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Werkbetrachtung

Réunion à la campagne

von Marie Laurencin



Götter auf dem Parnass: Die französische und heute nicht sehr bekannte Künstlerin Marie Laurencin (1883-1956) malte zwischen 1908 und 1909 mehrere Gruppenbilder von ihren intellektuellen Freunden. Picasso oder Apollinaire waren immer mit von der Partie. Ruhig, abwartend, angespannt und ohne miteinander zu kommunizieren scheinen die acht Freunde in ihrem Farbennest für ein Foto zu posieren. So tugendhaft wie auf dem Bild Réunion à la campagne (1909) dürfte es bei Treffen unter Künstlern um 1900 auf dem Pariser Montmartre nicht zugegangen sein und so ganz ohne Alkohol oder Essen auch nicht:



Réunion à la campagne von Marie Laurencin | Bildquelle: Wikimedia


Links in ihrem Pantheon der Kubisten sitzt die Schriftstellerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein. Neben ihr breitet die Picasso-Geliebte Fernande Olivier gerade schwungvoll einen großen Schal aus. Von der Stein sieht man nur ihren nach unten gerichteter Kopf im griechischen Profil mit spitzer Nase im maskenhaften Gedicht und kurz geschnittenen Haaren. Die Amerikanerin hatte von Laurencin eine Vorversion dieser Szene erworben, die heute in Baltimore hängt. Die Farbe des grünen Bandes in Fernandes Haar wiederholt sich in Apollinaires Krawatte und in den Blättern, die den Obstteller auf dem Kopf der gelangweilten Muse in Bewegung bringen. Der Hund Fricka gehört noch auf die linke Seite und dann Apollinaire, der mit seinen weißen Händen das Bild in der Mitte teilt. Der erste Titel des Werkes lautete „Apollinaire et ses amis“. Er hat als aktueller Liebhaber von Marie Laurencin auch den prominentesten Platz im Bild und blickt frontal zum Betrachter. Der Dichter steht hier am Anfang seiner Karriere, ist offizieller Kunstkritiker der Kubisten und Fauvisten auf dem Montmartre und hat die klammen Jahre um 1900 als Ghostwriter hinter sich. Er wird später zu den Intellektuellen gehören, die 1914 mit freiwilliger Begeisterung in den Krieg ziehen. Vorher werden Picasso und er aber noch beschuldigt, beim Diebstahl der Mona Lisa ihre Hand mit im Spiel gehabt zu haben. Dies hat sich wieder entspannt als die Mona Lisa nach einem längeren Auslandsaufenthalt 1914 wieder in den Louvre einziehen konnte. Allerdings soll es durchaus gewisse Machenschaften der beiden mit einem bekannten Kunstdieb gegeben haben. Schwerverletzt übersteht Apollinaire den Ersten Weltkrieg, um 1918 Opfer der Spanischen Grippe zu werden. Die schwarzen, stechenden Augen hinter ihm gehören Picasso. Die Frau zwischen dem Poeten Maurice Cremnitz und dem Spanier ist die Dichterin Marguerite Gillot. Ganz rechts im Bild die Künstlerin selber. Sie ist stolz, hier Gastgeberin zu sein und ist als einzige komplett zu sehen. Auf dem dunklen Tuch zwischen ihr und Picasso steht eine Hommage an Cézanne in Form eines Obsttellers, der der Kopfbedeckung der Muse links Konkurrenz macht. Laurencin hat in diesem Bild – außer bei ihrem eigenen Kleid – auf die von ihr vor allem ab den 1920er Jahren so geliebten Pastelltöne verzichtet. Die Nasen der Freunde in den weißen Gesichtern würden gerne kubistisch werden, sind aber auf dem Weg dorthin stecken geblieben. Die wellenartigen Bewegungen der Stoffe und die schwungvollen Pinselstriche schaffen es nicht, Dynamik in das Bild zu bringen. Die großen, braunen, runden Formen, die das Bild auf beiden Seiten einrahmen, sind ein Zitat von Henri Rousseaus naiver Malerei.


Er war für Laurencins künstlerische Entwicklung von Bedeutung. Inspiriert haben dürfte sich die Künstlerin auch an Manets Skandalbild von 1863 Déjeuner sur l’herbe. Marie Laurencin löst nur ganz schüchtern die geometrischen Formen auf. Die reduzierte Farbgebung ist noch ganz im Stile des analytischen Kubismus, der erst ab 1912 in die synthetische Phase eintreten wird. Ihr Harmoniezwang ist ein Überbleibsel einer Ausbildung zur Porzellanmalerin, von dem sie sich nie lösen wird. Une réunion à la campagne hängt im Pariser Musée Picasso und misst 130 x 194 cm.

„Fauvette“ – wie Rodin sie abwertend zu nennen pflegte - geht 1912 nach der Trennung von Apollinaire eine Beziehung zu dem deutschen Schriftsteller Hanns Heinz Ewers ein, heiratet 1913 den Maler Otto von Wätjen und wird deutsche Staatsangehörige. Beide verbringen den Ersten Weltkrieg in Spanien. Nach ihrer Scheidung 1921 wird Laurencin wieder Französin.

Christa Blenk - 22. Oktober 2020
ID 12546
Marie Laurencin ist bei den bedeutenden Kubismus-Ausstellungen vor dem Ersten Weltkrieg in Paris sowie in der New Yorker Armory Show vertreten. Der Galerist Alfred Flechtheim hat sie sehr geschätzt und einige Ausstellungen mit ihr organisiert. Auch Apollinaire hat sie in dem Gedichtband Alcools immer wieder erwähnt. Ihre sanft-lieblichen Frauenportraits werden in den goldenen 1920er Jahren sehr beliebt. Sie gestaltet außerdem Bühnenbilder, arbeitet mit Diaghilev und dem Ballets Russes und illustriert u.a. das Buch Alice im Wunderland.

Sie stirbt 1956 in Paris und liegt auf dem Pariser Künstlerfriedhof Père-Lachaise. In einem Museum in Japan hängt der Hauptteil ihrer Werke.


Wikimedia-Link zum Bild von Marie Laurencin


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