und wellenartige Körper liegen nebeneinander und erzeugen rhythmische Bewegungen auf unterschiedlichen Ebenen, ausgebremst von schwarzblauen, kantigen Rechtecken oder Orgelpfeifen, die sich wie ein Schutzkelch um die hellen, tropischen Flammenblüten legen, die in einer diagonalen Architektur durch das Bild zündeln. O‘Keeffe vermischt mutig zarte Grüntöne mit eisigen Blaunuancen und lässt in der hinteren rechten Bildecke auch noch Kandinskys dunkelblaues Cello zu Wort kommen. Ob sie dabei an melancholischen Jazz oder an Paul Hindemiths Musik gedacht hat, weiß man nicht. Die Farben verdünnt sie und trägt sie wie eine Lasur in Schichten auf.


Das Bild misst 58,4 x 48,3 cm und ist eines ihrer Meisterwerke. Es gehört zur Alfred Stieglitz Sammlung.
Christa Blenk - 22. Juli 2020
ID 12364
Später, in der amerikanischen Wüste in New Mexico, wohin sie sich ab 1929 immer längere Sommer zurückzieht, hätte sie so ein Bild nicht mehr malen können. Dort entdeckt sie den Ort Taos und dort erholt sie sich auch von Depressionen, die sie immer wieder zu Malpausen zwingen. 1934 kommt O‘Keeffe zum ersten Mal auf die „Ghost Ranch“, und diese wird einer ihrer permanenten Rückzugsorte nach Stieglitz‘ Tod 1946. Im Winter trägt sie schwarze, im Sommer weiße Kleidung. Von ihren Wüstenwanderungen bringt sie Knochen oder Tierschädel mit nach Hause, die direkt in ihre Bilder einfließen. Sie begeht einen metaphysisch-surrealen Realismusweg und verlässt den abstrakt-minimalen Expressionismuspfad der New Yorker Jahre.

Die Kunst in den USA steckt zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen wenn man bedenkt, dass eine der ersten Schulen für Malerei, die Hudson River School, erst 1820 gegründet wurde. Aus ihr geht zum Beispiel Winslow Homer hervor. McNeill Whistler und der in Italien geborene Portraitmaler John Singer Sargent haben beide ihre Karriere in London beendet, und es ist auch Europa, das noch bis weit ins 20. Jahrhundert die Tendenzen vorgibt. Ein Paradebeispiel dafür ist die Armory Show 1913 in New York, bei der nur europäische Kunst gezeigt wird.

Georgia O’Keeffe zählt mit Edward Hopper, Man Ray oder der anderen Künstlerin, Louise Nevelson zu den Pionieren der amerikanischen Moderne; und obwohl sie von Männern, allen voran von Stieglitz, ermuntert und gefördert wurde, ist sie immer wieder von den Frauenbewegung zitiert und hervorgehoben worden. Sie selber hat sich darum gar nicht gekümmert.

1977 wird Georgia O’Keeffe von Präsident Ford ausgezeichnet. Ihr Augenlicht lässt mehr und mehr nach, bis sie gar nicht mehr malen kann. Bevor sie 1986 mit 98 Jahren in Santa Fe stirbt, bringt sie das Buch Georgia O’Keeffe“ heraus. Ein Museum in Santa Fe trägt ihren Namen. Ihr Wohnhaus und die Ghost Ranch stehen in Abiquiú/New Mexico.


Wikimedia-Link zum Bild


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