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Werkbetrachtung

Die Gesandten

von Hans Holbein d. J.



Gesandte sind Diplomaten, sie beobachten das Gastland und sollen unter anderem gute Beziehungen zu ihm pflegen, Stimmungen einfangen, Informationen liefern, Situationen analysieren und die Interessen des eigenen Landes vertreten.

Der König von England, der Tudor Heinrich VIII., braucht unbedingt einen männlichen Thronfolger. Nach unzähligen Fehlgeburten schenkt ihm seine erste Frau, die schöne Spanierin Katharina von Aragon und Witwe seines Bruders, aber nur eine Tochter, Maria. Da alle seine männlichen Erben früh sterben, wird Maria später trotzdem Königin und unter dem Namen „Bloody Mary“ in die Geschichte eingehen. Heinrich VIII., der Katharina ursprünglich aus Liebe geheiratet hatte, ist bereit, die Annullierung mit oder ohne Einverständnis des seit der Eroberung von Rom durch die Truppen von Kaiser Karl V. sowieso schon geschwächten Papstes Clemens VII. voranzutreiben. Er heiratet - mehr oder weniger heimlich - die junge Hofdame Anne Boleyn, noch bevor die Scheidung mit Katharina von Aragon, ihres Zeichens Tante von Karl V., durch ist, trennt sich von Rom, gründet kurzerhand die Church of England und macht sich selbst zu dessen Oberhaupt. Anne Boleyn kann kurz vor ihrer Niederkunft gerade noch gekrönt werden. Die geschiedene Katharina weiß zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, was sie für ein Glück hatte, denn mit seinen späteren Frauen sollte der erbarmungslose und barbarische König nicht so schonend umgehen; schon Katharinas Nachfolgerin, Anne Boleyn, wird durch Hinrichtung geschieden.

Um die französisch-englischen Beziehungen zu verbessern, entsendet Frankreich - angeblich in einer Geheimmission des rivalisierenden und gleichaltrigen Franz I. - den Diplomaten Jean de Dinteville an den Hof des englischen Königs Heinrich VIII. Begleitet wird dieser vom Bischof Georges de Selve.

In dieser Zeit entsteht im Auftrag von Dinteville das Gemälde Die Gesandten von Hans Holbein d.J..



Die Gesandten von Hans Holbein d. J. | Bildquelle: Wikipedia


Das Kreuz links, leicht versteckt hinter einem Vorhang, soll die beiden dem Katholizismus streng verbundenen prominenten Diplomaten beschützen. Links im Bild der eitle und selbstgerechte Dinteville mit einem prächtigen Mantel. Zwischen ihm und dem Bischof steht ein Regal aus Holz mit zwei Etagen. Auf der unteren Ebene befinden sich ein Erdglobus, geometrische Instrumente, eine Flöte und eine Laute und zwei aufgeschlagene Bücher. Angeblich hat Dinteville sogar bestimmt, welche Seite aufgeschlagen werden soll. Die Männer lehnen lässig am oberen Regal, auf dem ein gemusterter, sogenannter „Holbein-Teppich“ liegt, eine Luxusimportware aus der heutigen Türkei und damals sehr geschätzt bei den Spaniern. Auf dem Teppich stehen links hinten ein Himmelsglobus und wertvolle astronomische Instrumente. Himmel und Erde liegen also auch hier auf unterschiedlichen Ebenen. Auf dem unteren Erdglobus ist der Stammsitz von Dinteville eingetragen. Eine Saite der Laute ist gerissen. Die Bücher sind auf Deutsch. Man kann das Wort „dividiert“ lesen. Das Buch auf der Seite des Bischofs weist auf die reformatorische Gefahr hin, die die himmlische Ordnung in Chaos verwandeln will. Es muss den katholischen Gesandten eh schon Überwindung gekostet haben, sich mit einem lutherischen Gesangbuch in einem Bild verewigen zu lassen. Die komplette hintere Wand bedeckt ein schwerer, grünlich in sich gemusterter Vorhang. Holbein würdigt in dem Gemälde die "Sieben Freien Künste" (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie, Grammatik, Rhetorik, Dialektik), das Quadrivium vervollständigt vom Trivium, also die mathematischen Fächer ergänzt von den schönen Künsten. Vor einigen Jahren hat man herausgefunden, dass die Sonnenuhren und andere Instrumente den 11. April 1533 und zwar zwischen drei und vier Uhr nachmittags in London anzeigen. Ein Karfreitag! Christus starb nach der Bibel im Alter von 33 Jahren nachmittags um drei Uhr. Ein Totenschädel ziert Dintevilles Kopfbedeckung. Damit konfrontiert er sein Gegenüber mit dem Tod. Der Bischof ist bescheidener gekleidet. Die astronomischen und mathematischen Attribute sollen ihn, den Auftraggeber, als Humanisten und Connaisseur der Wissenschaften ausweisen. Das Vanitas-Symbol, das von links unten nach rechts oben verläuft, ist eine Anamorphose. Den Totenschädel kann man nur erkennen, wenn man von der Horizontalen in einem Winkel von 27 Grad vom rechten Bildrand her auf das Bild des Schädels herabschaut oder es durch einen Glaszylinder oder ein Trinkglas aus einigen Metern Entfernung betrachtet.


Dinteville war 29 Jahre alt, als er mit dieser wichtigen, diplomatischen Mission betraut wurde. Dieses Alter ist nicht nur in dem wertvollen Dolch eingraviert, den er fest in der rechten Hand hält. Auch die Frontseite des geschlossenen Buches auf der oberen Etage, auf dem der Bischof seinen Ellenbogen stützt, verrät uns das.


*

War seine Mission erfolgreich? Eher wohl nicht! Dinteville litt unter dem englischen Klima und scheiterte mehr oder weniger auf der ganzen Linie. Heinrich VIII. heiratete heimlich seine zweite Frau, die Engländer setzten sich von Rom und dem Papst ab und gründeten die Church of England, unterstützten Frankreich nicht im Krieg gegen Spanien und auch die französisch-englische Heiratspolitik konnte er nicht vorantreiben. Frankreich blieb, was die Dominanz der Meere und auch die Aufteilung von Südamerika anging, komplett außen vor. Das alles dürfte seiner Beförderung nicht dienlich gewesen sein. Über diesen Misserfolg kann auch sein mit Luchsfell gefütterter Mantel mit der rosaroten Seidentunika nicht hinwegtäuschen.

Christa Blenk - 13. November 2021
ID 13292
Hans Holbein der Jüngere (1497-1543) ist in Augsburg geboren. Als 30jähriger reist er nach London, lässt sich dort ein paar Jahre später definitiv nieder und fertigt vor allem Portraits am englischen Hof. Holbein ist die perfekte Fusion der italienischen mit der nordeuropäischen Malerei. Er stirbt in London.

Sein Meisterwerk Die Gesandten misst 206 x 209 cm, entsteht 1533 und hängt in der National Gallery in London.


Wikipedia-Link zu Holbeins Die Gesandten


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