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Werkbetrachtung

Das Begräbnis der Sardine

von Francisco de Goya



Am Aschermittwoch erholen sich die Einen von zügellosen Karnevalstagen, die Anderen lassen sich ein Aschenkreuz auf die Stirn malen, und die Dritten feiern beim politischen Aschermittwoch noch ein wenig weiter, bevor dann die Fastenzeit übernimmt. Dieses Jahr ist das natürlich alles anders!

Die Spanier begraben am Ende des Karnevals eine Sardine. Das geht der Legende nach auf einen alten Brauch zurück, bei dem nach dem Karneval Schweinerippen („cerdina“) begraben wurden. Im Volksmund ist mit der Zeit aus der „cerdina“ eine „sardina“ geworden, und deshalb wird seit dem 19. Jahrhundert bei Beginn der Fastenzeit eine Sardine zu Grabe getragen. Diese Anekdote ist aber nur eine Interpretation, und es gibt noch andere Geschichten dazu, aber sicher ist, dass der iberisch-blasphemische Surrealismus eine Rolle dabei gespielt hat!

*

Der spanische Maler Francisco de Goya (1746-1828) arbeitet nach der Machtübernahme durch die Bourbonen wieder als Hofmaler – allerdings eher halbherzig. 1814 malt er mit der Erschießung der Aufständischen (bekannt auch als El tres de Mayo) eines seiner bedeutendsten Bilder und widmet sich ab 1816 der Stierkampfinterpretation. Daraus hervor geht sein letzter Radierzyklus: Die Tauromaquia. Enttäuscht und frustriert von der Politik seines Landes, den sozialen und politischen Unruhen, gezeichnet von seiner Krankheit und einem Rückfall, der seine Taubheit noch einmal verstärkt und vom allgemeinen Wahnsinn überhaupt, zieht er sich um 1818 in sein Haus bei Madrid „La Quinta del Sordo“ (das Anwesen des Tauben) zurück. Goya beginnt sein beeindruckendes Spätwerk in Form einer Serie von vierzehn schwarzen Bildern (Pinturas Negras), mit denen er die Wände seines Landhauses tapeziert. Diese kritischen Zeichnungen reflektieren seinen psychischen und physischen Zustand und kommen erst nach seinem Tod an die Öffentlichkeit. Ungefähr in dieser Zeit (zwischen 1816 und 1819) malt er Das Begräbnis der Sardine. Das Bild ist nur 82 x 62 cm groß und hängt in der Madrider Real Academia de Bellas Artes.

Eine vergnügte Tanzveranstaltung, denkt man auf den ersten Blick. Aber bei genauerem Hinsehen ist dem nicht so. Goyas Bild ist ein Aufschrei, ein Totentanz, ein heidnisches Vorfrühlings-Ritual:



Das Begräbnis der Sardine von Francisco de Goya | Bildquelle: Wikimedia


Ein lärmender Mob, Menschen mit hässlichen, verzerrten Fratzen, Narren und Missgestalten hüpfen bedrohlich um zwei weiß gekleidete, tanzende Mädchen mit stark geschminkten Masken in der Bildmitte. Ob es sich hierbei um Nonnen handelt, weiß man nicht. Der hüpfende Mann trägt eine Art Priesterumhang. Ist er ein verkleideter Teufel, der die Nonnen in Versuchung führt, oder ist es umgekehrt. Sind sie gekommen, um sich zu amüsieren, oder sind es verkleidete Aufständische, die Gerechtigkeit fordern für die Liberalen und Aufklärer, die im Namen der Heiligen Inquisition wieder in den Gefängnissen gefoltert werden? Goya scheint das Bild bewusst nicht fertig gemacht zu haben. Der Hintergrund ist ein Chaosknäuel aus undefinierbaren Klecksen, schmutzigen Farbflecken und Schnabelgesichter mit Spitzenschleiern. Er lehnt sich mit dieser Interpretation sehr weit ins expressionistisch-abstrakte 20. Jahrhundert.

