Das Floß der Medusa von
Théodore Géricault (1781-1824)
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Als der französische Künstler Théodore Géricault (1781-1824) 1819 sein Gemälde Das Floß der Medusa beim Pariser Salon einreichte, erhoffte er sich einen Aufschwung seiner Malerkarriere und Nachfolgeaufträge. Dem war nicht so. Obwohl er seinerzeit einen unverfänglicheren Titel wählte und sein Mammutwerk Szene eines Schiffbruchs nannte, rief das Bild bei der Bevölkerung unangenehme Assoziationen an eine Tragödie auf Hoher See hervor, an die niemand erinnert werden wollte. Géricault hätte sich ausmalen können, dass seine kritische Aufarbeitung in einem Skandal enden würde. Sein Werk erzählt in kräftigen Bildern und Farben eine Episode der französische Marinegeschichte. Géricault malte einen ausgesprochen scheußlichen und inhumanen Vorfall auf Hoher See, der drei Jahre vor Fertigstellung seines Bildes passierte und immer noch in den Köpfen der Menschen herumgeisterte. Dieser „Schiffbruch“ führte 1816 zur Entlassung des Marine-Ministers und von 200 Offizieren.
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Der Maler Géricault war dermaßen von dieser Schiffskatastrophe beeindruckt, dass er unter diesen Impressionen sein bekanntestes Werk schuf: Das Floß der Medusa. Er traf sich mit Überlebenden des Unglücks, darunter mit einem Arzt, einem Schreiner und einem Ingenieur. Géricault arbeitete wie besessen und versuchte originalgetreu Leichen und Leichenstarre auf die Leinwand zu bringen. Dafür begab er sich in eine Leichenhalle. Er versorgte sich mit amputierten Gliedmaßen, um deren Verwesung zu studieren. Géricault lieh sich sogar einen abgetrennten Kopf aus einer Irrenanstalt. In vorbereitenden Zeichnungen konzipierte er die einzelnen Szenen. Trotzdem dürften die Körper nach dieser Zeit des Leidens ausgemergelter gewesen sein, als er sie malte. In Le Havre und bei einer Überquerung des Ärmelkanals studierte er die See und den Himmel. Seinen ursprünglichen Plan, mehrere Momente dieser inhumanen Katastrophe darzustellen, verfolgte er nicht und beschränkte sich schließlich darauf, den letzten Tag vor der Rettung auf seiner Leinwand zu verewigen.
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Das Floß der Medusa von Théodore Géricault (1781-1824) | Bildquelle: Wikipedia
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Das Floß treibt auf offenem Meer. Zu diesem Zeitpunkt sind von den 149 Personen bereits 134 dem Hunger, Durst und Wahnsinn erlegen. Die Männer sind in Lumpen gekleidet, die Toten nackt. Géricault schichtet die Überlebenden und noch Kämpfenden zu einer Pyramide auf und weist hier auf die Unmenschlichkeit des Tathergangs hin. Die Spitze dieser Menschenpyramide ist ein Mann, bekleidet mit einem Lendenschurz, der wild mit seinem Hemd auf sich aufmerksam machen will. Die Wasserfässer sind in die Pyramide eingebaut und waren zu diesem Zeitpunkt leer. Andere Männer winken mit Tüchern oder Fetzen, wahrscheinlich schreien sie, um auf sich aufmerksam zu machen. In der Ferne erkennt man das Rettungsschiff, die Brigg “Argus”. Links im Bild scheinen die Menschen tot oder halbtot zu sein. Jedenfalls sind sie nicht mehr aktiv an den Hilferufen beteiligt. Ein Segeltuch am Mast bläht sich im Wind. Einige Männer links schützen sich unter einer großen Plane um den Mast. Es ist stürmisch, die Wellen schlagen bedrohlich hoch. Der Himmel ist voller dunkler Wolken, zwischendurch blitzen kleine Lichtgewitter oder der Sonnenaufgang auf. Géricault hat die Wetterverhältnisse dramatischer gemalt als sie waren, den die Schiffbrüchigen auf dem Floß der “Medusa” litten vor allem unter zu starker Sonne, Flaute und fehlendem Trinkwasser. Aber eine ruhige, wolkenlose Fahrt passte nicht zu dem Geschehen und würde die Betrachter weniger beeindrucken. Laut Aussagen der Überlebenden war die See ruhig, windstill. Bei Géricault blähen sich die Segel. Die Hälfte der Bildfläche gehört dem Floß. Es ist aufgeteilt in eine Diagonale und eine Horizontlinie. Ein Floßende zeigt auf den Betrachter. Ein Bein verlässt beinahe das Bild, das den Rahmen sprengen will. Der Himmel spielt eine Hauptrolle. Einige Körper liegen halb im Wasser, drohen ganz hineinzufallen. Géricault hat nicht genug Platz auf seiner Leinwand, um all die zu verewigen, die schon Tage vorher im Wasser landeten oder dafür sorgten, dass andere überleben konnten. Braun, Grau und Schwarz und schmutziges Weiß sind die Hauptfarben. Der Körper, der rechts unten im Wasser hängt, wurde kurz vor der öffentlichen Präsentation hinzugefügt. Der Torso ist etwas größer. Die weißlich-blassen Körper setzen Lichtpunkte und machen aus dem Gemälde eine manieristische Chiaroscuro Szene. Vorne unterbricht schäumende Gischt das schwarze, unheilvolle Atlantikwasser. Das Floß liegt schief im Wasser und hat wenig Spielraum im Bild, wirkt allerdings stabil, obwohl es ja in nur kurzer Zeit gebaut wurde. Mit Wasser und Essen hätten die Menschen auf dem Floß der Medusa durchaus längere Zeit durchhalten können. Die Stimmung auf dem Bild ist unwirtlich, bedrohlich, düster. Bei Géricault herrscht Weltuntergangsstimmung, er malt das, was die Überlebenden sicher empfanden. Auf Géricaults Floß befinden sich einwandfrei mehr als 15 Personen. Vielleicht wollte er damit andeuten, dass das Floß sehr viel größer gewesen sein muss, um 149 Schiffbrüchige aufnehmen zu können. 13 Tage hat diese grauenvolle Todesfahrt gedauert. Was die Besetzung der Argus bei der Rettung zuerst für Fetzen des Segels hielt, waren in Wirklichkeit in Stücke geschnittenes Menschenfleisch, das zum Dörren aufgehängt wurde.
