Relief mit Orpheus,
Euridike und Hermes
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Der begnadete, thrakische Sänger Orpheus verliert seine Frau, die anmutige Nymphe Eurydike, weil diese sich auf der Flucht vor Aristaios, seines Zeichens bäuerlicher Gott der Jagd, der Bienenzucht und der Olivenbauern, zu weit ins tiefe Gras begibt, von einer Schlange gebissen wird und daran stirbt. Orpheus‘ Trauer und seine Tränen über den Verlust rühren die strenge Schattenkönigin Persephone, und sie gibt ihm eine Chance, seine Geliebte zurückzuholen. Er verstößt allerdings gegen die von ihr auferlegten Regeln, erliegt der Versuchung, zweifelt, verliert das Vertrauen, will es wissen, sofort, ob es wirklich die Richtige ist, die er gerade aus dem Hades führt, dreht sich um zu ihr, und dann ist es auch schon zu spät, und Eurydike muss wieder hinab ins Dunkel, noch bevor die kleine Karawane das Licht des Tages erblickten konnte. Die Macht seines Gesanges konnte Zweifel und Misstrauen nicht widerstehen. Orpheus verliert seine Geliebte ein zweites Mal. Wahnsinnig vor Kummer, bleibt ihm nur noch, sein eigenes Unglück zu besingen.
Die Musik hat das Thema von Orpheus und Eurydike immer wieder aufgenommen und ausgeschlachtet. Nur Töne können die erforderliche Dramatik, die aufkommende und scheidende Hoffnung, Erleichterung, Freude und Trauer ausdrücken, meint man.
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Der Künstler des Orpheus-Reliefs (Relief mit Orpheus, Euridike und Hermes) hat sich der lyrischen Herausforderung gestellt, die das komplexe Thema für die bildende Kunst darstellt und mit diesem Werk ein kleines Wunder vollbracht. Er hat in der Zeit des größten Bildhauers der griechischen Hochklassik, Phidias (5. Jahrhundert v.C.), gelebt. Dessen Können und Talent wir nur in Form von römischen Kopien, die viel später entstanden sind, erahnbar. Gerade im 1. Jahrhundert n.C. sind unzählige Kopien des Orpheus-Reliefs entstanden und zierten Thermen, Tempel, Theater oder Vasen. Eines davon ist heute im Museo Archeologico Nazionale di Napoli zu sehen.
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Relief mit Orpheus, Euridike und Hermes | Bildquelle: Wikimedia
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Das Relief zeigt das Vorher, das Jetzt und das Nachher zeitgleich. Wir sehen den Moment, in dem sich Orpheus, der den Zug aus dem Königsreich des Hades anführt, herumdreht. Gerade hat er mit seinem rechten Arm Eurydikes Schleier zur Seite geschoben und begreift in dieser Sekunde, dass er es vermasselt hat. Eurydike legt ihre Hand auf seine rechte Schulter, es ist eine Abschieds- und keine Wiedersehensgeste. Innig blicken sich die beiden an, und für eine Sekunde existiert die Welt um sie herum nicht. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst, nicht glücklich oder erhellt von Wiedersehensfreude. Beide wissen, was unweigerlich kommen wird.
Diese schlagartige Unterbrechung der Expedition aus der Unterwelt vermittelt auch Hermes, der Schutzgott der Reisenden. Er ist als Begleiter der verstorbenen Seelen der Dritte im Bunde. Mit einem festen Griff seiner linken Hand umfasst der Götterbote Eurydikes Rechte. Seine Körperhaltung will die letzten Sekunden rückgängig machen. Auch er weiß um die Katastrophe, wahrscheinlich schon vor den beiden vor ihm Gehenden. Sein zielstrebiger Schritt wird jäh unterbrochen, er lehnt sich zurück, so als ob er damit das Ganze ungeschehen machen könnte. Das linke Standbein scheint auf dem Boden zu kleben. Seine rechte Hand ist zu einer Faust geballt. Was hat er gerade noch gehalten? Orpheus' Standbein ist das rechte. Vom linken Fuß berühren nur die Zehen den Boden. Die Lyra, die seinen betörenden Gesang begleitet, ist ein Geschenk von Apollo. Sie hängt auf seiner linken Seite und ist teilweise vom Mantel verdeckt. Eurydikes Blick fällt nach unten, auch sie weiß, dass ihr Mann vertragsbrüchig geworden ist und sie beide es würden ausbaden müssen.
Die beiden Männer tragen ein Unterkleid, den Chiton, und darüber den typischen kurzen Reisemantel, eine Chlamys, damals in Griechenland weit verbreitet. Es handelt sich dabei eigentlich nur um ein rechteckiges Stück Stoff, oft aus Wolltuch, das über die linke Schulter geworfen und auf der rechten mit einer Spange zusammengehalten wird.
Eurydike ist in ein schweres, antikes und einfach gegürtetes, sehr faltenreiches Frauenkleid, den Peplos, gehüllt. Ihr Schleier, mit dem sie ihr Antlitz verhüllte, bevor Orpheus ihn sozusagen vor uns als Zeugen zur Seite geschoben hat, plissiert sich auf der linken Seite ihres Halses. Hermes und Eurydike tragen Sandalen, während Orpheus sich mit einer Art offener Stiefel aus Leder für den langen mühsamen Weg gerüstet hat. Aus Leder dürfte auch seine eng anliegende Kappe sein. Hermes trägt einen großen, im Nacken hängenden Hut, der von einem Band um seinen Hals gehalten wird.
Orpheus und Hermes rahmen Eurydike ein, sollen sie beschützen, aber beide sind an der Aufgabe gescheitert.
Man kann davon ausgehen, dass dieses Relief kein Einzelstück, sondern von weiteren Dreifiguren-Reliefs eingerahmt war. Die Versionen sind auch von der Qualität her sehr unterschiedlich.
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Christa Blenk - 6. August 2021 ID 13069
Wikimedia-Link zum Orpheus-Relief
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