Ein kontrastreiches Hell-Dunkel-Dreieck in der Mitte wird zu einer Spirale, die im Uhrzeigersinn bei den tanzenden Frauen beginnt, sich über den Mann rechts mit der Pelzmütze zu den kommentierenden und applaudierenden, mit dem Rücken zum Betrachter sitzenden Pärchen, weiter bewegt, am Bären vorbeizieht, links außen den Picador mit seinem breit-krempigen Hut und einer Lanze ins Visier nimmt und über den Tod im Fellkostüm hinter einer Tanzenden die zweite Reihe einleitet. Bär und Picador scheinen sich gerade lüstern auf die Mädchen stürzen zu wollen. Dass es sich hier um einen Freudentanz handelt, weil die Spanier nach der Befreiung der französischen Fremdherrschaft wieder Karneval feiern dürfen, ist eher unwahrscheinlich. Wer sich genau hinter den Masken verbirgt, ist nicht zu erkennen, und die Verkleidung stellt sie Alle, Arm und Reich, Schön und Hässlich, Randgruppen, fahrendes Volk oder Jecken auf eine Stufe und schaltet Hierarchien aus. Vielleicht tanzen sie ja eine Jota, ein Volkstanz aus Saragossa, Goyas Geburtsort. Das Narrenbanner unter einem schiefen Baum, das von einer dunklen Person mit einer orthodoxen Pelzmütze gehalten wird, besudelt die weiße, unschuldige Wolke am blauen Himmel. Es gleicht von der Form her einem Kirchenbanner, wie es manchmal an hohen kirchlichen Feiertagen hervorgeholt und durch die Straßen getragen wird. Nur hat Goyas Banner keinen religiösen Bezug, sondern zeigt einen hässlichen Bösewicht. Vielleicht steht das Banner stellvertretend für die „Sardine“, denn diese hat zwar dem Bild den Namen gegeben, fehlt aber in Goyas Gewusel. Die Sardine ist sonst eine bunte Figur aus Pappmaché, Stroh und Stoff, die normalerweise am Aschermittwoch eine Prozession von (falschen) klagenden Witwen, die manchmal verkleidete Männer sind, respektlosen Geistlichen, Narren und sonstigen Spaßvögel anführt, bis sie nach stundenlangem Herumziehen verbrannt und noch brennend – jedenfalls an der Küste - ins Meer geworfen wird.

Ein Clown, der unter seiner Schminke weint. Goya malt den makaberen Kulttanz, mit dem Spanien durch die Machtübernahme des dummen und reaktionären Ferdinand VII. zurück in einen finsteren Absolutismus rutscht, bei dem die schon bezwungen geglaubte Inquisition wieder den Ton angibt. Die hauchzarten Versuche der Aufklärung wurden von Adel und Klerus schnell im Keim erstickt. Das Bild steckt voller Anspielungen und Metaphern und zitiert Absurdität, Lebensfreude, Delirium, Religion, Verblendung, aber keine Hoffnung.


Christa Blenk - 17. Februar 2021
ID 12754
Der spanische Maler Francisco de Goya hat sich ab 1815 sehr weit in die Moderne gewagt, und kein Maler nach ihm kommt an ihm vorbei. Goya war ein aufgeklärter Rebell, ein dunkler Magier, der sich mit Dämonen einließ und den Adel hofierte. Mit seinen Serien Capriccios (dt.: Launen), Desastres de la Guerra (dt.: Kriegsgräuel) oder Disparates (dt.: Torheiten) hat er die Kirchenfürsten provoziert, deren Scheinheiligkeit angeklagt und die Inquisition herausgefordert, die ihn selber immer öfter auf dem Schirm hatte und ihn zur Flucht veranlassste. Verstorben ist der große Maler 1828 im französischen Bordeaux.

Wikimedia-Link zu Goyas Das Begräbnis der Sardine


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