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Die Ausstellung des Bildes, mit dem Géricault offen die Regierung der Borbonen kritisiert, schadet ihm also und bringt ihm nicht die erhoffte Anerkennung. Heute zählt das Gemälde zu den Meisterwerken der französischen Malerei.
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Christa Blenk – 21. März 2025 ID 15195
Das Gemälde Das Floß der Meduaa von Théodore Géricault (1781-1824) hängt im Pariser Louvre, entstand 1819 und misst 491 x 716 Zentimeter.
Das [originale] Flaggschiff “Medusa” gehörte dem Konvoi an, der die Übergabe der Kolonie Senegal von England an Frankreich unterstützen sollte. Insgesamt 400 Personen fanden sich auf der “Medusa”, darunter Offiziere, Gäste, Verwaltungsbeamte, Frauen und Kinder, Forscher sowie der zukünftige Gouverneur des Senegal, Julian Désiré-Schmaltz. Der beauftragte Kapitän, Hugues Duroy de Chaumareys, war zu dieser Zeit nicht mehr als ein Salonoffizier, der seine Marine-Karriere nicht auf Hoher See, sondern in Emigrantensalons in Koblenz und London absolvierte. Kurz: der Kapitän hatte so gut wie keine Erfahrung auf dem Wasser und war 25 Jahre nicht zur See gefahren.
Zuerst verlief alles problemlos. Aber nach ein paar Tagen geriet die “Medusa” 50 Kilometer vor der mauretanischen Küste in Schwierigkeiten und schaffte es nicht sich aus den trügerischen und gewaltigen Sandbänken (Le Banc d’Arguin) zu befreien. Der unerfahrene Kapitän hatte die Situation falsch eingeschätzt, seine fehlende Erfahrung tat den Rest. Die “Medusa” steckte fest, und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Da es für die 400 Passagiere nur sechs Rettungsboote gab, befahl der Kapitän, aus den Masten und Rahen der “Medusa “ ein Floß zu bauen, das in der Folge mit 149 Schiffbrüchigen von den sechs Ruderbooten an Land gezogen werden sollte. Das Unterfangen stellte sich als sehr schwierig heraus, und die Boote, hauptsächlich mit Offizieren und Gästen belegt, kamen nur sehr langsam voran. Schon nach kurzer Zeit erteilte der Kapitän den Befehl, die Seile zu kappen und das Floß inklusive der 149 Menschen darauf seinem Schicksal zu überlassen. Warum er später keine Hilfe schickte, ist nicht nachzuvollziehen. Auf dem Floß kam es schon nach ein paar Tagen zu Kannibalismus. Die Brigg “Argus” barg nach knapp zwei Wochen schließlich die 15 Überlebenden, von denen fünf kurze Zeit später, schon an Land, ebenfalls verstarben.
Musiker und Schriftsteller haben das Thema immer wieder aufgenommen. Darunter 1968 Hans-Werner Henze in dem szenischen Oratorium Das Floß der Medusa. Die Uraufführung in Hamburg platzte seinerzeit, weil die Westberliner Mitwirkenden nicht bereit waren, unter dem Porträt von Che Guevara und einer Revolutionsfahne zu musizieren.
Während der Flüchtlingskrise in Europa 2015 widmete sich Banksy auch dem Thema. Auf seinem Floß befinden sich moderne Flüchtlinge, und anstelle der “Argus” gibt es eine moderne Yacht und einen Hubschrauber.
Wikipedia-Link zum Floß der Medusa
Post an Christa Blenk
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