Rue de Paris, temps de pluie
(dt.: Straße in Paris an einem
regnerischen Tag) von
Gustave Caillebotte (1848-1894)
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Bärtige Ruderer mit Hut, badende Jünglinge, elegante Spaziergänger, schicke Offiziere, Fassadenmaler auf der Leiter, schwitzende Parkettschleifer mit nacktem Oberkörper, Männer bei ihrer Toilette. Der französische Künstler des Impressionismus, Gustave Caillebotte (1848-1894), machte bei seiner Kunst keine sozialen Unterschiede und malte am liebsten Männer bei ihren unterschiedlichen Tätigkeiten. Caillebotte lebte eine Zeitlang in der Nähe des Pariser Saint Lazare Bahnhofs. Die Bahnhofs-Ästhetik beeinflusste massiv seine Bilder. Im 8. und 9. Arrondissement tobte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts der Präfekt Georges Eugène Haussmann (1809-1891) aus und schuf das klassische Paris, das wir heute kennen. Auf den großen Boulevards flanierten die Pariser vor ihren neuen Häusern, und Caillebotte malte sie dabei.
Sein größtes Werk trägt den Titel Rue de Paris, temps de pluie (dt.: Straße in Paris an einem regnerischen Tag). Die Szene passiert im Quartier de l'Europe (Europaviertel). Heute schaut es dort, bis auf einige Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, noch fast genau so aus.
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Rue de Paris, temps de pluie von Gustave Caillebotte | Bildquelle: Wikipedia
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Die Szene ist konstruiert. Es ist kein helles Gemälde, sondern grau, wie meist der Pariser Himmel. Caillebotte spielt mit der Tiefe im Bild. Wie all seine Werke bereitete er auch dieses anhand von unzähligen Zeichnungen und Skizzen vor.
Auf diesem Gemälde, das aus mehreren Ebenen besteht, widmet er sich der gehobenen, flanierenden Pariser Mittelschicht. Sie tragen allesamt solide Kleider, schwarze Mäntel, Hut oder Zylinder und sind mit einem dunklen Regenschirm bewaffnet. Bei den sternenförmig vom Place du Dublin ausgehenden Straßen handelt es sich um die Rue du Turin, Rue de Moscou, Rue de Clapeyron und Rue Saint Petersbourg. Platz und Straßen sind gepflastert und glänzen im Regen. Die mehrstöckigen Gebäude links und rechts verlassen das Gemälde, aber wir wissen, dass Haussmann-Häuser in der Regel aus fünf Stockwerken sowie dem Obergeschoss für die Dienstboten bestanden. Aus diesem Bild im fotografischen Weitwinkel scheinen alle flüchten zu wollen, seien es Menschen oder Gegenstände. Das Paar vorne rechts kommt direkt auf den Betrachter zu, blickt ihn aber nicht an. Die Augen der beiden richten sich nach links, dort scheint etwas zu passieren. Was, verrät der Maler nicht. Die Füße des Paares haben das Gemälde bereits verlassen. Der Mann mit Zylinder hält den Regenschirm, die hübsche Frau im dunklen Kleid mit pelzbesetztem Jackenkragen ist bei ihn eingehakt. Ihnen kommt ganz rechts im Bild ein halb abgeschnittener Mann auch mit Zylinder entgehen. Er hält seinen Schirm schräg zur Seite. In einer eleganten Regenschirm-Choreografie berühren sich die Schirme trotzdem ganz leicht. Die grün-rostfarbene Hauswand rechts ist der einzige Farbkleks im Bild. Eine Kutsche verlässt gerade das Gemälde auf der linken Seite. Vor ihr gehen zwei weitere Männer und ein einzelner Fußgänger ebenfalls mit gesenktem Regenschirm. Im Hintergrund, um das große Gebäude herum, tummeln sich mehrere Einzelpersonen, Paare und eine weitere Kutsche. Caillebotte malt den Regen nicht. Er wird nur durch die Regenschirme und den noch nassen, rutschigen Boden angedeutet. Vielleicht hat es auch gerade aufgehört zu regnen, und die Fußgänger haben es noch nicht bemerkt. Eine grüne Laterne teilt das Bild in zwei gleich große Hälften mit je einem eigenen Fluchtpunkt. Caillebotte legt große Sorgfalt auf Details und Kleidung. Ein Beispiel ist der Pelzkragen der Frau oder die Andeutung des weißen Kragens des Mannes rechts im Bild, von dem man nur den halben Rücken und eine Schulter sieht. Der Betrachter spürt die Spannung zwischen Stoff und Speichen des aufgespannten Regenschirmes. Der Künstler holt uns ins Bild. Die Hauptfiguren vorne sind lebensgroß.
Das Bild entstand 1877, misst 212,2 x 276 cm und hängt heute im Art Institute Chicago.
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Christa Blenk - 14. Januar 2025 ID 15103
Gustave Caillebotte zählt zu den Impressionisten, aber eigentlich muss man ihn eher als individuellen, freien Maler, der sich nicht wirklich einer Richtung unterwirft, einordnen. Geldsorgen hatte der Künstler nie. Er war ein Kind aus dritter Ehe seines Vater, der mit dem Handel von Tuch sehr wohlhabend wurde.
Verheiratet war Caillebotte nie, allerdings lebte er kurzzeitig mit einer Frau zusammen. Als Person kommt er ziemlich mysteriös daher. Sein Selbstporträt von 1892 zeigt einen ernsten, melancholisch-verbitterten Mann. Abgesehen von der Malerei tat sich Caillebotte auch als Mäzen und bedeutender Unterstützer der Impressionisten hervor und versuchte sich als Bootsbauer. Segeln war eine seiner großen Leidenschaften. Wasser spielt eine bedeutende Rolle in seinen Werken.
Niemand hat so eindringlich und authentisch wie Caillebotte eine Bahnhofsumgebung gemalt, mit Gleisen, Brücken, Eisen-Gestänge und Gewusel oder einen regnerischen Nachmittag. Ein Großteil von Caillebottes Werken hängt heute in Privatsammlungen, das mag der Grund sein, warum er weniger bekannt ist.
Wikipedia-Link zum Gemälde von Gustave Caillebotte
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